14. Dezember 2022

Der Mensch als Teil der Gemeinschaft Was ist sozial?

Familie als bestes Unterstützungssystem für den Einzelnen

von Markus Krall

„Der Mensch ist ein soziales Wesen.“ Der Satz stammt eigentlich aus der Verhaltensbiologie und unsere empirische Erfahrung sagt, dass er wahr ist. Wir sind eine Spezies, deren Mitglieder in ständiger Interaktion und in ständigem Austausch mit anderen Mitgliedern der gleichen Spezies sind. Wir kommunizieren, handeln, tauschen, helfen, lieben, hassen, bekriegen, bekämpfen, retten und beeinflussen uns gegenseitig permanent. Ja, auch die Verben mit negativer Konnotation beschreiben soziale Interaktion.

Wir legen Wert darauf, Teil und Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, einer Familie, einer Gesellschaft, auch eines Landes. Niemand möchte asozial oder antisozial sein oder so wahrgenommen werden, weil diese Interaktion notwendiges Element des Überlebens für jedes Individuum darstellt. Wir sind Individuen, aber wir sind keine Rasse von Robinson Crusoes. Sozial als Begriff in diesem beschreibenden Sinne ist also zunächst einmal wertneutral.

Wertaufgeladen wird der Begriff „sozial“ jedoch erst, wenn er mit einer moralischen oder ethischen Komponente kombiniert wird, die darauf beruht, wie wir unsere Mitmenschen (in diesem Begriff schwingt schon etwas mit) wahrnehmen sollen. Indem wir uns selbst als denkende, fühlende Wesen mit Selbsterkenntnis wahrnehmen, erkennen wir nicht nur unser selbstbewusstes Ich, unser „cogito ergo sum“ („ich denke, also bin ich“), sondern erzeugen ebenso eine persönliche Bedürfnisstruktur, zu der zum Beispiel auch die Vermeidung von Leiden und Schmerz gehört. Wir übertragen dies, evolutionär bedingt, auch auf die Mitglieder unserer Familie, die genetisch betrachtet die zeitliche Verlängerung unserer Individualität und unserer Wirkung auf die Realität darstellt. Die Familie, oder in der steinzeitlichen Entwicklung die Horde, ist der Schutzraum des Individuums. Die Möglichkeit von Mitgefühl ist daher das zwingende Ergebnis des Evolutionsprozesses, weil die gegenseitige Hilfeleistung in diesem Rahmen die Überlebenswahrscheinlichkeit für jedes Mitglied dieser kleinsten sozialen Einheit erhöht.

Wie schon bei der Grundsatzbetrachtung des Begriffes Freiheit können wir auch hier sehen, dass Evolution und Religion – nicht wirklich überraschend – zum gleichen Ergebnis kommen. Das biblische Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ korrespondiert unmittelbar mit der Logik des familiären Schutz- und Trutzbundes. Das ist auch logisch, denn wie uns das Neue Testament erklärt, „ist das Gesetz für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für das Gesetz“. Auch in der Frage der sozialen Beziehung reflektiert das biblische Gesetz daher die Natur des Menschen. Der Mensch ist also frei und zugleich ein soziales Wesen.

Sind diese beiden Eigenschaften im Widerstreit oder sind sie notwendige komplementäre Elemente unseres Seins?

Sie sind notwendig komplementär, wenn man sie nicht aus dem Kontext reißt. Dieser Kontext des Sozialen im Sinne gegenseitiger Hilfe ergibt sich erneut aus beiden Perspektiven in gleicher Weise: In der Evolution ist es der genetische Familienverbund, in der Religion ist es „der Nächste“. Um es etwas drastischer zu formulieren: Wir sind zuständig für die uns Anvertrauten, aber wir sind nicht das Sozialamt der Welt. Es hat uns in unserer Verantwortung zuerst zu interessieren, was in unseren vier Wänden passiert, dann kommt das, was vor unserer Haustüre passiert, und erst ganz weit hinten kommt, wenn überhaupt und in erster Linie nur, wenn es uns in unseren Interessen berührt, der Rest der Welt.

