Kryptowährungen: Wasser in den Wein
Bitcoin (noch immer) für die Freiheit?
von Stephan Unruh
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Keine Sorge: Ich bin kein frustrierter Non-Coiner, der den furiosen Run seit 2009 verpasst hat. Auch wenn ich nicht bereits 2011, als ich das erste Mal mit BTC in Berührung kam, zugeschlagen habe, sondern dies erst 2013 in den Kollaps nach dem ersten Anstieg auf über 1.000 US-Dollar getan habe – und dann auch nicht in der Dimension, in der ich es 2011 eigentlich geplant hatte, weil zu dieser Zeit meine Liquiditätssituation eine andere war. Auch war ich nicht hinreichend clever, alleine BTC zu „hodln“, sondern habe in dem Bullenmarkt 2017 einen Teil meiner BTC in andere Altcoins (besser Shitcoins) getauscht – Diversifikation und so, Sie verstehen. Und Dash, Iota, Light Coin und Co haben seitdem, vorsichtig formuliert, nicht ganz so performt wie das Original. Unter dem Strich aber kann ich immer noch einige BTC mein Eigen nennen, und es ist (derzeit) mit weitem Abstand der beste Trade, den ich jemals gemacht habe (der zweitbeste war ein hoch gehebelter Silbershort im Jahr 2011), auch wenn die Gewinne weitgehend unrealisiert sind. Ich bin auch kein notorischer Goldbug, der in Kryptowährungen per se ein riesiges Pyramidenspiel sieht, aber ich komme doch nicht umhin, festzustellen, dass sich die BTC-Gemeinde deutlich verändert hat.
Als ich 2011 erstmals in Kontakt mit der (deutschen) Kryptoszene kam, war es eine rein libertäre, wenn nicht sogar anarchokapitalistische Gesellschaft. Im Rahmen eines Ron Paul Meetup (gibt es dieses soziale Netzwerk noch?) traf man sich konspirativ in einem Münchner Veranstaltungsraum. Ausgelatschte Sneaker und Kapuzenpullover waren die Standardklamotten. Jeder konnte ausführlich Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises und Murray Rothbard zitieren. Den Schlachtruf „End the Fed“ (das gleichnamige Buch hatte Ron Paul 2009 verfasst und es war gerade in deutscher Übersetzung erschienen) trug jeder auf den Lippen und entsprechend waren alle Anwesenden natürlich nicht nur große Ron-Paul-Enthusiasten, sondern sahen im herrschenden Geldsystem das gesellschaftliche Kernproblem und in Bitcoin die entsprechende Lösung: ein dezentrales, Peer-to-peer-Bezahlsystem, das alle jene „Mittelmänner“ wie Geschäftsbanken, Kreditkartenfirmen, Zentralbanken und so weiter, und so fort eliminieren sollte, das keinerlei Kontrolle unterliegt und bei dem die Geldschöpfung auch nicht in der Hand des Staates oder einer kleinen Minderheit liegt, sondern (theoretisch zumindest) für jeden möglich ist … Seitdem ist viel passiert.
Ich war damals noch für ein kleines, aber feines Finanzmarktmagazin tätig, das sich stark auf die Österreichische Schule stützte und insofern natürlich auch das Geldsystem im Visier hatte und hat (im gleichen Jahr gab es eine legendäre Sonderausgabe mit dem Titel „Gutes Geld“, unten verlinkt). Im Folgejahr brach ich meine Zelte in der BRD ab, arbeitete als freier Journalist und verfolgte BTC natürlich weiter. 2017 ereignete sich dann der erste große Bullenrun, der auch seitens der Mainstreammedien größere Beachtung fand – BTC stieg damals auf knapp 20.000 US-Dollar. Es gab einen gewaltigen Hype um ICOs (Initial Coin Offerings), die als das Pendant zu IPOs (Initial Public Offerings, also Börsengänge) verkauft wurden.
