Tod Jiang Zemins: Staatstrauer auf Chinesisch
… mit drei Schweigeminuten und Fahnen auf Halbmast
von Stephan Unruh
von Stephan Unruh drucken
Was haben Oscar Wilde und Jiang Zemin
gemeinsam? Den Todestag. Beide starben an einem 30. November. Aber während
der irische Poet, Schriftsteller, Dandy und Gentlemen verarmt und (fast)
vergessen in einem Pariser Hotel verstarb und in seiner Schrift „Die Seele des
Menschen unter dem Sozialismus“ für die Abschaffung des Privateigentums und
einen individualistischen Sozialismus (bitte was?) eintrat, war Jiang bis kurz
vor seinem Tode einer der mächtigsten Strippenzieher im Reich der Mitte und
einer der konsequentesten Vertreter der Reformer innerhalb der Kommunistischen Partei
Chinas (KPCh).
Seine Karriere begann erst spät, verlief dann aber steil. Bis Deng Xiaoping
seinen Reformkurs im Jahr 1979 einläutete, war Jiang in der KPCh nicht groß in
Erscheinung getreten, und seine Karriere verlief wenig schwungvoll. 1982 aber
wurde er auf dem zwölften Parteitag Mitglied des Zentralkomitees, und weitere drei
Jahre später erhielt er den renommierten Posten des Bürgermeisters von Shanghai.
Dort verfolgte er einen (für einen Kommunisten) relativ liberalen Kurs: Sowohl
1986 als auch 1989 löste er die Studentenproteste gewaltlos auf, nahm öffentlichen
Spott über seine Person (insbesondere seine außerehelichen Affären) hin und
konzentrierte sich auf eine effektive Verwaltung der Stadt bei einem zeitgleich
bescheidenen privaten Lebenswandel. Nach dem Sturz des damaligen Parteichefs Zhao
Ziyang, der 1989 auf Seiten der Studenten- und Demokratiebewegung stand, wurde Jiang
dessen Nachfolger und stieg so in den innersten Führungszirkel auf. 1994 wurde
er Präsident, 1998 folgte eine zweite Amtszeit. Insbesondere nach der
Asienkrise gelang es ihm, die innerparteiliche Opposition gegen weitere Reformen
zu überwinden. Sein Fokus lag auf der Privatisierung und der Förderung kleiner
und mittelständischer Unternehmen. Seine Theorie des „Dreifachen Vertretens“
öffnete die Partei für Privatunternehmer und wurde 2002 Staatsdoktrin.
Als Hu Jintao im selben Jahr sein Nachfolger
wurde, behielt Jiang dennoch die Fäden in der Hand – manche Stimmen sagen sogar,
dass erst dann seine wirkliche Herrschaft begonnen habe. Bis 2005 blieb er Chef
der Militärkommission, und im Zentralkomitee der Partei positionierte er mehr
Gefolgsleute als Hu. Seine sogenannte Shanghai-Clique war zweifelsohne auch
unter Hu noch das einflussreichste Netzwerk. Erst in der zweiten Amtszeit Xis
begann Jiangs Einfluss deutlich zu schwinden. Nach der Explosion in Tianjin 2014
wurden zwei Generäle aus Jiangs Umfeld verdächtig, mit der Explosion in
Verbindung zu stehen. Im darauffolgenden Jahr wurden „pensionierte Genossen“
offiziell in den Parteimedien scharf kritisiert, wobei Jiang eindeutig das Ziel
war, ohne jedoch selbst genannt zu werden. Aber noch während des 19. Parteitags
der KPCh im Jahr 2017 saß er neben Xi Jinping, was seine herausragende Stellung
verdeutlichte, und 2019 sprach er anlässlich des Begräbnisses des ehemaligen
Ministerpräsidenten (und langjährigen Konkurrenten) Li Peng. Auf dem 20. Parteitag,
als Xi seinen Vorgänger Hu Jintao medienwirksam (für den Westen) aus dem Saal
führen ließ, trat er nicht mehr in Erscheinung.
Angesichts der Proteste gegen das chinesische Lockdown-Regime Ende November/Anfang
Dezember kam Jiangs Tod je nach Perspektive zur Unzeit oder im richtigen
Moment. Im richtigen Moment insofern, als dass sein Tod als Ablenkung von den Protesten
genutzt werden konnte, der in den sozialen Netzwerken die Berichte von den
Protesten überdeckte. Zeitgleich aber dienen Begräbnisse ehemaliger
Staatsmänner oftmals auch dem Protest oder Unmutsbezeugungen. So beispielsweise
das Begräbnis Zhou Enlais, das Deng Xiaoping für verdeckte Kritik an Mao und
der Viererbande nutzte, infolgedessen es einige Monate später während Qing Ming
(dem traditionellen Ahnengedenktag Chinas) zum sogenannten Tiananmen-Zwischenfall
kam, bei dem sich Hunderttausende Chinesen auf dem Platz des Himmlischen
Friedens versammelten, dort Zhou gedachten und Mao kritisierten. Auch der Todestag
des bereits erwähnte Zhao Ziyangs war und ist ein solcher Kristallisationspunkt
chinesischer Oppositioneller. Obwohl ihm von der Partei ein offizielles
Begräbnis verweigert wurde und seine Asche zehn Jahre lang nicht beigesetzt
werden durfte, versammeln sich seine Anhänger und Sympathisanten an seinem
Todestag noch immer vor seinem Haus.
Entsprechend vereinnahmte Peking Jiangs Tod von Anfang an. Viele chinesische Medien brachten Bilder von Jiang meist nur zusammen mit Xi. Chinas starker Mann selbst würdigte Jiangs Verdienste in einer einstündigen Rede während dessen Aufbahrung in Peking, wobei ihn sein auf dem jüngsten Parteitag endgültig entmachteter Vorgänger Hu öffentlichkeitswirksam begleitete. In der Rede selbst spielte Xi dabei auf die brutale Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 an – normalerweise ein Thema, das in China komplett ausgeblendet wird. Hier darf man durchaus einen doppelten Fingerzeig annehmen: einmal den Versuch, den beim Volk in den letzten Jahren zunehmend beliebteren Jiang (weniger wegen seiner Person selbst, sondern als Gegensatz zu Xi) zu diskreditieren, und andererseits der indirekte Hinweis darauf, es mit den Protesten gegen die Covid-Politik nicht zu übertreiben.
Zu Jiangs Beisetzung am Dienstag dieser Woche heulten dann landesweit für drei Minuten die Sirenen, um die Schweigeminuten für den Verstorbenen anzuzeigen. Am Folgetag endete die Staatstrauer. Während sieben Tagen war diese nicht nur durch Fahnen auf Halbmast, sondern auch durch eine Abschaltung weiter Teile der Gebäudebeleuchtungen angezeigt worden. Darüber hinaus waren zahlreiche Einkaufsapps wie Taobao oder Ding Dong, aber auch U-Bahnanzeigetafeln oder elektronische Werbeflächen in Schwarz-Weiß-Modus geschaltet worden.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.