Keine Diskussion über das Soziale ist komplett ohne eine Betrachtung der schönen Wortschöpfung „Soziale Marktwirtschaft“.

Auch hier stehen wir vor der Aufgabe, die Begriffe zu klären. Es gibt zwei radikal gegensätzliche, ja eigentlich miteinander unvereinbare Definitionen davon, was Soziale Marktwirtschaft ist. Sie kommen, wen könnte es überraschen, aus gegensätzlichen politischen Lagern, nämlich Vertreter des Marktes und Vertreter des Sozialismus. Wie so oft ist es den Begriffsusurpatoren vom linken Lager auch in dieser Frage gelungen, die orwellianische Sprachhoheit zu erringen, die darin begründet liegt, dass zwar die Vertreter der Marktwirtschaft in aller Regel sozial eingestellt sind, die Vertreter des Sozialismus aber kein Gramm Marktverständnis am Leib tragen.

Was sind diese beiden Interpretationen? Die Vertreter der Marktwirtschaft postulieren – wie ich versuchen möchte, aufzuzeigen, zu Recht –, dass Marktwirtschaft kein soziales Korrektiv braucht, weil sie per se und aus ihrer Funktionsweise heraus sozial im Sinne echter Gerechtigkeit und nicht einfach postulierter schwammiger „sozialer Gerechtigkeit“ ist.

Die Vertreter des Sozialismus hingegen akzeptieren zwar zähneknirschend und vorübergehend die notwendige wohlstandschaffende Kraft des Marktes, unterstellen ihm aber, kalt und anonym zu sein und daher in seinen Ergebnissen nicht sozial, was die politische, gewaltsame Korrektur seiner Ergebnisse rechtfertige. Zur Begründung des Postulats, dass die Ergebnisse des Marktes nicht sozial gerecht seien, werden zwei Argumentationslinien verfolgt: zum einen die krampfhafte Suche nach Einzelschicksalen, in denen Menschen „sich nicht selbst helfen“ können, zum anderen die willkürliche Definition von Bedürfnissen für die Masse der Menschen, deren Erfüllung zum einklagbaren Menschenrecht hochstilisiert wird und mit dem ebenso willkürlichen Postulat, dass die Nichterfüllung dieser Forderung unsozial sei und soziale Gerechtigkeit daher eben nur durch die enteignende und umverteilende Hand des Staates zur „Korrektur“ der Ergebnisse des Marktes hergestellt werden könne.

Die beiden Argumente werden häufig miteinander verknüpft, verwischt, verwaschen und verwechselt. Das hat Methode. Der Zweck ist es, die Logik derart gründlich zu vergewaltigen, dass ein logisch denkender Zeitgenosse (also ein Vertreter der Marktwirtschaft) das Gestrüpp der inneren Widersprüche gar nicht mehr durchdringen und auflösen kann und dass die Masse der nicht denkenden Zeitgenossen den Kopf zur Seite neigen und murmeln kann: „Da ist ja was dran, an diesem ‚sozialen Gerechtigkeitsding‘, denn es können sich nicht alle selber helfen.“

Deshalb muss man beide Argumente getrennt voneinander betrachten und analysieren. Fangen wir mit dem zweiten an, denn es lässt sich sehr viel schneller invalidieren. Genau genommen handelt es sich bei dieser Begründung nicht um ein Argument, denn es entbehrt jeder sachlichen Stringenz. Es besteht in allen seinen Teilen aus Behauptungen und Forderungen, die nicht begründet werden können. Das beginnt mit der Formulierung von Bedürfnissen für alle Menschen. Die Bedürfnisse, die ein Individuum hat, entspringen seiner Nutzenfunktion, und es gibt wahrscheinlich keine zwei Personen auf dem Planeten mit der gleichen Nutzenfunktion und Präferenzstruktur. Sie ist auch für den Einzelnen nicht stabil, sondern im permanenten Wandel begriffen. Sie kann nicht gemessen oder erfragt werden. Um sie zu ermitteln, gibt es nur einen einzigen Weg, nämlich den des freien Marktes, also des Tausches Güter gegen Geld. Das ist so, weil dieser Vorgang auf freiwilliger Basis als einziger zuverlässig enthüllt, was eine Sache beziehungsweise die Befriedigung eines Bedürfnisses einer Person in dem Moment wert ist, wo sie den Kauf tätigt. „Money talks“, wie die Angelsachen sagen.

