Mülltrennung am Balkan: Wo Recycling noch freiwillig ist
Jauchegrube Europas?
Mülltrennung hat in Deutschland fast schon etwas Religiöses. Gibt man zwischen Flensburg und Garmisch offen zu, seinen Abfall nicht zu trennen, wird man bisweilen angeschaut, als würde man kleine Hundewelpen ertränken. Insofern sind auch keine größeren Proteste aus der Bevölkerung gegen eine abermalige Verschärfung einer EU-Abfallrichtlinie zu erwarten, die in Deutschland natürlich mal wieder drakonischer umgesetzt wird als irgendwo sonst in der EU.
Ab kommendem Jahr dürfen keine Textilien mehr in die Restmülltonne und der Anteil an „erlaubtem“ nichtorganischem Müll in der Bio-Tonne sinkt auf ein Prozent. Bei Missachtung drohen Strafen. Als Vorbild gilt vielen Müll-Ökos Hohenlohe in Baden-Württemberg. Die „Heilbronner Stimme“ schreibt über die dortigen Kontrollen der Mülltonnen, diese erfolgten „mit speziell geschulten Teams in Schutzanzügen, die Biotonnen in allen Abfuhrbezirken des Hohenlohekreises stichprobenweise und unangemeldet vor der Abfuhr auf einem rollenden Seziertisch auskippen und den Inhalt auf unerlaubte Fremdstoffe überprüfen“. Danach gehe der Müll wieder in die Behälter. „Jede beanstandete Tonne wird mit rotem Klebeband gesperrt. Und ein weiterer Aufkleber gibt klar und deutlich zu verstehen: So nicht.“ Wie die Erzieher im Kindergarten. Der Chef der Bundesgütegemeinschaft Kompost, David Wilken, meint dazu: „Wenn die Kontrolle fehlt, dann hat man auch keinen Anreiz mehr zum Getrenntsammeln.“ Das ist nicht nur ziemlich autoritärer Müll, sondern meiner Ansicht nach auch falsch. Die meisten Deutschen trennen ihren Abfall nicht, weil sie durch Kontrollen oder Strafen dazu gezwungen werden, sondern weil sie durch jahrzehntelange Öko-Propaganda an die Sinnhaftigkeit glauben und gerade am Dorf auch die Angst vor sozialer Kontrolle mitschwingt. Recycling und deutsche Weltrettungsallüren passen zusammen wie Arsch auf Eimer. Auch Abfallvermeidung ist bei den Deutschen hoch im Kurs, zumindest wenn es gerade politisch opportun ist. Von Abfallvermeidung war zwischen 2020 und 2023 jedenfalls plötzlich keine Rede mehr, als ohne jede Sinnhaftigkeit und nur für ein bloßes Gefühl von Schutz Millionen von Masken zusätzlich im Müll gelandet sind. Von den Weltmeeren ganz zu schweigen.
68 Prozent der Deutschen geben laut Statista an, regelmäßig ihren Müll zu trennen. Deutlich höher sind diese Zahlen nur in Luxemburg, Belgien und Frankreich, wo rund 80 Prozent der Menschen laut Selbstauskunft ihren Abfall trennen. Ganz anders am Balkan, wo Rumänien und Bulgarien in Sachen Recycling zu den Schlusslichtern der EU gehören. Für die „Deutsche Welle“ sind daher besonders diese beiden Länder „die Jauchegrube Europas“. Das ist nicht nur ziemlich arrogant und herablassend, sondern in dieser Pauschalität auch nicht richtig.
Ich bin im Gegenteil bisher sehr angenehm überrascht über die Abfallbeseitigung in Bulgarien. Recyceln kann hier jeder auf freiwilliger Basis. In Sofia etwa stehen überall bunte Container rum, die private Mülltrennung ermöglichen sollen. So richtig gut angenommen werden diese allerdings nicht. Zumal viele Bulgaren scheinbar glauben, dass der Dreck am Ende doch wieder zusammenkommt. Wesentlich populärer sind da die großen grauen Container, die an jedem Häuserblock stehen. Da kann jeder seinen Abfall ohne Trennung einfach in einem Plastikbeutel reinwerfen. Ich fülle auch gerne leere Paketboxen, die jetzt dank elterlicher Westpakete in der Adventszeit zuhauf in unserer Wohnung herumstehen, mit Abfall und werfe dann einfach die ganze Box voll mit Müll in den Container. Da kommt dann alles zusammen: Orangenschalen, Windeln, Plastikflaschen, Dosen und natürlich auch alte Textilien. Das ist für die Privathaushalte nicht nur eine enorme Zeitersparnis, sondern ist auch wesentlich hygienischer als das deutsche System, bei dem der Müll je nach Kommune und Tonnenfarbe zwischen einer und vier Wochen vor der eigenen Haustüre vor sich hinstinkt. Hier hingegen habe ich bisher noch kein einziges Mal erlebt, dass ein Container überquillt. Alle zwei bis drei Tage werden diese geleert. In Sofia geschieht dies vor allem nachts, wenn die Menschen schlafen und die Müllwägen nicht die Straßen blockieren. Und ich mag, wie flexibel und effizient die Müllfahrer hier sind. Stellt jemand eine alte Matratze neben den Container, nimmt die Mülllabfuhr diese ohne komplizierte und teure Sperrmüllanmeldung einfach mit. Die bunten Recyclingtonnen nutze ich übrigens auch hin und wieder, wenn es gerade passt, aber ohne das Zwanghafte, das der Mülltrennung in Deutschland innewohnt.
