Mullahs, Raketen und Atome: Kernspaltung im Namen Allahs
Ein Rückblick auf das Atomprogramm des Iran
von Oliver Gorus drucken

Bei der Beurteilung von internationalen Konflikten kommt es immer auf den Zeitraum an. Das ist ganz ähnlich wie beim Klima: Wenn Sie den Betrachtungszeitraum in einer kühlen Phase starten, sieht die in Wetterstationen aufgezeichnete Temperaturkurve bis heute ansteigend aus: Erwärmung. Starten Sie aber früher, in einer historischen Warmzeit, zeigt die Temperaturkurve, dass wir heute in einem ganz angenehmen Klima wandeln. Daher ja auch der Name „Klimawandel“ …
Lässt man also den Ukraine-Konflikt mit dem 24. Februar 2022 beginnen, handelt es sich um einen unprovozierten Angriff Russlands, also um eine einseitige Aggression. Startet man aber früher in der Geschichte, sagen wir zum Beispiel 2004, dann sieht man, wie der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland kompliziert und verwickelt und geprägt von beiderseitigen Aggressionen und ausländischen Einmischungen der USA und der EU ist. Das entscheidet noch lange nicht über die Schuldfrage, lässt allerdings die derzeit im politmedialen Mittelstrahl wieder und wieder heruntergeleierte Story vom Angriff aus heiterem Himmel naiv erscheinen.
Genauso verhält es sich mit der Bombardierung des Irans durch Israel und die USA in den letzten Tagen. Isoliert man den Vorfall vom historischen Horizont, sieht es wie eine einseitige Aggression Israels aus. Schaut man zurück, erkennt man gute Gründe für eine Selbstverteidigung.
Also schauen wir doch ein bisschen zurück. Der amerikanische Präsident Eisenhower schenkte der Universität von Teheran 1959 einen Forschungsreaktor. Acht Jahre später lieferten die Amerikaner einen weiteren. Die Amerikaner wollten nämlich gerne Bestellungen aus dem Iran für den Bau von Atomkraftwerken erhalten. Und der Schah war ein Fan der Atomenergie. Aber natürlich wollten die USA den Persern nur die friedliche Nutzung der Kernspaltung ermöglichen. Der Iran unterzeichnete und ratifizierte darum 1970 den Atomwaffensperrvertrag.
1974 erklärte der Schah weitsichtig, dass Erdöl zu kostbar sei, um es zur Energiegewinnung zu verbrennen: „Wir werden so rasch wie möglich die Atomenergie und alternative Energiequellen nutzen, um Öl für die Herstellung chemischer und petrochemischer Produkte zu reservieren.“
Das iranische Atomprogramm kam in den Siebzigern unter der Leitung eines in der Schweiz ausgebildeten Wissenschaftlers gut voran. US-amerikanische, französische und deutsche Unternehmen verkauften Nukleartechnik an die Iraner, an mehreren Standorten wurde mit dem Bau von Kernkraftwerken begonnen.
In Persien wurden Uranvorkommen exploriert und erschlossen; das Uran musste nur noch auf ein paar Prozent angereichert werden, damit es in Kernbrennstäben verwendet werden konnte.
Doch dann wurde der Schah vom US-Präsidenten Carter fallengelassen, die Mullahs übernahmen 1979 die Macht und das neue Staatsoberhaupt, der religiöse und politische Führer Ayatollah Khomeini erklärte die Atomenergie für unislamisch. Die Zahlungen an die ausländischen Unternehmen wurden einfach eingestellt, die Verträge nicht erfüllt, das friedliche Atomprogramm endete abrupt.
Fünf Jahre später allerdings änderte sich die Meinung der Mullahs plötzlich. In Isfahan wurde ein neues Kernforschungszentrum errichtet und in Betrieb genommen, diesmal mithilfe Chinas und Russlands. Die in den Siebzigern angefangenen Bauten wurden teilweise fortgesetzt, das von Siemens, AEG und Thyssenkrupp begonnene Kraftwerk von Buschehr wurde von russischen Technikern fertiggestellt und ging 2011 ans Netz. Weitere Kernkraftwerke wurden geplant.
Und auch neue Urananreicherungsanlagen, die teilweise unterirdisch ausgeführt und mit Flugabwehranlagen ausgestattet wurden. Die Mullahs hatten sich aus dem befreundeten Pakistan, das selbst ein geheimes Atomprogramm verfolgte, um an die Bombe zu kommen, die Zentrifugen organisiert, um in Natanz Uran nicht nur bis 3,5 Prozent, sondern auf deutlich höhere Werte anzureichern, um waffenfähiges Material zu produzieren.