Der zweite Irrtum liegt darin begründet, dass es ein Menschenrecht auf Befriedigung dieses willkürlichen Korbes von behaupteten Bedürfnissen gebe. Menschenrechte sind Rechte des Menschen an seiner eigenen Person. Dazu gehört zum Beispiel das Recht auf Leben, Freiheit, Privatsphäre. Bedürfnisse sind genau das: Bedürfnisse. Ihre Erfüllung ist kein Recht, sondern Ansporn zur Leistung. Im Gegenteil: Ihre Erfüllung kann ohne eigene Leistung, also durch „Korrektur des Marktergebnisses“ und Enteignung anderer Menschen nur dadurch erfolgen, dass die Menschenrechte anderer verletzt werden. Das Postulat ist in seiner Nicht-Begründbarkeit daher keine Erfüllung eines Menschenrechts, sondern ein Angriff auf ein Menschenrecht.

Soziale Gerechtigkeit in diesem Sinne existiert nicht, denn ihre Argumente können sich nur auf die Willkür der obrigkeitlichen Bedürfnisdefinition, ihrer Erklärung zum vermeintlichen Menschenrecht und ihre Durchsetzung durch Beraubung Dritter stützen. „Soziale Gerechtigkeit“ existiert aber in anderer Form: Weist man die falschen Postulate zurück, ersetzt man sie automatisch durch korrekte Postulate. Wenn es keinen logischen Grund für eine Korrektur des Marktergebnisses gibt, dann ist dieses Ergebnis automatisch gerecht. Unsere Sprache hat dafür einen schöneren Begriff: Leistungsgerechtigkeit. Sie ist die einzig wahre soziale Gerechtigkeit im Sinne der Bedürfniserfüllung. Der Apostel Paulus formulierte es etwas härter: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“

Das hat neben der hohen Effizienz der Marktwirtschaft bei der Bereitstellung von Gütern vor allem einen Grund, der die Voraussetzung für individuellen Erfolg in der Marktwirtschaft beschreibt: In einer Ordnung des freien Tausches ist der Wettbewerb die zwingende Folge freiwilligen Handelns. Der Wettbewerb zwingt jeden Anbieter von Gütern und Dienstleistungen (also jeden Menschen, der überhaupt am Wirtschaftsleben teilnimmt) dazu, sich ständig um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis seines Angebots zu bemühen. Er wird nur dann Erfolg haben, wenn er dem Kunden in diesem Sinne maximale Befriedigung seines Bedürfnisses anbietet. Er muss also, bevor er seine eigenen Bedürfnisse adressieren kann, zuerst die Bedürfnisse anderer Menschen erfüllen. Umso mehr ihm das gelingt, desto erfolgreicher wird er, desto mehr Einkommen fließt ihm zu als Ergebnis des Marktprozesses.

Das ist wahrhaft sozial und gerecht.

Diese vernichtende Sichtweise auf den Willkürterminus „soziale Gerechtigkeit“ entwertet aber nicht das davon getrennt zu betrachtende Argument, dass es Menschen gibt, die sich nicht selbst helfen und die unverschuldet in diese Situation geraten können.

Wie geht die Ordnung der Marktwirtschaft damit um?

