10. Dezember 2022 19:00

Ungarn Zurück in die Planwirtschaft

Obwohl er sein Land in den Abgrund führt, ist Viktor Orbáns Popularität unter AfD-Anhängern ungebrochen

von Thorsten Brückner

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Ungarn dürfe nie wieder zu einem sozialistischen Land werden, warnte Premierminister Viktor Orbán während des Wahlkampfs im Frühjahr. Doch wenn ein ungarischer Vater zuletzt seinen Kindern die Auswirkungen sozialistischer Politik erklären wollte, musste er dafür kein Geschichtsbuch aufschlagen, sondern lediglich mit ihnen zur nächsten Tankstelle fahren. Vor einem Jahr hatte die ungarische Regierung die Treibstoffpreise auf 480 Forint pro Liter gedeckelt (rund 1,15 Euro). Das Ergebnis: lange Schlangen an den Zapfsäulen, Hamsterkäufe und Tanktourismus. Letzterem begegnete die Regierung mit einer weiteren populistischen Maßnahme. Den subventionierten Sprit gab es seit Ende Mai nur noch für Autos mit ungarischen Nummernschildern.

Dass Orbán sein Land damit einmal mehr auf Konfrontationskurs mit der EU brachte, war einkalkuliert. Der bekennende Helmut-Kohl-Fan Viktor Orbán weiß: Mit Poltern gegen die EU im Namen vermeintlich nationaler Interessen gewinnt man in Ungarn Wahlen. Und so kam es dann auch: Rund 38 Prozent der wahlberechtigten Ungarn votierten im April für Fidesz, was dank des von Orbán eingeführten Wahlrechts seiner Partei abermals eine satte Zweidrittelmehrheit einbrachte. Doch die Rechnung bekamen die Ungarn bereits einige Monate später präsentiert. An immer mehr Tankstellen wurde die Spritabgabe rationiert, wenn es denn überhaupt noch welchen gab. Der Schwarzmarkt mit Benzin blühte. Viele kleine und unabhängige Tankstellen mussten schließen.

Und das, obwohl Orbán auch für diese Klientel Wahlgeschenke bereithielt. Mit 20 Forint pro verkauftem Liter versprach er, die Einnahmenverluste von Tankstellen aus dem Staatssäckel auszugleichen. Ein schönes Beispiel, wie ein populistischer Markteingriff immer weitere nach sich zieht. Diese Woche war es dann der größte Mineralölkonzern des Landes, MOL, der Alarm schlug und vor einem unmittelbar bevorstehenden kompletten Zusammenbruch der Treibstoffversorgung warnte, was die Regierung schließlich zum Einknicken bewog. In den Tagen zuvor war es vermehrt zu Panikkäufen an den Zapfsäulen gekommen.

Für viele andere Güter gelten die von der Regierung festgesetzten Maximalpreise aber nach wie vor. Strom und Gas werden für Privathaushalte bereits seit 2014 subventioniert. Seit vergangenem Jahr gibt es zudem Preisobergrenzen für Grundnahrungsmittel wie Milch, Mehl und Zucker; vor Kurzem wurden die Obergrenzen auch auf Kartoffeln und Eier ausgeweitet. Finanzieren will Orbán diese Politik, die er auf gar keinen Fall als sozialistisch verstanden wissen will, mit exzessiven Sondersteuern für bestimmte Unternehmen. Betroffen davon war auch die Fluggesellschaft Ryanair, die es aber daraufhin gewagt hat, die Zusatzsteuer teilweise an ihre Kunden weiterzugeben. Orbáns Rache folgte auf dem Fuß. Die ungarische Regierung brummte Ryanair eine Strafe in Höhe von 300 Millionen Forint (rund 750.000 Euro) auf. Begründung: Verletzung des Kundenschutzes. Ryanair zog unmittelbar Konsequenzen. Statt ihre Tätigkeiten in Ungarn wie geplant auszubauen und die Zahl der Passagiere von derzeit 4,5 auf fünf Millionen pro Jahr zu steigern, werden ab dem kommenden Jahr nur noch weniger als vier Millionen Passagiere mit Ryanair am Ferenc-Liszt-Flughafen starten oder landen. Acht Verbindungen wurden ersatzlos gestrichen. „Irrsinnig und idiotisch“, nannte Ryanair-Geschäftsführer Michael O’Leary das Verhalten der ungarischen Regierung.