Seitdem begann ein endloses Versteckspiel vor der Internationalen Atomenergiebehörde, die die Anlagen beaufsichtigen sollte. Eine zweite unterirdische Anreicherungsanlage in Fordo wurde gebaut und 2011 in Betrieb genommen. Der Verdacht, dass diese Anlage ausschließlich zur Produktion waffenfähigen Urans gebaut wurde, konnte nie ausgeräumt werden. Ab diesem Zeitpunkt wurden regelmäßig die Anlagen sabotiert, es kam zu Explosionen, immer wieder wurden Wissenschaftler ermordet, dann wurden in Natanz und Arak 2002 weitere Atomanlagen entdeckt, die der Internationalen Atomenergiebehörde verheimlicht worden waren. Der Iran wurde dazu aufgefordert, sein komplettes Programm offenzulegen, verweigerte dies aber.
Endlose Verhandlungen mit internationalen Organisationen und europäischen Staaten inklusive Deutschlands folgten. Putin bot 2005 dem Iran an, die Urananreicherung für zivile Zwecke mit niedrigen Konzentrationen in Russland durchführen zu lassen, um so den Verdacht auszuräumen, dass die Urananreicherung mit hohen Konzentrationen für die Bombe durchgeführt wurde. Aber die Mullahs lehnten ab.
2006 nahm der Iran dann unerlaubt Anlagen wieder in Betrieb, die von der Internationalen Atomenergiebehörde versiegelt worden waren, weil sie unter Verdacht standen, zur waffenfähigen Anreicherung zu dienen. Der Chef der UN-Behörde, el-Baradei, stellte offiziell fest, dass der Iran innerhalb der letzten drei Jahre nicht glaubwürdig belegen konnte, dass sein Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken diene.
Gleichzeitig wurde ein Bericht des deutschen Bundeskriminalamts bekannt, demzufolge der Iran an der Produktion von ABC-Waffen, also illegalen Massenvernichtungswaffen, arbeite. Dabei wurde auch aufgedeckt, dass sechs deutsche Unternehmen via Russland mit illegalen Rüstungstransfers Teile zulieferten. Auch in Frankreich und Großbritannien versuchten die Mullahs heimlich Material für ihr Atomwaffenprogramm zu beschaffen. Der Westen reagierte mit Sanktionen.
Die internationalen Verhandlungen gingen weiter. Der Iran trieb das Programm weiter voran. Und auch die Morde an Atomwissenschaftlern und die Sabotageakte setzten sich fort, beispielsweise durch Computerviren. Einmal wurde ein Virus eingeschleust, der die Atomanlagen lahmlegte und dann bei voller Lautstärke den Song „Thunderstruck“ von AC/DC abspielte.
Es folgten Verhandlungen, Weiterbau, Sabotage, Verhandlungen, Weiterbau, Sabotage und so weiter. 2021 erklärte der Iran, keinerlei Transparenz gegenüber den internationalen Behörden mehr herzustellen und keine kurzfristigen Inspektionen mehr zuzulassen. Neue Zentrifugen wurden in Betrieb genommen, um bis auf 60 Prozent, knapp unterhalb von Waffenqualität anzureichern, was 2023 von der Internationalen Atomenergiebehörde bestätigt wurde. Eine zivile Nutzung solch hoher Anreicherungsgrade ist ausgeschlossen.
Wofür das Uran stattdessen genutzt werden soll, dafür gibt es in Teheran ein aussagekräftiges Symbol. An einem Platz in der Innenstadt stand zur Zeit des Schahs in den Siebzigern die Botschaft Israels. Nach der Islamischen Revolution enteigneten die Mullahs das Gebäude und stellten es den Palästinensern zur Verfügung, der Platz hieß fortan Palästina-Platz. 27 Jahre später wurde das Botschaftsgebäude abgerissen und an dessen Stelle eine Moschee errichtet.
Auf dem Platz wurde von den Mullahs eine Uhr installiert, die die maximale Restlaufzeit der Existenz Israels im Tagesrhythmus herunterzählt. Ursprung dieses Countdowns ist eine Rede des Staats- und Religionsführers Ayatollah Chamenei von 2015. Damals wurde das letztlich nutzlose Atomabkommen zwischen dem Iran und den fünf Vetomächten der Uno plus Deutschland abgeschlossen. Die israelische Regierung hatte damals die Hoffnung geäußert, dass dieser Vertrag es dem Iran für 25 Jahre unmöglich machen würde, Atomwaffen herzustellen. Chamenei antwortete darauf: „Durch Gottes Gnade und Segen wird das zionistische Regime in 25 Jahren nicht mehr existieren.“
Auf diesen von den Mullahs herbeigesehnten spätesten Zeitpunkt im Jahr 2040 ist die Restlaufzeit-Uhr auf dem Palästina-Platz in Teheran eingestellt. Es bleiben vielleicht noch etwa 5.500 Tage. Vielleicht aber auch nicht.
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