13. Dezember 2022

Klimakleber Wieso „den Weg abschneiden“ eine feindliche Handlung ist

Von Wegabschneidern und Trittbrettfahrern

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass sich Menschen nahezu jeden Alters auf der Straße festkleben, um den Verkehr lahmzulegen. Als Motiv geben sie an, dass sie wähnen, dass sich das Weltklima durch vom Menschen erzeugte Kohlendioxid-Emissionen „mittelfristig“ derart verändern wird, dass es zu schweren Naturkatastrophen kommen wird, ja der Planet quasi unbewohnbar würde. Heute wollen wir die handlungslogischen und psychologischen Aspekte des Klimaklebens genauer anschauen.

Bereits in meiner letzten Kolumne legte ich dar, dass praxeologisch eine feindliche Handlung unter anderem immer dann vorliegt, wenn jemand Drohung, Zwang oder tatsächliche Gewalt einsetzt, um eine zwischenmenschliche Handlung zu bewirken, die ein anderer ansonsten nicht vorgenommen hätte, und diesem dabei ein Schaden entsteht im Hinblick auf den Besitz am eigenen Körper oder an Sachen.

Das Blockieren einer Straße durch Festkleben am Straßenbelag beinhaltet sowohl Komponenten tatsächlicher Gewalt beziehungsweise des Zwanges als auch der Drohung. Tatsächliche Gewalt und Zwang, weil mit dem eigenen Körper ein Hindernis errichtet wird. Drohung, weil der Klimakleber insinuiert, dass die Gruppe der staatlichen Akteure, sprich Polizei und Justiz gegen jedermann mit staatlichen Zwangsmitteln vorgehen wird, der es unternimmt, das Hindernis auf eigene Faust aus dem Weg zu räumen. Der Autofahrer wird hierdurch geschädigt in seinem Besitz an seinem Körper, an seinem Fahrzeug und im Mitbesitz als Wegenutzer. Besitz ist etwas anderes als Eigentum. Letzteres ist ein Recht oder ein Privileg, je nachdem, ob es auf Vereinbarung oder auf staatlichem Zugeständnis beruht, also das Fiat-Eigentum. Besitz hingegen ist die tatsächliche (Mit-)Kontrolle über eine Sache. Jemand nutzt etwas und kontrolliert es in diesem Sinne oder einen Teilbereich davon. Der Autofahrer kann sein Fahrzeug, seinen Körper und die Straße nicht mehr so nutzen, wie er möchte, und dazu wird er gezwungen durch die Errichtung eines Hindernisses und die konkludente Drohung mit Repressalien, falls der Autofahrer selbst die Hindernisse beseitigt, etwa dadurch, dass er den Klimakleber mit Speiseöl vom Straßenbelag ablöst und anschließend wegträgt – oder dergleichen.

Praxeologisch handelte es sich beim Wegtragen nicht um eine feindliche Handlung, sondern um eine Verteidigung, also die Abwehr eines feindlichen Aktes (Versperren des Weges). Aber die staatlichen Akteure haben das Strafrecht nicht gemäß sogenannten naturrechtlichen, universellen oder handlungslogisch strukturierten Grundsätzen gestaltet, sondern ihrem Wähnen nach gilt im Rechtspositivismus dasjenige, was der Staat sagt, dass es gilt. Das wusste auch Immanuel Kant schon, der sinngemäß meinte, dass das Strafrecht nicht auf universellen Prinzipien beruhte, die für alle gelten – auch für die staatlichen Akteure selbst –, sondern dass es sich schlicht um Strafen für „Befehlsverweigerung“ handelte im Hinblick auf rechtspositivistische – also gewillkürte – Anordnungen der Herrschenden. Da es sich hier um eine praxeologische Kolumne handelt und nicht um eine juristische, lassen wir hier außen vor, ob das Ablösen eines Klimaklebers mit Speiseöl und das anschließende Wegtragen von Notwehr im rechtlichen Sinne gedeckt wäre, etwa dann, wenn jemand dringend ins Krankenhaus muss oder zu einem Rettungseinsatz. Handlungslogisch stellte das Wegtragen jedenfalls eine Verteidigung dar, weil ein feindlicher Akt abgewehrt wird.

Das Motiv des Klimaklebers ist die Rettung der Welt, aber beweisen, dass die Welt untergeht, wenn die Menschen ihren Kohlendioxid-Ausstoß nicht drastisch reduzieren, kann er nicht. Beim Erdklima handelt es sich um ein komplexes, geschichtliches (nicht wiederholbares) Phänomen mit Rückkoppelungen, sodass mit Vergangenheitsdaten (und nur solche hat man jeweils) eine Hypothese betreffend die Klimaentwicklung in der fernen und ferneren Zukunft nicht bewiesen werden kann, und zwar a priori nicht.

Grundsätze friedlichen Handelns sind „zuallererst füge kein Leid zu“ und „im Zweifel füge kein Leid zu“ (auch die Unter-Prinzipien „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“, und die Unschuldsvermutung gehören hierzu). Da der Klimakleber dem Autofahrer keine Klima-Schädigung in diesem Sinne „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ beweisen kann, ist und bleibt sein Festklebeakt eine feindliche Handlung: Den Weg abschneiden. Auch wenn der Klimakleber hier anderes wähnt und Argumente wie „the science is settled“ (etwa: „die Wissenschaft steht fest“) zu seinen Gunsten imaginiert.

Die Motive des Klimaklebers sind – wie stets – in seinen Haltungen zu sich und der Welt zu finden. Hier hat der Klimakleber eine feindselige Haltung verinnerlicht, nämlich dass eine Gefahr, die er nur wähnt, tatsächlich eine Gefahr ist, auch wenn er sie nicht beweisen kann und er aufgrund dessen Zwang als „Verteidiger“ der künftigen Menschheit oder des Planeten auszuüben glaubt. Anstatt der Haltung „im Zweifel füge kein Leid zu“ könnte man seine Haltung etwa als „better safe than sorry“ („lieber sichergehen, als das Nachsehen haben“) beschreiben, also: „Im Zweifel füge Leid zu!“ – was auch im Gegensatz steht zu: „Zuallererst füge kein Leid zu“. Feindselige Haltungen haben ihre Wurzel oftmals in Gefühlen des Ungenügens, des Schuldigseins (auch und gerade der anderen!) und der Scham. Insbesondere wenn ein Mensch nicht bereit ist, die Thesen zu diskutieren, mit denen er sein objektiv feindliches Handeln (Zwang) begründet, sondern wenn er sie als einzig mögliche Wahrheit rationalisiert („the science is settled!“), deutet dies auf tieferliegende psychologische Implikationen hin.

So weit, so gut. Ein gut belegtes psychologisches Phänomen ist der sogenannte Copycat-Effekt, zu Deutsch etwa: Nachahmungs- oder Trittbrettfahrer-Effekt. Ein Grundbedürfnis von Menschen mit ungünstigen Haltungen ist oft: Aufmerksamkeit. Die bekommen die Klimakleber zuhauf – gerade von den Leitmedien. Das wiederum ist ein Anreiz für Nachahmer, also Trittbrettfahrer in diesem Sinne (nicht im ökonomischen), auf die Medienaufmerksamkeit „aufzuspringen“. Der Grund, wieso manche Medien – noch heute – nicht über Selbsttötungen berichten, insbesondere bei jungen Menschen, ist, dass man verhindern möchte, dass es zum – empirisch gut belegten – Nachahmungs-Effekt kommt.

Aus psychologischer Sicht wäre eine ganz praktische Lösung also, nicht mehr von den Klimaklebe-Aktionen zu berichten oder ohne Bildmaterial und/oder nur einmal kurz und nicht wiederholt. Da den Leitmedien der Copycat-Effekt hinlänglich bekannt ist, legt dies den Schluss nahe, dass das Verhindern von Nachahmungen zumindest nicht ganz oben auf ihrer Agenda steht.

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