03. Dezember 2022 19:00

Entkriminalisierung Rocky Mountain High

In Colorado wird der Besitz psychedelischer Pilze bald straffrei sein, andere Bundesstaaten könnten folgen

von Thorsten Brückner

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Seit über einem halben Jahrhundert befinden sich die USA im „Krieg gegen die Drogen“, die der damalige US-Präsident Richard Nixon zum „öffentlichen Feind Nummer eins“ erklärt hatte. Cannabis, LSD, Magic Mushrooms – sie alle wurden zusammen mit Heroin und Kokain in einen Topf geworfen und zu „Schedule 1 Drogen ohne medizinischen Nutzen“ erklärt. Damit beendete die Nixon-Administration nicht nur quasi über Nacht die jahrelange erfolgreiche Forschung an LSD und Magic Mushrooms im Bereich der Trauma-, Sucht- und Depressionstherapie. Der „Krieg gegen die Drogen“ war vor allem eines: ein Krieg gegen Minderheiten. Das räumte Nixon-Berater John Ehrlichman über zwei Jahrzehnte später in einem Interview auch freimütig ein. „Wir wussten, dass wir es nicht illegal machen konnten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein, aber indem wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren, und beides streng kriminalisierten, konnten wir diese Bevölkerungsgruppen schwächen. Wir konnten ihre Anführer festnehmen, Razzien in ihren Häusern durchführen, ihre Treffen auflösen und sie Abend für Abend in den Nachrichten diffamieren. Wussten wir, dass wir logen, was die Drogen anging? Natürlich wussten wir das.“

Und das sorgte für volle Gefängnisse. Saßen 1975 rund 240.000 Menschen in US-Haftanstalten ein, waren es 2019 über 1,4 Millionen. Am stärksten stiegen dabei die Inhaftierungsraten von Minderheiten. Während 1970 nur 600 von 100.000 schwarzen Amerikanern einsaßen, waren es im Jahr 2000 schon 1.808. Unter Hispanics schoss die Zahl von 208 auf 615 pro 100.000, während der Anstieg unter Weißen vergleichsweise moderat ausfiel (von 103 auf 242/100.000). Und viele Amerikaner waren naiv genug zu glauben, ihre Straßen würden dadurch sicherer. Während in den 70ern immerhin noch elf Staaten vom Bundeskurs ausscherten und zumindest den Besitz von Cannabis entkriminalisierten (darunter auch Colorado), kippte in den 80ern die Stimmung hin zur Befürwortung eines restriktiveren Kurses. Nancy Reagans „Just Say No“-Kampagne gab hier die Marschrichtung vor.

Doch in den vergangenen 20 Jahren hat sich die öffentliche Meinung zum „Krieg gegen die Drogen“ gedreht. Laut einer Politico/Morning Consult-Umfrage von Anfang Oktober befürworten mittlerweile 60 Prozent der wahlberechtigten Amerikaner eine Legalisierung von Cannabis. Auffallend hierbei: Praktisch alle demographischen Gruppen sind mehrheitlich für die Legalisierung. Selbst unter den Republikaner-Wählern unterstützt dies eine knappe Mehrheit (47 zu 41 Prozent). Zum Vergleich: 1990 sprachen sich nur 17 Prozent der Amerikaner für die Legalisierung von Cannabis aus. Für diesen Wandel in der öffentlichen Meinung sind zahlreiche Faktoren verantwortlich. Ein wichtiger ist sicher, dass die von Legalisierungskritikern an die Wand gemalten Schreckensszenarien nie eingetreten sind. Den Vorreiter machte hier 1996 Kalifornien mit der Legalisierung von medizinischem Cannabis. 2012 folgte in Washington und Colorado die Freigabe des Freizeitkonsums. Mittlerweile sind medizinisches Cannabis in 38 und der Freizeitkonsum in 21 Bundesstaaten legal – Tendenz klar steigend. Zuletzt votierten die Wähler in Maryland und Missouri für die Legalisierung. Kritiker, die mahnten, die Freigabe von medizinischem Cannabis sei ein Einfallstor für die spätere Freigabe des Freizeitkonsums, hatten auf ganzer Linie Recht.

