09. Dezember 2022 07:00

Internet-Zensur In Europa wird der Vogel nach ihren Regeln fliegen

Elon Musk in der Rolle des Hofnarrs

von Stefan Blankertz

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„EU-Kommissar droht Musk mit Abschaltung von Twitter in Europa.“ „Notfalls Twitter-Verbot: EU zieht Musk die Daumenschrauben an.“ „In Europa wird der Vogel nach unseren Regeln fliegen“, twitterte EU-Kommissar Thierry Breton bereits Ende Oktober, kurz nach Bekanntwerden der Twitter-Übernahme durch Elon Musk. Worum geht es? Ganz einfach ausgedrückt: Die EU und die USA wollen wie die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran, von den übrigen üblichen Verdächtigen ganz zu schweigen, die Plattformen der Social Media dazu verpflichten, missliebige Inhalte zu zensieren.

„Elon Musk bestätigt Sperre des Rappers Kayne West.“ „Elon Musk greift auf Twitter im Falle Kayne West durch.“ Worum geht es? Das lässt sich nicht ganz so unkompliziert sagen. Der Rapper Kayne West verstieß wiederholt gegen die Benutzerstandards von Twitter. In einem privatrechtlichen Zusammenhang ist es völlig in Ordnung, ihm die Weiternutzung des Mediums zu verweigern, genauso wie man jemanden, der sich danebenbenimmt, im Laden, Restaurant oder sonst wo legitimerweise Hausverbot erteilen kann. Im Print- wie im Online-Bereich werden eigentümlich frei beziehungsweise die Freiheitsfunken ebenso wie das „Neue Deutschland“, die „TAZ“, „der Spiegel“, die „Welt“, die „FAZ“, die „Junge Freiheit“ oder sonst ein Medium nicht erlauben, dass dort Leute etwas veröffentlichen, was der Meinung der Herausgeber oder der Eigentümer widerspricht.

Allerdings ist Twitter eben kein Äquivalent einer Zeitung, sondern eine Plattform der Weiterleitung, eher mit der Post vergleichbar. Und die Post gehen die weitergeleiteten Inhalte nichts an. Oder andersherum gesagt: Es zeichnet Diktaturen aus, dass sie das Postgeheimnis nicht achten und die Weiterleitung von Inhalten, sei es in Form von Briefen an einzelne Adressanten, sei es in Form von Drucksachen an eine Vielzahl von Empfängern, überwachen und gegebenenfalls unterbinden.

Erste Ironie der Geschichte: Elon Musk hatte Twitter aus genau diesem Grunde überhaupt aufgekauft: Er kritisierte, dass Twitter sich den Zensurwünschen der Politik unterwerfe und versprach, eine freie Plattform wiederherzustellen. Doch brauchte es nur wenige Tage, bis er merkte, dass er die Rechnung ohne die Staatsgewalt – oder besser: die diversen Staatsgewalten – gemacht hatte. Die Staatsgewalten drohen ihm mit dem Entzug der Geschäftsbasis, falls er sich ihren jeweiligen Forderungen nicht unterwirft. Auf diese Weise gelangt Twitter nach der Übernahme durch Musk dann in die gleiche Situation wie vor der Übernahme durch Musk. Den ganzen Ärger und das ganze investierte Geld hätte er sich sparen können.

Zweite Ironie der Geschichte: Da es für die Staatsgewalten von höchster Priorität ist, die Hoheit über die sozialen Medien zu gewinnen und zu erhalten, gerät Twitter als Eigentum von Elon Musk, der sich (scheinbar) den Forderungen der Staatsgewalten entgegenstellt, ins besondere Fadenkreuz der Zensoren. Es könnte am Ende darauf herauslaufen, dass sie bei ihm die Daumenschrauben erheblich mehr anziehen als bei politisch unauffälligen Eigentümern. Die Staatsgewalten wollen demonstrieren, dass sie auch im Medienbereich durchsetzen können, was immer wie durchsetzen wollen.

Nun ist Elon Musk alles andere als ein naiver Unternehmer, und wir sollten unser Mitleid mit ihm als Opfer der Staatsgewalt in engen Grenzen halten. Fast alle Unternehmungen, die Musk gründete, an denen er sich beteiligte oder die er übernahm, operieren in einem hochpolitischen Umfeld, in dem es darauf ankommt, mit den Behörden der Staatsgewalten in bestem Einvernehmen zu operieren. Ganz besonders gilt dies selbstredend für seine Elektroautos. Da er sich in diesem Segment engagierte, war er lange Zeit ein Liebling derjenigen, die ihn heute wegen seines Eintretens für Meinungsfreiheit hassen. Elektroautos verbreiten sich bis heute vor allem aufgrund politisch gesetzter Rahmenbedingungen; sie sind zumindest derzeit noch nicht durch reine Marktkräfte zu verbreiten. Tesla beschäftigt ganze Heerscharen von Leuten, die auf nichts anderes spezialisiert sind als auf die Optimierung von staatlichen Subventionen.

Schon allein um diese staatlichen Subventionen nicht zu gefährden, muss Musk sich mit der Provokation der politischen Klasse zurückhalten. Er ist, wie vermutlich alle Unternehmer, deren Produkte und Herstellungsstätten eine gewisse Sichtbarkeit eignet, durch die Staatsgewalt erpressbar. Er hätte es nicht zu dem Vermögen gebracht, das ihm zum reichsten Menschen der Erde macht, wenn er bezogen auf den Umgang mit der Politik nicht geübt und vor allem sehr vorsichtig wäre. In der Hinsicht gleicht seine Situation derjenigen von Donald Trump.

An der Causa Musk erkennen wir die Struktur der demokratisch-korporatistisch strukturierten Staatsgewalt, die in der herrschenden Meinung (Meinung der Herrschenden) als „kapitalistisch“ bezeichnet wird: Die Unternehmer, weit davon entfernt, Feinde der Staatsgewalt zu sein, fungieren als verlängerter Arm der Staatsgewalt. Staatsgewalt und (die meisten) Unternehmer bilden eine korporatistische Einheit, in welcher der gegenseitige Vorteil gewahrt wird. Es kommt hin und wieder zu Reibereien zwischen beiden Parteien, manchmal auch innerhalb von ihnen; die Interessen sind nicht harmonisch. Es ist eine Zweck-, keine Liebespartnerschaft. Und ab und zu geben Unternehmer wie Trump oder Musk sich dazu her, den Kasper zu machen, nur um den Leuten vorzugaukeln, es gäbe innerhalb des herrschenden Systems so etwas wie eine Wahl, Alternative oder Opposition. Zur Zeit von Ronald Reagan seligen Angedenkens wurde diese Rolle noch von einem Profi besetzt. Heute reichen Amateurschauspieler.


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