14. Juli 2024 21:00

Internationale Konfliktlage Ausweitung der Kampfzone

Weit und breit kein Frieden in Sicht

von Stephan Unruh

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Bildquelle: Nik Niklz / Shutterstock Heute sind die Geschütze moderner: Und ein Ende der Feuer erscheint ferner denn je

Am Rande des Nato-Gipfels diskutieren Diplomaten auf Initiative der USA die Enteignung chinesischer Vermögenswerte in der EU. Offenkundig wollen Teile der US-Administration den russisch-ukrainischen Krieg als Sprungbrett zum Krieg gegen China nutzen.

Wie üblich im internationalen Geflecht, ist die Sachlage kompliziert und komplex – einfache Wahrheiten gibt es nicht, auch wenn dies die meisten Medienschaffenden suggerieren wollen. Das gilt übrigens wie üblich für alle Seiten. Chinas Position bezüglich des russisch-ukrainischen Krieges ist da nicht anders. Natürlich ist für China die territoriale Integrität der Ukraine eine wichtige Frage (man hat ja ein ähnliches Problem direkt auf der eigenen Fußschwelle), und die Ukraine ist beziehungsweise war ein wichtiger Handelspartner Chinas und eine befreundete Nation – so aber auch Russland, und die Chinesen können auch die russische Seite verstehen. Die (Massen-) Morde in Odessa sind in Peking ebenso unvergessen wie der Umstand, dass rund 15 Millionen ethnische Russen mit dem Putsch des Jahres 2014 von dem neuen ukrainischen Regime zu Bürgern zweiter Klasse gemacht wurden und dass Russland somit verpflichtet (!) ist, diese Menschen zu schützen. Selbstredend versteht man noch viel mehr das russische Sicherheitsbedürfnis, nicht die komplette Südflanke der Nato öffnen zu wollen – genau dasselbe Motiv bewog Mao 1951 zum aktiven Eingriff in den Koreakrieg. Peking hat auch – anders als die westlichen Medien – nicht geflissentlich übersehen, dass der Krieg im Februar 2022 losbrach, nachdem US-Vizepräsidentin Kamala Harris völlig ohne Not auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Ukraine in die Nato einlud (wovon übrigens heute in Washington niemand mehr so recht etwas wissen will) und Wolodymyr Selenskyj en passant die Aufkündigung des Budapester Vertrages sowie die atomare (Wieder-) Bewaffnung der Ukraine ins Spiel brachte.

Mit anderen Worten: Peking saß zu Beginn des Krieges ein bisschen zwischen den Stühlen, entschied sich aber mit dessen anhaltender Fortdauer, mehr und mehr auf Moskau zu setzen. Zum einen aus pragmatischen Gründen: Mit Russland teilt China eine einige Tausend Kilometer lange Grenze, und Russland ist der attraktivere Handelspartner – es bietet selbst attraktive Waren und Güter an (vor allem Energie, aber auch Militärtechnik) und ist als Einkäufer nicht auf Kredit angewiesen. Wichtiger aber ist noch ein anderer Aspekt: Peking sieht inzwischen sehr klar, dass nach einem möglichen Fall Russlands China das nächste Ziel des US-Imperiums sein wird. Denn das Reich der Mitte wird schließlich seit mehr als einer Dekade immer härteren Sanktions- und Importbeschränkungen unterworfen. Die Begründungen hierfür sind meist äußerst fragwürdiger Natur (da der Westen die hier angelegten moralischen Maßstäbe bei sich selbst eben nicht anwendet). Jüngster Streich aus Washington und Brüssel sind angeblich unfaire Subventionen auf E-Autos in China, und man bekommt vor Staunen ob dieser absurden Begründung den Mund kaum zu. Schließlich sind es Brüssel und Washington, die ungezählte Milliarden an Euros beziehungsweise Dollars ausgeben und einen gewaltigen legislativen Aufwand betreiben, um die widerspenstigen US- beziehungsweise EU-Bürger dazu zu bringen, doch endlich auf das angeblich so viel bessere E-Auto umzusteigen.

Kürzlich debattierten, so berichtet es CNN, am Rand des Nato-Gipfels auf Initiative der USA einige Diplomaten darüber, dass man doch strategische Infrastruktur auf dem Gebiet der EU, die sich aktuell in chinesischem Besitz befindet, wieder nationalisieren sollte. Nun ist es grundsätzlich so – dem würde ich zustimmen –, dass sich strategische Infrastruktur besser nicht in fremder Hand befindet. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Die Toilette sollte im eigenen Haus beziehungsweise in der eigenen Wohnung platziert sein – sie an die Straße oder ins Treppenhaus zu bauen, ist in der Regel keine gute Idee, und wer dem Nachbarn das eigene Smartphone zur Aufbewahrung gibt, signalisiert damit eigentlich nur, dass er keines braucht. Wer die nationale Wasserversorgung an einen ihm unfreundlich gesonnenen Nachbarstaat auslagert, braucht sich nicht zu wundern, wenn er eines Tages buchstäblich auf dem Trockenen sitzt.

