16. Dezember 2022 07:00

Widerstandsrecht Wer auf Erlaubnis wartet, hat schon verloren

Von Klimaaktivisten und Maskenverweigerern

von Stefan Blankertz

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Auf einer abstrakten Ebene spricht sich kaum jemand gegen ein Widerstandsrecht im Sinne einer verfassungsgemäßen Norm eines zivilisierten demokratischen Staats aus. Mit dem Hintergrund der Erfahrung des Nationalsozialismus gibt es vor allem in Deutschland eine große Einigkeit: Widerstand wäre nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht gewesen. Im Nachhinein verurteilt man jene, die keinen Widerstand leisteten. Hätte doch nur ein Widerstandsrecht in der Verfassung gestanden, dann wäre der Menschheit das ganze Elend erspart geblieben!

Das ist natürlich blanker Unsinn, und zwar gleich in dreierlei Hinsicht. Zum ersten hätte sich der nationalsozialistische Staat von einem in der Verfassung verankerten Widerstandsrecht kaum daran hindern lassen, es zu brechen. Er nahm auch sonst auf verbriefte Rechte keine Rücksicht. Zum zweiten ist die Vorstellung ziemlich abwegig, dass die gefügige Masse der Mitläufer zu zähen Widerstandskämpfern geworden wäre, hätte in der Verfassung der Weimarer Republik ein Recht auf Widerstand gestanden. Zum dritten gibt es die große Einigkeit gegen den Nationalsozialismus erst im Nachhinein. Zu dem Zeitpunkt, da Widerstand etwas ausgerichtet hätte, stand die Mehrheit der Deutschen auf Seiten des nationalsozialistischen Staats.

Alle drei Hinsichten sind nicht nur von historischer Bedeutung. Nicht nur im nationalsozialistischen Staat war kein Platz für Widerstandsrecht, sondern in keinem Staat der Welt. Das Recht des Staats und Widerstand schließen sich gegenseitig kategorisch aus. Denn wenn der Staat das Recht auf Widerstand einräumen würde, würde er sagen müssen, dass jeder zu jeder Zeit gegen vom Staat erlassene Gesetze verstoßen dürfe. Damit hätte er im Prinzip alle seine Gesetze aufgehoben. Das Argument, nicht jeder dürfe willkürlich gegen jedes Gesetz verstoßen und könne sich zu diesem Zweck auf das Widerstandsrecht berufen, sondern Widerstand sei nur im Ausnahmefall erlaubt, ist ein stumpfes Schwert. Denn wer definiert den berechtigten Ausnahmefall? Der Staat? Das wäre lächerlich; denn welcher Staat würde Widerstand gegen sich selber für sinnvoll und notwendig erachten? Entscheidet die Mehrheit darüber, ob ein berechtigter Ausnahmefall vorliegt? Oft wäre es gar nicht möglich, dass die Mehrheit sich artikuliert, denn Staaten tendieren dazu, die öffentliche Meinungsbildung zu behindern, sobald sie sich Widerstand gegenübersehen. Aber gerade das Beispiel des nationalsozialistischen Staats zeigt, dass die Berufung auf die Mehrheit sowieso kein geeignetes Kriterium für berechtigten Widerstand sein kann, weil die Mehrheit dem nationalsozialistischen Staat zweifellos zustimmte (wenigstens bis kurz vor dem Ende des Dritten Reichs). Das einzig mögliche Kriterium für Widerstand kann von innen betrachtet das individuelle Gewissen sein. Von außen betrachtet ist es reine Willkür.

Die Form des Widerstands, die infrage steht, wenn über Widerstandsrecht diskutiert wird, ist stets ein Konflikt zwischen einem Einzelnen oder einer kleinen Gruppe und der Staatsgewalt (hinter der meist die Mehrheit steht, selbst dann, wenn es keine formalen Wahlen gibt). Das unter Demokraten beliebte Kriterium lautet, Widerstand sei dann und nur dann berechtigt, wenn die Staatsgewalt nicht durch die Mehrheit sanktioniert ist; das heißt, Widerstand sei nur in Diktaturen berechtigt. Nach diesem Kriterium allerdings gibt es natürlich kein Widerstandsrecht, denn Diktaturen räumen es ja bekanntlich gerade nicht ein. Darüber hinaus muss der, der dieses Kriterium formuliert, davon ausgehen, dass die Mehrheit niemals ein Unrecht beschließen kann, gegen das berechtigter Widerstand geleistet werden darf. Doch der Nationalsozialismus beweist das Gegenteil: Die Mehrheit kann Unrecht beschließen. Es gibt sicherlich viele weitere Beweise, aber dieser Beweis ist unschlagbar.

