08. Dezember 2022 19:00

Binde und Mantel der Geschichte Wie Deutsche Fremdscham neu definierten

Ansonsten bleibt die historische Kontinuität gewahrt

von André F. Lichtschlag

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Wir hatten es immer geahnt: Wenn der Faschismus wiederkehrt, werden deutsche Politiker in Sportstadien keine rote Armbinde mehr tragen, sondern eine bunte.

Jetzt sind wir mal wieder mittendrin im historischen Schlamassel. Nicht nur in Deutschland, klar. Aber so wie im ersten totalitären Jahrhundert auch, ist die deutsche Version des Wahns die hochnäsigste.

Es waren immerhin sieben von 32 teilnehmenden Fußballverbänden, die bei der WM in Katar mit „One Love“ ein Zeichen setzen wollten. Aber nachdem die Fifa das untersagte, waren es ganz allein die Deutschen, die es durchzogen. Statt sich auf das wichtige erste Spiel gegen Japan fokussiert mental vorzubereiten, diskutierte „die Mannschaft“ über neue Götter und die Welt, hielt sich dann zum Gespött derselben die Hand vor den Mund – und verlor das Spiel. Alles andere ist Sportgeschichte, die anderen spielen um den WM-Titel.

Jetzt sind der Sport, die Kultur, die Liebe, das Wetter und der ganze Rest durchpolitisiert bis zum sprichwörtlichen Erbrechen (sicher hatten so manche deutschen Spieler genau dieses Gefühl bei der dazu passenden Geste). So sind totalitäre Gesellschaften definiert, und so ist es eben auch heute.

Derweil tingelt die deutsche Außenministerin um den Globus, um alle anderen mit erhobenem Zeigefinger am deutschen Wesen zu belehren, mal mit Tadel, wie arrogant, mal mit Lob, noch arroganter. Reihenweise werden die deutschen Botschafter nach dieser Politik der verbrannten diplomatischen Erde zum Rapport zitiert. Verzweifelte Diplomatenbriefe zeugen immer öfter von diesem Waterloo – oder Stalingrad? –, das immer noch niemand wahrhaben will. So schnell kehren Deutsche nicht um. Wollt ihr den totalen Regenbogen?

Und so erklärte sich die deutsche Innenministerin (ernsthaft!) „zuständig für die Nationalelf“ – auch das war zuletzt während der vorhergehenden totalitären Versuche eins und zwei in Deutschland üblich – und reiste also in bunter Mission ins ferne Emirat. Was sie dann dort zeigte, hat nicht nur die Fremdscham weltweit neu definiert, sondern auch nachhaltig bewiesen, dass der deutsche Totalitarismus stets nicht nur der hochnäsigste und arroganteste von allen ist, sondern auch der hässlichste. Braune Hemden – hallo?

Vergleich macht klug. Einen Tag vor dem großen Auftritt Nancy Faesers beim Spiel gegen Japan mussten bereits die Dänen gegen Tunesien antreten. Unser kleiner Nachbar im Norden hatte sich nach den deutschen als zweitlautester Bindenvertreter bemerkbar gemacht. Auch die dänische Mannschaft wollte „ein Zeichen setzen“, nur eben stilvoller, und in schicken schwarzen Trikots auflaufen – was aber die Fifa ebenfalls verbot, und damit ließen es die dänischen Fußballer dann auch bewenden.

Natürlich aber reiste auch eine dänische Politikerin zum ersten Gruppenspiel mit Regenbogenbotschaft. Die ehemalige dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt erschien auf der Tribüne aber nicht wie die deutsche Innenministerin mit Binde am nackigen Arm, sondern mit güldener Handtasche im edlen königsblauen Mantel mit liebesbunten Ärmeln. Was. Für. Ein. Unterschied.

Klar, auch die Dänen hatten am Ende zu viel Politikplatschquatsch im Kopf und schieden wie die Deutschen in der Vorrunde aus, sogar ohne jeden Sieg als Gruppenletzter. Aber die hatten ja auch nicht Costa Rica zugelost bekommen.

Nur winkte ihnen zur Abreise niemand mit vorgehaltener Hand hämisch hinterher. Kein Botschafter wurde einbestellt, kein Diplomat schrieb verzweifelte Briefe nach Hause. Und Gianni Infantino schien sich neben Helle Thorning-Schmidt auch deutlich wohler zu fühlen als neben Nancy Faeser.

Nicht bekannt ist, ob die Kleidung Thorning-Schmidts als Mantel der Geschichte ins dänische Museum wandert. Nancy Faeser hat ihr Accessoire schon im Haus der Geschichte abgegeben, wo es nun neben anderen deutschen Binden historisch drapiert wird. Werden dort eigentlich auch Sandaletten und Tennissocken gezeigt?

Ach ja: Hatte ich erwähnt, dass die deutsche Form des Totalitarismus stets auch die humorloseste ist? Es bleibt ein Trauerspiel.


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