Man hätte also den Chinesen besagte Infrastruktur besser nicht verkauft. Aber man war halt pleite (und ist es noch, nennt es jetzt aber „Sondervermögen“), und in der Not frisst bekanntlich selbst der Teufel Fliegen. Also besitzen die Chinesen nun zahllose Häfen und Bahnhöfe, Gleisstrecken, Wasserwerke, Brücken und Telekommunikationszentren in der EU. So weit, so schlecht. Ehrbare Kaufleute würden in solch einer Situation versuchen, mit den neuen Besitzern zu verhandeln, und einen Rückkauf anbieten – zu Konditionen, die entsprechend attraktiv sind. US-Diplomaten ticken da freilich ein wenig anders …

Mal abgesehen davon, dass es die Nato eigentlich nichts angeht und es grundsätzlich Sache der jeweiligen Staaten wäre, mit China über das Thema zu sprechen (so viel zur angeblichen Souveränität), scheint der Westen nicht begriffen zu haben, dass es genau derartige Diskussionen und Überlegungen sind, die nahezu alle nicht mit dem Westen assoziierten (man kann auch sagen nicht kontrollierten) Länder in die Opposition treiben. Es sei nur daran erinnert, dass Saudi-Barbarien jüngst damit drohte, alle Euro-Bonds, angefangen mit den französischen, auf den Markt zu werfen, sollte die EU die eingefrorenen russischen Vermögenswerte stehlen. Ich schrieb an dieser Stelle schon einmal, dass der Westen eines seiner zentralen Elemente (spätestens mit Beginn des Krieges in der Ukraine), nämlich den Schutz von Eigentum, für alle Welt deutlich sichtbar entsorgt hat und damit sein eigenes Ende eingeläutet hat, zumindest in dem Sinne, dass er der Hort der Freiheit sei.

Washington aber ist das egal.

Das Imperium sieht seine Kräfte schwinden. China mit seinem pragmatischen Ansatz, seinem Fokus auf Wirtschaft und Handel und seinen rund 1,4 Milliarden unglaublich fleißigen und ebenso unglaublich friedfertigen Menschen, die dank eines hohen Durchschnitts-IQs in den kommenden Jahrzehnten noch kaum geahnte wissenschaftliche Leistungen hervorbringen werden, fordert die USA wie kein zweites Land heraus. In Verbindung mit den russischen Bodenschätzen ergibt sich daraus eine Achse, welche die USA in einem friedlichen Wettbewerb nicht besiegen werden können (in Westrichtung wäre Deutschland-Russland eine solche Achse gewesen, aber Deutschland gibt es nicht mehr). Es ist kein Wunder, dass es Barack Obama war, der den Pivot gen Asien verkündete, und es nun sein ehemaliger Vize Joseph Biden – nur noch sehr bedingt Herr seiner Sinne – ist, der dieses Werk fortführt.

Washington will einen großen Konflikt mit China erzwingen, weil man glaubt, aus diesem noch siegreich hervorgehen zu können. Geschichte reimt sich laut eines Bonmots, das Mark Twain zugeschrieben wird – den Reim sehen wir heute in der Entstehung von Erstem und Zweitem Weltkrieg. Im Jahr 1914 glaubte das Deutsche Kaiserreich, einen baldigen Krieg noch gewinnen zu können, was einige Jahre später schon nicht mehr der Fall gewesen wäre, weil dann das zaristische Russland die Modernisierung seiner Armee abgeschlossen gehabt hätte. Japan entschied sich zum Überfall auf den US-Stützpunkt Pearl Harbour, weil die US-Sanktionen und vor allem das Einfrieren der japanischen Assets aus seiner Sicht bereits eine Kriegserklärung waren. Vor allem aber, und das betrifft gerade den Westen: Vor dem Ersten Weltkrieg wollte vielleicht niemand den Krieg, aber den Frieden hat ebenfalls niemand gewollt, um den Historiker Karl Dietrich Erdmann zu paraphrasieren.

Wir stehen am Vorabend einer gewaltigen Eskalation. Die Eskalationsspirale wird in erster Linie vom Westen gedreht und dies nur vordergründig aus dem Wunsch heraus, moralische, rechtsstaatliche und/oder zivilisatorische Prinzipien verteidigen zu wollen. Der sich im Sinken befindliche Stern der USA veranlasst diese dazu, die sich nähernde Konkurrenz mit Gewalt auf Distanz zu halten. Die Ausweitung der Kampfzone ist die sich daraus ergebende logische Konsequenz. Auf Frieden in der Ukraine brauchen wir nicht zu hoffen. Vielmehr steht die Eröffnung neuer Fronten auf der Agenda.


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