17. Dezember 2022 19:00

Zwangsdienst Ich oder der Staat?

In der Debatte um Wehrdienst und „soziales Pflichtjahr“ geht es um die Frage von Selbstbestimmung und Knechtschaft

von Thorsten Brückner

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Shahar Schwartz, Eyvatar Moshe Rubin, Einat Gerlitz und Nave Levin sehen aus wie vier ganz normale Teenager. Doch während gleichaltrige Freunde ihre gerade erreichte Volljährigkeit in Bars und Nachtklubs genießen, ist das Leben von Schwartz, Rubin, Gerlitz und Levin geprägt von Schikanen, Anfeindungen und Gefängnisstrafen. Nicht, weil sie gestohlen oder gemordet hätten, sondern weil sie gerade das nicht wollen. Sie gehören zu einer kleinen Gruppe von jungen Israelis, die aus Gewissensgründen den Dienst in der Armee verweigern.

Dem israelischen Staat werfen sie Militarismus und die Aufrechterhaltung eines Apartheidsystems im Westjordanland vor. Ende November wurden die vier zum wiederholten Male zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Für Schwartz ist es bereits die sechste Inhaftierung. Wenn er im kommenden Jahr das Gefängnis verlässt, wird er insgesamt 105 Tage in Haft verbracht haben. