Berufspolitiker und ihre Freunde: Verkauft und verraten
Warum Politiker Sie nicht vertreten, sondern missbrauchen
von Oliver Gorus
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Der Gegenstand von Politik ist, ausgewählte Gruppen von Menschen zu bevorteilen und andere Gruppen zu benachteiligen. Nichts mehr und nichts weniger. Das ist, was ein Politiker in Wahrheit den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr über tut: Er handelt im Interesse der einen und gegen das Interesse der anderen.
In fast allen Fällen geht es dabei um Geld. Genauer: um leistungsloses Einkommen für die bevorteilte Gruppe und um Raub von Eigentum bei der benachteiligten Gruppe. Der Standardfall ist das Erheben von Steuern und Abgaben. Aber auch sozialistische Regulierungsmaßnahmen wie Preisobergrenzen und Mindestpreise, Vorschriften und Verbote, Zwänge und Kontrollen gehören zu den Entscheidungen, mit denen Politiker bevorteilen und benachteiligen.
Natürlich wird das immer ideologisch und moralisch verbrämt und öffentlichkeitswirksam verargumentiert: Solidarität, Klima, Gutes tun und dergleichen. Aber welche Gründe auch immer vorgeschoben werden – letztendlich werden politische Machtpositionen immer dazu genutzt, um direkt Geld umzuverteilen oder um Bedingungen zu schaffen, unter denen die eine Gruppe reicher und die andere ärmer wird.
Es ist auch völlig egal, auf welche Weise ein Politiker ins Amt gekommen ist oder sich seine „Legitimation“ erworben hat: ob durch Direktwahl, durch eine Parteiliste, durch „Nachrücken“, durch Ernennung beziehungsweise Inthronisation, durch Erbe, durch Kauf, durch Gewalt … immer hat er durch seine Amtsgewalt, seine Machtposition, seine „Potestas“ überhaupt erst die Möglichkeit, Gruppen von Menschen zu privilegieren oder zu diskriminieren.
Ob der Politiker außerdem aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften das Vertrauen oder die Gunst von Menschen besitzt, die ihn darum stützen und ihm „Auctoritas“ verleihen, ist nur eine Frage des Machterhalts: Das Zutrauen von Wählern oder eines Hofstaats oder von Oligarchen zu besitzen, erleichtert es dem Politiker, im Amt zu bleiben. Es geht aber auch ohne.
Gruppentherapie
Unterschiedliche Ausrichtungen von Politik bedeuten nur unterschiedliche Nutznießer und unterschiedliche Opfer von Politikern. Politische Parteien bündeln diese Ausrichtungen. Man könnte also zu jeder Partei genau die Gruppen oder Milieus auflisten, die von ihr gewöhnlich bevorteilt werden, und jene, die von ihr gewöhnlich benachteiligt werden. Dabei unterscheiden sich die Parteien im Laufe der Zeit nur noch marginal voneinander, vor allem in einer Demokratie. Das ist unvermeidbar, da keine Partei Macht erlangen oder behalten kann, die lediglich wenige kleine Gruppen bevorteilt und viele große Gruppen benachteiligt. Alle großen Parteien kümmern sich darum um alle großen Gruppen.
Blöd darum, wenn Sie zu einer kleinen Gruppe gehören, wie etwa die der Hauseigentümer. Da es viel mehr Mieter als Vermieter gibt, wird die Summe der Politiker mit Machtpöstchen Sie immer benachteiligen und die Mieter immer bevorteilen. Blöd auch, wenn sie zur Gruppe der Selbständigen gehören, denn die Gruppe der Festangestellten, mit denen Sie in Wettbewerb um Arbeit stehen, ist größer, und darum werden Sie systematisch benachteiligt. Blöd, wenn Sie jung sind und die Gruppe der Rentner viel größer ist als die Ihrer Generation. Blöd, wenn Sie im Privatsektor arbeiten, der Staatssektor aber größer ist.
Die meisten Menschen werden zu einigen großen Gruppen und zu einigen kleinen Gruppen zählen und deswegen von den Politikern mehr oder weniger profitieren und mehr oder weniger benachteiligt werden. Auf den Saldo kommt es an. Ganz blöd aber, wenn Sie nicht nur zu einer kleinen, sondern auch noch zu einer wohlhabenden Gruppe gehören, wie die der Unternehmer. Sie stehen dann in einer Demokratie auf Dauer auf verlorenem Posten, denn keine Partei wird Ihre Interessen vertreten, jedenfalls keine, die so viele Stimmen gewinnen will, dass es für Pöstchen reicht. Dafür betrachten die Politiker aber Ihr Privatvermögen quasi als Bodenschatz, der ausgebeutet werden muss.
Bei jeder Entscheidung, die der Politiker trifft, geht es dann nicht etwa um die Sache, sondern lediglich darum, auf welche Weise die bevorzugte Gruppe bevorteilt oder die auszuplündernde Gruppe benachteiligt werden kann. Da sind Kreativität und Dreistigkeit gleichermaßen gefragt.
Stimmenkauf durch „Soziales“
Zum Beispiel: Wenn die Gruppe der Nettotransferempfänger in einem Land größer ist als die Gruppe der Nettotransferzahler, dann führt die Summe der Entscheidungen der Politiker mittel- bis langfristig immer dazu, dass die Transfers höher werden, egal, welche Parteien im Laufe der Zeit die Regierung bilden.
Die Geschichte der westlichen Länder, die heute allesamt parlamentarische Demokratien sind, ist ein klarer Beleg dafür. Um 1910 lagen die Staatsquoten, also die Staatsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in diesen Ländern allesamt zwischen 8,5 Prozent (USA) und 15,1 Prozent (Deutschland), im Durchschnitt bei etwa zwölf Prozent. Heute liegen sie im Durchschnitt bei knapp 50 Prozent. Die Sozialausgaben sind überall der mit Abstand größte Posten. Wären die Transfers dazu da, soziale Probleme zu lösen, und könnten sie das überhaupt, dann würden die immensen Umverteilungen sich ja mit der Zeit selbst überflüssig machen, die Sozialtransfers müssten anteilig parallel zur abnehmenden Not sinken.
Da das Gegenteil der Fall ist, sind die Transfers de facto nicht wirksam, das heißt, sie lindern in Summe keine soziale Not, sondern sie bieten den Bürgern sogar Anreize, sich in Lebenssituationen zu begeben oder darin zu verbleiben, die als soziale Not gelten und darum alimentiert werden. Unterm Strich fördern die Sozialtransfers, was sie vorgeblich bekämpfen sollen.
So, hier braucht es den üblichen Disclaimer: Selbstverständlich soll in einer Gesellschaft Not gelindert werden, das fordern schon der Anstand und das christliche Gebot der Nächstenliebe. Fürsorge, Hilfe und Beistand sind Teil der menschlichen Natur. Nur eben ist der Sozialstaat ein dafür untaugliches Instrument; das ist völlig offensichtlich. Die Frage, wie denn Wohlfahrt in einer Gesellschaft stattdessen organisiert werden soll, ist interessant und wichtig, aber sprengt hier den Rahmen. Nur so viel: auf jeden Fall nicht staatlich!
Dass die Sozialtransfers unwirksam sind, macht den Politikern aber gar nichts, denn die wahre Funktion der Umverteilung ist, einer großen Bevölkerungsgruppe ein leistungsloses Einkommen zu verschaffen, die Empfänger also auf Kosten der Zahler zu bevorteilen und immer mehr zu bevorteilen, damit sich die Politiker an der Macht halten können. Die Wählerstimmen der Empfänger minus die Wählerstimmen der Zahler gleich Wahlsieg gleich Potestas.
Der Markt der Verräter
Das Thema Anreize ist hier aber noch in anderer Hinsicht interessant. Für Politiker besteht ein großer Anreiz, viele Pöstchen zu schaffen. Je mehr Pöstchen, desto größer ist die Chance, einen zu bekommen. Es gibt beispielsweise vierzehn Parlaments-Vizepräsidenten im Politikerparadies EU. Also, wenn der Präsident mal krank wird, kann der erste Vize ihn vertreten. Wenn der mal krank wird, kann der zweite Vize den ersten vertreten. Wenn der mal krank wird … na, es ist eine Komödie.
Und jedes Pöstchen bietet dem Politiker Chancen, nicht nur seinen Narzissmus zu befriedigen, sondern auch noch seine Geldgier. Denn zum einen sind viele Pöstchen im Verhältnis zum Aufwand und zur Qualifikation sehr gut dotiert, um nicht zu sagen unverschämt hoch bezahlt. Zum anderen bekommt jeder Politiker, der ein Pöstchen hat, früher oder später Angebote, seine Interessengruppen zugunsten kleiner, krimineller, oft ausländischer Gruppen zu verraten. Ich meine damit Korruption.
Die kleine Gruppe von superreichen „Philanthropen“, die kleine Gruppe von Topmanagern und Investoren der Pharmabranche, die kleine Gruppe von industriellen Korporatisten, die kleine Gruppe von Ölscheichs, die kleine Gruppe von russischen oder ukrainischen Oligarchen, die kleine Gruppe von chinesischen Politbüromitgliedern, die kleine Gruppe von waffenproduzierenden Neocons, die kleine Gruppe von Windenergieindustriellen … Es gibt viele Menschen, die es sich leisten können, Politiker (und auch Journalisten) zu kaufen, weil sie genügend finanzielle Mittel und ausreichend wenig Ehre im Leib haben. Auf diese Weise können sie dafür sorgen, dass die Politiker die Interessen dieser kleinen kriminellen Gruppen bedienen, die sonst nicht zum Zuge kommen würden, wären die Politiker mehrheitlich ehrlich. Die Politiker müssen dafür lediglich die Interessen ihrer normalerweise bevorzugten großen Gruppen verraten.
Es ist eben so: Politiker betreiben ein grundsätzlich unehrenhaftes Geschäft. Korrupte Politiker sind zudem noch Verräter.
Katar und Kaili
So wie eine der vierzehn Vizepräsidenten des EU-Parlaments, die griechische sozialdemokratische Abgeordnete Kaili, die nun festgenommen wurde, weil sie sich mutmaßlich von Scheichs aus Katar hat bestechen lassen. Sie ist mit einem italienischen Politikberater liiert, der Mitarbeiter der sozialdemokratischen EU-Parlamentsfraktion ist und der ebenfalls festgenommen wurde. Ihr Vater wurde mit einem Koffer voller Bargeld erwischt und in ihrer Wohnung wurden nach Informationen der belgischen Zeitung „L’Echo“ mehrere „Säcke voller Geldscheine“ gefunden. Die belgische Staatsanwaltschaft stellte 600.000 Euro Bargeld sicher.
Lustig, dass ausgerechnet Bargeld für Politiker augenscheinlich eine große Rolle spielt bei ihren Machenschaften – da wird verständlich, warum sie der Bevölkerung das Bargeld Schritt für Schritt wegnehmen wollen: Sie assoziieren Bargeld offenbar aus eigener Perspektive mit Kriminalität und Geldwäsche, nicht mit einvernehmlichem Austausch von Waren und Dienstleistungen mittels ehrlich verdienten Geldes aus dem eigenen Privatvermögen.
Und was war der Deal? Noch am 22. November hatte Kaili im EU-Parlament gesprochen und gesagt, Katar sei „ein konkreter Beweis dafür, wie Sportdiplomatie zu einer historischen Transformation eines Landes führen kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“. Katar sei „führend bei den Arbeitsrechten“.
Sagt eine Sozialdemokratin. Hier ist leicht nachvollziehbar, wie die Interessen der üblichen Klientel der Sozialdemokraten verraten wurden, um die Scheichs zu bevorteilen.
Wie viel Geld geflossen ist und an wen, damit die Fußballweltmeisterschaft überhaupt mitten im Winter in einen kleinen Wüstenstaat vergeben wird, der ansonsten keine Rolle im Weltfußball spielt, werden wir vermutlich nie erfahren – diese Erkenntnis werden die Politiker der Fifa wohl mit ins Grab nehmen.
Wie viel Geld an Politiker der EU und an Parlamentsabgeordnete in europäischen Staaten geflossen ist und an wen, damit Katar die Fußballweltmeisterschaft als PR-Instrument nutzen kann, werden wir ebenfalls vermutlich nie erfahren. Der Fall der Verräterin Kaili ist nur eine Spitze einer riesigen Eisbergflotte.
Sicher ist: Solange wir Politiker mit der Wahrnehmung eigener und der Behinderung anderer Interessen beauftragen und ihnen dabei auch noch so viel Macht geben, dass es sich lohnt, sie zu bestechen, werden wir nicht nur für Stimmen verkauft, sondern zudem noch verraten werden.
Das einzige Kraut, das dagegen gewachsen ist: so wenig Politik wie möglich, so dezentral wie möglich, Machtbegrenzung! Das aber von Politikern zu fordern, ist naiv. Sie fragen ja nicht die Frösche, wenn Sie den Sumpf trockenlegen wollen …
Kommentare
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