Doch wie hatte sich die Szene gewandelt: Statt konspirativer Räumlichkeiten in Münchner Hinterhöfen traf man sich nun in luxuriösen Fünfsternehotels und für die Teilnahme musste man statt einer E-Mail einige Tausend US-Dollar schicken. Potenzielle Multiplikatoren wie meiner einer hingegen mussten natürlich nichts bezahlen (inklusive Zimmer), sondern wurden on top zu vermeintlich elitären Business Lunchs und speziellen Insight-Dinnern eingeladen. Statt Hoodies und Sneakern waren nun Nadelstreifen und Oxfords angesagt. Anwälte von Linklaters und Baker McKenzie saßen plötzlich mit am Tisch, ebenso wie Analysten, Strategen und Fondsmanager von Goldman Sachs, JP Morgan und Merrill Lynch. Diskutiert wurden auch nicht mehr geldtheoretische Überlegungen und Freiheitsperspektiven, sondern in erster Linie Profit- und Investmentaspekte sowie Tokenisierung und natürlich die Frage, wie die millionenschweren Beteiligungen an absurden Projekten, wie mit Tokens zu steuernde Sexpuppen oder „growth cabinets“ für Erdbeeren (weil Werbung für Marihuana-Zucht in Singapur „leicht“ illegal ist), rechtlich abzusichern sind …
Allerdings zeigte sich bald, dass es für die unternehmerische Motivation nur bedingt gut ist, wenn der warme Geldregen vor der Fertigstellung des eigentlichen Produkts einsetzt, und dass ein gut geschriebenes Whitepaper alleine weder Programmierer noch harte Arbeit ersetzt. Entsprechend kollabierte auch bald der Hype um ICOs und Tokens, was aber nicht weiter störte, denn es schloss sich ein Hype um „non-fungible tokens“ (NFTs) an, sinngemäß übersetzt einzigartige Tokens, sprich: Was dort auf oder über eine Blockchain abgebildet wurde, gab es zumeist nur einmal – ideal also, um den Kunstmarkt zu befeuern. Entsprechend ist das „Kunstwerk“ „The Merge“ das bis heute teuerste Kunstwerk, das ein Künstler zu seinen Lebzeiten verkaufte. Für insgesamt 91,8 Millionen US-Dollar wurde der Token damals verkauft – heute halten rund 8.200 Adressen Anteile an dem NTF und der Gesamtwert liegt bei rund 2,5 Millionen US-Dollar. Von der völligen Revolution des Kunstmarkts sind wir, zumindest meines Wissens, inzwischen wieder abgekommen, aber ich bin auch nicht mehr allzu nah dran am Markt.
BTC selbst haben die Booms & Busts nicht weiter gestört. Zwar gab es immer wieder gewaltige Preiseinbrüche, aber anders als die meisten anderen Altcoins, Shitcoins und so weiter stieg der Urvater aller Coins am Ende immer auf neue Allzeithochs – nun sind wir also an der 100.000 US-Dollar-Marke angekommen. Getrieben einerseits von echter Nachfrage, generiert durch die Zulassung der US-Finanzaufsicht für Exchange Traded Funds (ETFs, also börsengehandelter Fonds), die in den Spotmarkt von BTC investierten, also tatsächlich BTC kaufen und nicht nur Derivate oder Futures, und andererseits nun durch die Phantasie, dass die USA unter einem Präsidenten Trump tatsächlich BTC zu ihren Währungsreserven hinzufügen könnten.
Auf diesem Wege aber scheint man zeitgleich von den ursprünglichen Ideen abgekommen zu sein. „Eliminate the middle man“ –also die Eliminierung von Geschäfts- ebenso wie Zentralbanken, Kreditkartenfirmen, Börsen, Kreditgeber und so weiter – war neben „End the Fed“ einer der Kampfrufe. Heute aber gibt es in Bitcoin-Universum mehr Mittelsmänner als je zuvor. Börsen, Wallets, Kreditkarten und so weiter sind alles Mittelmänner, die sich für ihre Dienste natürlich gut bezahlen lassen. Der Einstieg institutioneller Investoren in den Markt erfordert zudem mehr Regulierung. „KYC“ (Know your customer) ist heute überall Standard – für einen normalen (Klein-) Investor ist es nahezu unmöglich geworden, anonym Kryptowährungen zu erwerben. Wenn große und mächtige Staaten nun anfangen, BTC in ihre Währungsreserven einzubauen, wird die Regulierung sicher (noch weiter) zunehmen. Zudem bietet sich dann natürlich die Chance für die Wale (also die Halter großer Mengen an Coins), diese zu Höchstpreisen und auf Kosten der Steuerzahler an den Staat zu veräußern, und zwar ohne dadurch die Preise zu beeinflussen. Die aufrechten Libertären in Hoodies und Sneakern aus dem konspirativen Münchner Veranstaltungsraum aber dürften eher selten zu den Walen zählen, obwohl sie Coiner der ersten Stunden waren und ihre Bereitschaft, BTC auch aktiv zu nutzen (sprich damit zu bezahlen), überhaupt erst dazu beitrug, dass BTC zu dem wurde, was es heute ist.
Nun ist es nur natürlich, dass sich Dinge entwickeln und eben oftmals in Richtungen, die so gar nicht intendiert waren. Auch will ich hier BTC nicht schlechtreden, in Richtung eines Pyramidenspiels verorten oder als Geheimverschwörung bestimmter Kreise zur Hebung der Akzeptanz von rein elektronischen Währungen darstellen. Aber wenn man sich die Entwicklung seit 2017 betrachtet, kommt man eigentlich nicht umhin festzustellen, dass die Kryptogemeinde seit damals von genau jenen Gruppen gekapert wurde, deren Einfluss durch Kryptowährungen eigentlich eingeschränkt oder gar ganz gebrochen werden sollte. BTC scheint mir Stand heute eher nicht mehr das Schwert einer freiheitlichen Revolution gegen das Schuld- und Scheingeldsystems zu sein, sondern vielmehr ein Spekulationsobjekt innerhalb ebendieses Systems.
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