Zunächst müssen wir begreifen, dass dieses Problem zahlenmäßig sehr klein ist. Es dürfte weniger als zwei bis drei Prozent der Menschen betreffen. Warum ist diese Zahl so klein? Weil es eigentlich nur solche Menschen betrifft, die von Geburt oder Kind an unter einer Behinderung leiden, die es ihnen verwehrt, am Wirtschaftsleben in der für ihr Auskommen notwendigen Weise teilzunehmen. Für so gut wie alle anderen gilt, dass man durch Sparen und Vorsorge, Versicherungen und umsichtiges Handeln dieses Risiko mit Mitteln mitigieren kann, die der Markt zur Verfügung stellt. In der Unternehmenswelt nennt man das Risikomanagement. Für das Individuum haben wir uns daran gewöhnt, dass der Staat uns alle Lebensrisiken abnimmt. Er finanziert das, indem er uns auch die Hälfte unseres Einkommens wegnimmt und agiert beim Risikomanagement nicht besonders effektiv. Würden wir nicht 50 Prozent, sondern nur zehn Prozent unseres Einkommens an den Staat abtreten, hätten wir alle mehr als genug Mittel für die private Risikovorsorge jedweder Art übrig.

Man könnte nun einwenden, dass nicht jeder Mensch klug vorsorgt. Die Antwort darauf ist aber ganz einfach: Ja, und? Ist es die Zuständigkeit Dritter, wenn er seine Existenzsicherung verkonsumiert, um nicht zu sagen verfressen hat? Nein, das ist es nicht. Die Rede war schließlich von „unverschuldet“, nicht von leichtsinnig herbeigeführt. Das Argument erinnert ein wenig an die aus dem 19. Jahrhundert überlieferte Unterhaltung zwischen Leistungsbürger und Kommunist.

Kommunist: Gib mir die Hälfte deines Vermögens, damit Gerechtigkeit herrsche.

Bürger: Nun, ich habe eine Frage: Wenn ich dir die Hälfte gebe und dann anschließend sparsam bin und du deine Hälfte mit Huren und Wein verprassen gehst, was passiert dann?

Kommunist: Dann müssen wir wohl noch mal teilen.

Wie aber helfen wir den zwei bis drei Prozent echten Bedürftigen? Die Antwort ist so klar wie offensichtlich: Dafür sind funktionierende Familien da. Der sogenannte Sozialstaat hat die Familie durch den Fehlanreiz scheinbarer Abschaffung aller Lebensrisiken weitgehend zerstört. Das ändert aber nichts daran, dass die Familie erstens das langlebigste, beste und anpassungsfähigste Sozialsystem für den Einzelnen darstellt. Durch den engen Verbund der Familie wird zudem sichergestellt, dass auch wirklich jeder nach seinen Kräften beiträgt, eine Form der Kontrolle, die der Sozialstaat nur unter Beseitigung jeder Privatsphäre leisten kann. Nicht, dass er es nicht versuchen würde …

Hinter dieser Verteidigungslinie der Familie bleiben wahrscheinlich deutlich weniger als ein Prozent der Bedürftigen übrig, die dann noch Hilfe benötigen, nicht die 60 Prozent aller Bürger, die heute Transferempfänger sind. Für sie gilt das, was die Bibel als freiwillige Caritas beschreibt in der schönen Geschichte des barmherzigen Samariters. Wahre Caritas ist immer freiwillig. Ich habe danach gesucht, aber ich habe die Stelle in der Bibel nicht gefunden, wo es heißt: „Und der Samariter ging zum Steuereintreiber des Pilatus und sagte zu ihm: ‚Da draußen auf der Straße liegt ein Raubopfer. Geh hin und press mehr Steuern aus den Leuten heraus und gib es mir, damit ich ihm helfen kann!‘ Und der Steuereintreiber ging hin und tat wie ihm geheißen und nannte es Solidaritätsdenar.“

In der sehr marktwirtschaftlichen Ordnung des 19. Jahrhunderts, als die Zahl der Bedürftigen aufgrund des noch jungen Industriezeitalters viel höher war als heute, gehörte es zum guten Ton, caritativ tätig zu sein. Es war ein Ausweis der eigenen Leistungsfähigkeit der Erfolgreichen. Unternehmer und erfolgreiche Menschen sind in ihrer ganz überwiegenden Zahl sozial eingestellt. Die freiwillige Caritas ist daher für die wenigen, die es wirklich brauchen, die bessere Alternative.

Sorry, liebe Gutmenschen, es funktioniert nicht, Karma mit dem Geld anderer Leute zu hamstern. Ihr müsst schon euer eigenes dafür nehmen.


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