Damit will ich natürlich nicht sagen, dass mit der Abfallsituation am Balkan alles in Butter ist. Müll ist hier ein Geschäft, bei dem oft viel Korruption mit im Spiel ist. Die offizielle, von der bulgarischen Regierung genannte Recyclingquote im Land beträgt übrigens 62 Prozent; während die EU eher von einer Quote von unter zehn Prozent ausgeht und vor allem moniert, dass der Großteil des Mülls weiterhin deponiert werde. Doch nicht nur Bulgarien, auch die Bundesregierung lügt sich ihre Recycling-Statistik regelmäßig schön. Es macht eben einen riesigen Unterschied, ob man den Recyclinganteil daran festmacht, was jährlich in eine Recyclinganlage gebracht wird, oder daran, wie viel Prozent des dortigen Mülls dann auch tatsächlich in den Kreislauf zurückgeführt werden. Ich kann mir übrigens vorstellen, dass es am Balkan eine Art informeller Recyclingquote gibt, die logischerweise in keiner Statistik auftaucht. Ständig sehe ich hier Menschen etwas aus Müllcontainern ziehen, das sie noch brauchen können, manchmal auch im größeren Stil.
Doch auch in Bulgarien gibt es Öko-Nazis, für die Deutschland das leuchtende Vorbild ist und die gerne mit autoritären Methoden ihre Landsleute zur Mülltrennung nötigen wollen. Die linksgrüne Lobbyorganisation Za Zemiata (Für die Erde) etwa setzt sich neben einer privaten Recyclingpflicht auch für ein lästiges Einwegpfand wie in Deutschland ein und will ein Chipsystem für Müllcontainer einführen, das den Behörden helfen soll, das Müllvolumen pro Haushalt zu berechnen und eine Abfallsteuer daran zu knüpfen. Als größtes Hindernis für ihre Arbeit nennt Za Zemiata dann auch nicht ganz überraschend, dass viele Bulgaren die von ihnen vorgeschlagenen „Verbesserungen“ nicht unterstützen würden.
Natürlich ist die Situation in Sofia nicht notwendigerweise auf den ländlichen Raum übertragbar. Auch in Albanien habe ich die Freiheit sehr genossen, meinen Müll nicht trennen zu müssen. Anders als hier in Sofia wurden allerdings in Tirana die Container nicht häufig genug geleert, was gerade im Sommer zu Geruchsbelästigung geführt und leider auch den ein oder anderen tierischen Stadtbewohner angezogen hat. Was ich so höre und lese, scheint dies auch im ländlichen Bulgarien punktuell ein Problem zu sein. Spannend finde ich im Übrigen, dass Bulgarien mit 17.000 Kilo Müll pro Kopf zu den Ländern Europas mit dem größten Abfallaufkommen gehört, während das verwandte Nachbarland Mazedonien in dieser Statistik mit 688 Kilo pro Person das Schlusslicht Europas bildet.
Das jetzige kommunale Müllsystem gelangt laut Medienberichten allerdings auch in der Hauptstadt bald an seine Grenzen, weil angeblich die Deponien überlaufen. Demnach droht Sofia schon in drei Jahren eine schwere Müllkrise wie bereits 2007. Ob es tatsächlich auch so kommt? Ich habe momentan jedenfalls keine größere Sehnsucht nach einem privaten System, das für mich auf jeden Fall mit höheren Kosten einhergehen würde. Solange es funktioniert, ich nicht gegängelt werde und es für mich ohne zusätzliche Kosten verbunden ist, darf der Staat gerne meinen Müll abholen.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.