Die meisten Ungarn dürfte das aber kaltlassen. Dank des Absturzes der Landeswährung Forint war für viele schon in diesem Jahr nur ein Urlaub am Balaton drin. Und während überall in Europa derzeit die Preise steigen, galoppieren sie in Ungarn bei vielen Gütern regelrecht. Der Brotpreis stieg um 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei Käse sind es 68 Prozent, während der Preisanstieg bei Nudelprodukten 53 Prozent beträgt. Bisher gelang es Orbán recht gut, die Ungarn davon zu überzeugen, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten vor allem auf den Ukraine-Krieg zurückzuführen seien. Er baut dabei auf das notorisch schwache Langzeitgedächtnis seiner Wähler. Wer im vergangenen Herbst und Winter in Ungarn gelebt hat, konnte bereits damals, ganz ohne Ukraine-Krieg, mitbekommen, wie Preise fast wöchentlich anzogen.

Dass dies Orbáns Popularität auch unter AfD-Anhängern in Deutschland keinen Abbruch tut, kann nur auf den ersten Blick verwundern. Zum einen steht ein Großteil der AfD-Klientel mit marktwirtschaftlichen Prinzipien ohnehin auf Kriegsfuß. Zum anderen ist es Orbán seit 2015 gut gelungen, Ungarn unter seiner Führung als das Bollwerk der abendländischen Zivilisation gegen muslimische Masseneinwanderung zu inszenieren. Wenn Orbán die Gefahr außereuropäischer Einwanderung beschwört, ist ihm der Applaus einer Klientel gewiss, die beim Anblick einer Muslima mit Hijab das Ende des christlichen Europas gekommen sieht. Orbán bedient solche Vorurteile, wenn er verschleierte Frauen mit Briefkästen vergleicht oder, wie zuletzt bei seiner Rede im Juli in Tusnádfürdő (Rumänien), vor der Vermischung der europäischen mit außereuropäischen Rassen warnt.

Die Obsession der europäischen Rechten mit dem Thema Ausländer/Einwanderung sorgt auch dafür, dass Orbán Dinge verziehen werden, die sich kein anderer Regierungschef erlauben könnte, ohne aus diesem Lager mit beißender Kritik überzogen zu werden. Die wenigsten Orbán-Fans sind sich dabei ihrer eigenen doppelten Standards bewusst. Dieselben Leute, die bei jeder Gelegenheit jammern, AfD-Politiker würden zu selten in Polit-Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen eingeladen, haben scheinbar kein Problem damit, dass Orbán die Opposition im staatlichen Fernsehen praktisch gar nicht zu Wort kommen lässt.

Und während führende AfD-Politiker in der Covid-Politik der Bundesregierung völlig zu Recht autoritäre Machenschaften identifizierten, feierten in sozialen Netzwerken nach dem Fidesz-Wahlsieg dieselben AfD-Funktionäre geradezu überschwänglich einen Politiker ab, der sein Volk im vergangenen Winter mit Covid-Pässen, Maskenzwang und Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen drangsalierte. Am Ende des Winters werde es nur noch Geimpfte oder Tote geben, prophezeite Orbán im November 2021 im besten Lauterbach-Duktus. Widerstand dagegen kam nur von der Rechtspartei Mi Hazánk (Unsere-Heimat-Bewegung), einer Art ungarischer AfD, die mit dem Slogan „Elég a Covid-diktatúrából“ (Genug mit der Covid-Diktatur) erstmals ins Parlament einzog. Übrigens ohne großen Applaus von der vermeintlichen deutschen Schwesterpartei oder deren Anhängern.


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