Dass solche Ungereimtheit, was das Kriterium für berechtigten Widerstand angeht, nicht bloß graue Theorie ist, sondern genau der herrschenden Meinung (Meinung der Herrschenden) entspricht, lässt sich gut an dem Medienecho auf die aktuellen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in China und diejenigen in Deutschland der letzten zwei Jahre aufzeigen: Die Proteste in China werden gelobt, man zeigt Verständnis und verurteilt die Repression durch den chinesischen Staat, der undemokratisch sei, während die inhaltlich völlig identischen Proteste in Deutschland als unberechtigt angesehen sowie als „rechts“ diffamiert wurden.

In der Diskussion über das Widerstandsrecht werden unvermeidlich zwei Aspekte vermischt, die miteinander unverträglich sind: der formale Aspekt des Rechts und der inhaltliche Aspekt, ob jemand mit einer bestimmten Ausprägung der Staatsgewalt so hadert, dass er bereit ist, auch unter Inkaufnahme schwerer Konsequenzen gegen sie Widerstand zu leisten. Dieser Widerstand wird sich immer gegen die Mehrheit richten; dies kann indirekt sein, wenn in einer Diktatur die Mehrheit stillschweigend zustimmt, oder direkt, wenn in einer Demokratie die Mehrheit etwas entscheidet, was Einzelne oder in der Minderheit befindliche Teile der Bevölkerung als untragbar ansehen. Wir können diese Vermischung an zwei aktuellen Konfliktherden beobachten, nämlich den Klimaaktivisten und denen, die sich den Corona-Maßnahmen verweigern. Beide nehmen für sich in Anspruch, dass sie gute Gründe haben, sowohl den geltenden Gesetzesvorschriften als auch den Mehrheitsbeschlüssen entgegenzutreten.

Obwohl also auf der Ebene formalen Rechts zwischen beiden Gruppen eine völlige Übereinstimmung herrscht, gibt es zwischen ihnen interessanterweise kaum eine Schnittmenge. Eher verhält es sich so, dass sie auf den gegensätzlichen Seiten der politischen Lagerbildung stehen. Klimaaktivisten tendieren dazu, die Corona-Maßnahmen zu akzeptieren oder sogar in verschärfter Form zu vertreten; die Gegner der Corona-Maßnahmen sind für sie sie bestenfalls Spinner, schlimmstenfalls gefährden sie Menschenleben. Gegner der Corona-Maßnahmen tendieren dazu, die Klimaaktivisten bestenfalls als Hysteriker, schlimmstenfalls als Wohlstandszerstörer zu sehen.

Diese Verteilung der Inhalte auf entgegengesetzte politische Lager hat zur Folge, dass die Gegner der Corona-Maßnahmen, bezogen auf Klimaaktivisten, zu scharfem Durchgreifen der Staatsgewalt aufrufen, während sie, bezogen auf die Corona-Maßnahmen, das Durchgreifen der Staatsgewalt beklagen. Umgekehrt verhält es sich bei den Klimaaktivisten. Sie beklagen, dass die Staatsgewalt gegen ihre in ihren Augen notwendigen Aktionen vorgeht, aber wünschen sich mehr Konsequenz bei der Umsetzung der Corona-Maßnahmen.

Das Für und Wider, bezogen auf Maßnahmen und Gesetze der Staatsgewalt, richtet sich im politischen Tageskampf stets danach, ob man mit dem Inhalt der jeweiligen Maßnahmen und der jeweiligen Gesetze einverstanden ist oder nicht. Der Begriff Widerstand, die Berufung auf ein angebliches Widerstandsrecht oder gar die Proklamierung einer Widerstandspflicht sind nur ideologisches Rüstzeug, um sich ins rechte Licht zu rücken.

Das aber ist falsch. Widerstand, der den Namen verdient, wäre Widerstand gegen Gewalt als strukturgebendes Element der gesellschaftlichen Organisation: Widerstand gegen den Staat, nicht gegen die eine oder andere Form des Staats, nicht gegen die eine oder andere staatliche Maßnahme, sondern gegen das Staatsprinzip als solches.


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