11. Dezember 2022 19:00

Tod Jiang Zemins Staatstrauer auf Chinesisch

… mit drei Schweigeminuten und Fahnen auf Halbmast

von Stephan Unruh

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Was haben Oscar Wilde und Jiang Zemin gemeinsam? Den Todestag. Beide starben an einem 30. November. Aber während der irische Poet, Schriftsteller, Dandy und Gentlemen verarmt und (fast) vergessen in einem Pariser Hotel verstarb und in seiner Schrift „Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus“ für die Abschaffung des Privateigentums und einen individualistischen Sozialismus (bitte was?) eintrat, war Jiang bis kurz vor seinem Tode einer der mächtigsten Strippenzieher im Reich der Mitte und einer der konsequentesten Vertreter der Reformer innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Seine Karriere begann erst spät, verlief dann aber steil. Bis Deng Xiaoping seinen Reformkurs im Jahr 1979 einläutete, war Jiang in der KPCh nicht groß in Erscheinung getreten, und seine Karriere verlief wenig schwungvoll. 1982 aber wurde er auf dem zwölften Parteitag Mitglied des Zentralkomitees, und weitere drei Jahre später erhielt er den renommierten Posten des Bürgermeisters von Shanghai. Dort verfolgte er einen (für einen Kommunisten) relativ liberalen Kurs: Sowohl 1986 als auch 1989 löste er die Studentenproteste gewaltlos auf, nahm öffentlichen Spott über seine Person (insbesondere seine außerehelichen Affären) hin und konzentrierte sich auf eine effektive Verwaltung der Stadt bei einem zeitgleich bescheidenen privaten Lebenswandel. Nach dem Sturz des damaligen Parteichefs Zhao Ziyang, der 1989 auf Seiten der Studenten- und Demokratiebewegung stand, wurde Jiang dessen Nachfolger und stieg so in den innersten Führungszirkel auf. 1994 wurde er Präsident, 1998 folgte eine zweite Amtszeit. Insbesondere nach der Asienkrise gelang es ihm, die innerparteiliche Opposition gegen weitere Reformen zu überwinden. Sein Fokus lag auf der Privatisierung und der Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Seine Theorie des „Dreifachen Vertretens“ öffnete die Partei für Privatunternehmer und wurde 2002 Staatsdoktrin.

Als Hu Jintao im selben Jahr sein Nachfolger wurde, behielt Jiang dennoch die Fäden in der Hand – manche Stimmen sagen sogar, dass erst dann seine wirkliche Herrschaft begonnen habe. Bis 2005 blieb er Chef der Militärkommission, und im Zentralkomitee der Partei positionierte er mehr Gefolgsleute als Hu. Seine sogenannte Shanghai-Clique war zweifelsohne auch unter Hu noch das einflussreichste Netzwerk. Erst in der zweiten Amtszeit Xis begann Jiangs Einfluss deutlich zu schwinden. Nach der Explosion in Tianjin 2014 wurden zwei Generäle aus Jiangs Umfeld verdächtig, mit der Explosion in Verbindung zu stehen. Im darauffolgenden Jahr wurden „pensionierte Genossen“ offiziell in den Parteimedien scharf kritisiert, wobei Jiang eindeutig das Ziel war, ohne jedoch selbst genannt zu werden. Aber noch während des 19. Parteitags der KPCh im Jahr 2017 saß er neben Xi Jinping, was seine herausragende Stellung verdeutlichte, und 2019 sprach er anlässlich des Begräbnisses des ehemaligen Ministerpräsidenten (und langjährigen Konkurrenten) Li Peng. Auf dem 20. Parteitag, als Xi seinen Vorgänger Hu Jintao medienwirksam (für den Westen) aus dem Saal führen ließ, trat er nicht mehr in Erscheinung.

Angesichts der Proteste gegen das chinesische Lockdown-Regime Ende November/Anfang Dezember kam Jiangs Tod je nach Perspektive zur Unzeit oder im richtigen Moment. Im richtigen Moment insofern, als dass sein Tod als Ablenkung von den Protesten genutzt werden konnte, der in den sozialen Netzwerken die Berichte von den Protesten überdeckte. Zeitgleich aber dienen Begräbnisse ehemaliger Staatsmänner oftmals auch dem Protest oder Unmutsbezeugungen. So beispielsweise das Begräbnis Zhou Enlais, das Deng Xiaoping für verdeckte Kritik an Mao und der Viererbande nutzte, infolgedessen es einige Monate später während Qing Ming (dem traditionellen Ahnengedenktag Chinas) zum sogenannten Tiananmen-Zwischenfall kam, bei dem sich Hunderttausende Chinesen auf dem Platz des Himmlischen Friedens versammelten, dort Zhou gedachten und Mao kritisierten. Auch der Todestag des bereits erwähnte Zhao Ziyangs war und ist ein solcher Kristallisationspunkt chinesischer Oppositioneller. Obwohl ihm von der Partei ein offizielles Begräbnis verweigert wurde und seine Asche zehn Jahre lang nicht beigesetzt werden durfte, versammeln sich seine Anhänger und Sympathisanten an seinem Todestag noch immer vor seinem Haus.

Entsprechend vereinnahmte Peking Jiangs Tod von Anfang an. Viele chinesische Medien brachten Bilder von Jiang meist nur zusammen mit Xi. Chinas starker Mann selbst würdigte Jiangs Verdienste in einer einstündigen Rede während dessen Aufbahrung in Peking, wobei ihn sein auf dem jüngsten Parteitag endgültig entmachteter Vorgänger Hu öffentlichkeitswirksam begleitete. In der Rede selbst spielte Xi dabei auf die brutale Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 an – normalerweise ein Thema, das in China komplett ausgeblendet wird. Hier darf man durchaus einen doppelten Fingerzeig annehmen: einmal den Versuch, den beim Volk in den letzten Jahren zunehmend beliebteren Jiang (weniger wegen seiner Person selbst, sondern als Gegensatz zu Xi) zu diskreditieren, und andererseits der indirekte Hinweis darauf, es mit den Protesten gegen die Covid-Politik nicht zu übertreiben.

Zu Jiangs Beisetzung am Dienstag dieser Woche heulten dann landesweit für drei Minuten die Sirenen, um die Schweigeminuten für den Verstorbenen anzuzeigen. Am Folgetag endete die Staatstrauer. Während sieben Tagen war diese nicht nur durch Fahnen auf Halbmast, sondern auch durch eine Abschaltung weiter Teile der Gebäudebeleuchtungen angezeigt worden. Darüber hinaus waren zahlreiche Einkaufsapps wie Taobao oder Ding Dong, aber auch U-Bahnanzeigetafeln oder elektronische Werbeflächen in Schwarz-Weiß-Modus geschaltet worden.


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