Medienkompetenz und Weltbild: Plädoyer für die Abstinenz vom Buchstabengeschrei
Kleine Anleitung zum Auffinden von Qualitätsmedien
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
von Carlos A. Gebauer (Pausiert) drucken
Wenn ich mir im Laufe eines Tages über die mir zugänglichen Medien einen Eindruck darüber zu verschaffen versuche, welche relevanten Neuigkeiten es in der Welt gibt, dann stelle ich zunehmend zweierlei fest: Erstens dominieren Nachrichten über Kriege, Krisen, Chaos, Gefahren, Risiken und Konflikte. Zweitens imponiert der dargebotene Ton dieser Meldungen durch schlechten sprachlichen Stil, durch eine generelle Tendenz zu Emotionalität statt Sachlichkeit und durch mehr oder minder offene Aggressivität.
Bei der Suche nach den Ursachen für diese Themenwahl und ihre Darstellung neige ich primär zu der Annahme, dass sich die Menschen – im Vergleich beispielsweise zu der Zeit vor dreißig Jahren – nicht prinzipiell geändert haben. Ihr Verhalten überall auf der Welt dürfte sich damals also kaum von dem unterschieden haben, was wir heute sehen. Unwahrscheinlich ist also, dass die Welt vor dreißig Jahren, um bei diesem Vergleichspaar zu bleiben, paradiesischer oder sonst positiver daherkam. Sie war ebenso eine Mischung aus Erfreulichem und Abscheulichem wie heute.
Warum aber dominiert inzwischen die mediale Präsenz des Negativen so sehr? Warum wird das Böse in grellen Farben gezeichnet und warum treten demgegenüber Sachlichkeit oder gar Freundlichkeit so deutlich in den Hintergrund?
Einer von meinen mehreren Erklärungsversuchen für dieses Phänomen beruht erstens – jedenfalls für Deutschland – auf der Erkenntnis, dass die letzte Kriegsgeneration inzwischen fast vollständig gestorben ist. Die letzten, die die Gräuel des Zweiten Weltkrieges in Deutschland noch mit eigenen Augen verständig haben sehen müssen, sind heute tot. Damit fehlen aber alle jene, die die Exzesse nackter, entfesselter menschlicher Aggressivität erleben mussten. Konflikte sind also für die meisten Menschen, die heute in Deutschland leben, nur eine Erzählung. Sie verkennen daher offenbar die Risiken, die darin liegen, andere zum Zorn zu reizen. Das Diplomatische ist weithin ausgestorben. Es herrscht eine „Hau drauf!“-Mentalität im öffentlichen Diskurs.
Hinzu kommt zweitens der mediale Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit. Die Überreichweiten aller Nachrichten rund um den Globus haben die Nachrichtenmenge an jedem Ort der Welt vervielfacht. Jede Neuigkeit streitet heute mit ungezählten anderen Aktualitäten um das knappe Gut von Hörerohren und Zuseheraugen. Basiswissen aller Psycholinguistik ist, dass Horrornachrichten sich besser vermarkten lassen als Erbauliches. Was ist ein schön gepflegtes Blumenbeet voller blühender Pflanzen im Vergleich zu einem wild zertrampelten Vorgarten? Die Bilder der Verwüstung binden den Blick mehr als die des Gelingens.
Drittens aber muss man leider konstatieren, dass die Qualität der Arbeit jener, die uns unsere Realität medial beschreiben, seit jedenfalls dreißig Jahren deutlich sinkt. Ob dies mit einer Verdünnung des Bildungsstands in den journalistisch tätigen Milieus, mit dem fehlenden Anreiz durch gute Bezahlung in den Redaktionen oder mit der allgemeinen Verflachung des Kulturniveaus zu erklären ist, erscheint mir unklar. Der persönliche Verwirrungszustand mancher Akteure, die Unfähigkeit zur nachdenklichen Reflexion und der Unwille, sich einzugestehen, dass man manches vielleicht ausnahmsweise einmal nicht besser weiß als die anderen, wirken hier allesamt ungut zusammen.
Was aber könnte helfen, sich und andere aus dieser Negativspirale aus bösen Themen und schlechter Aufarbeitung zu befreien? Generelle Nachrichtenabstinenz dürfte kein Patentrezept sein, um ein getreulicheres Bild von der Welt zu gewinnen. Bislang ist mir daher nur eines sicher eingefallen: Texte, die mit überlauten Worten und grellen Darstellungen daherkommen, Buchstabengeschrei also, lese ich nicht. Was orthographisch versagt, gewinnt nicht meine Aufmerksamkeit. Denn wenn einer nicht einmal in der Lage ist, die Sprache zu beherrschen, in der er sich auszudrücken versucht, dann streitet die Vermutung dafür, dass er auch auf der inhaltlichen Ebene nichts Substanzielles zu vermelden hat. Die überzeugende Form der Darstellung begründet im Gegensatz dazu die Annahme, dass der Verfasser auch auf der Inhaltsebene Relevantes verstanden hat und berichten kann.
Eine solche Auswahl der Lektüre und ein solches Zuhören dort, wo Menschen sich adäquat erklären können, schärft das eigene Weltbild gut und erheblich. Unsinn bleibt außen vor, Sinn tritt herein. Die Stimmungslage des Medienrezipienten hellt sich dadurch schon bald merklich auf. Beachtet man dann noch, dass nur der Inhalt, nicht aber die Hülle darüber Auskunft gibt, ob etwas ein Qualitätserzeugnis ist, kann man zügig viel Neues erfahren. Was wir um uns herum sehen, muss also noch lange nicht das Ende der Welt sein. Wir müssen nur hinreichend genau hinsehen.
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