Doch während die vollständige Legalisierung von Cannabis in den Vereinigten Staaten nur noch eine Frage der Zeit ist, müssen bei anderen Substanzen aus derselben Schedule-1-Kategorie dickere Bretter gebohrt und Pionierarbeit geleistet werden. Und wieder mal gehört Colorado (zusammen mit Oregon) zu den Vorreitern. Bei den Zwischenwahlen im November votierte eine Mehrheit im „Centennial State“ für Proposition 122. Der „Natural Medicine Health Act“ besteht aus zwei Elementen. Zum einen wird damit der Besitz und der Konsum psychedelischer Pilze entkriminalisiert. Zum anderen sieht die Initiative die Einrichtung sogenannter Healing Centers vor, in denen Magic Mushrooms unter medizinischer Aufsicht im Rahmen einer Therapie abgegeben werden sollen. Vor allem für ehemalige Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung öffnen sich hier ganz neue Behandlungsoptionen. Wie diese Healing Centers am Ende genau aussehen werden, ist noch unklar. Selbst unter Legalisierungsbefürwortern wird aber Kritik laut: zu viel staatliche Bürokratie, zu viel Regulierung und am Ende möglicherweise die Medikalisierung eines doch eigentlich spirituellen Erlebnisses.

Dass gerade manchen Libertären Proposition 122 nicht weit genug geht, ist verständlich. Warum etwa sollen nur psychedelische Pilze, nicht aber etwa LSD entkriminalisiert werden? Und warum soll der Verkauf von Magic Mushrooms weiterhin verboten bleiben? Schließlich hat es den Staat weder zu interessieren, welche Substanzen ein erwachsener Mensch seinem Körper zuführt, noch auf welchem Wege er diese erwirbt. All diese Einwände sind berechtigt und gehen doch an der Sache vorbei. Wie schon bei der Legalisierung von medizinischem Cannabis wird gerne übersehen, welche Türen dadurch geöffnet werden. So wie die Freigabe des medizinischen Konsums unweigerlich mit zeitlicher Verzögerung zur Freigabe des Freizeitkonsums führte, geht es auch bei anderen Schedule-1-Drogen darum, Löcher in die Wand der gesellschaftlichen Ignoranz zu bohren. Denn am Ende kommt Veränderung natürlich nicht aus dem politischen Prozess, sondern ist Ergebnis eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels, der durch Parlamentsentscheidungen und Volksabstimmungen bestenfalls nachvollzogen wird.

Nichts trägt mehr zur Entstigmatisierung bei als Gespräche über Drogenerfahrungen im persönlichen Umfeld. Keine staatliche Propaganda der Welt kann Menschen von der Gefährlichkeit von Magic Mushrooms überzeugen, wenn gleichzeitig Freunde und Verwandte berichten, damit ihre Depressionen und Angststörungen in den Griff bekommen zu haben. Die Anti-Drogen-Kampagne der 80er und 90er Jahre hat zu zahlreichen irrationalen und wissenschaftlich unhaltbaren Ängsten in Bezug auf Cannabis, Magic Mushrooms, LSD, aber auch MDMA (Ecstasy) geführt. Doch während sich für viele Amerikaner die vermeintlichen Einstiegsdrogen wie Cannabis oder Pilze immer mehr als Ausstiegsdrogen mit belegbaren therapeutischen Erfolgen entpuppen, stecken die USA tatsächlich in einer Drogenepidemie. Zehntausende Amerikaner sterben mittlerweile jährlich durch Überdosierung verschreibungspflichtiger Medikamente, während die Zahl der Cannabis- und LSD-Toten Jahr für Jahr konstant auf dem gleichen Wert verharrt: null. Auch das trägt bei vielen vernünftigen Menschen zu einer Neubewertung bei.

Nach Colorado und Oregon gibt es auch in den Bundesstaaten New York und Washington derzeit konkrete Legalisierungs- bzw. Entkriminalisierungsinitiativen für Magic Mushrooms. Es wäre angesichts des derzeitigen Meinungsklimas wenig überraschend, wenn die Legalisierungsbemühungen am Ende ähnlich erfolgreich verliefen wie bei Cannabis. Die Alarmglocken könnte dies allenfalls beim US-Militär schrillen lassen. Psychedelische Substanzen waren schließlich schon in den 60ern Sand im Getriebe der Rekrutierungsbemühungen. Die Bereitschaft, wildfremde Menschen, die einem nichts getan haben, fernab der Heimat bei militärischen Abenteuern der eigenen Regierung zu erschießen, wird durch den Genuss von Magic Mushrooms sicher nicht gesteigert.


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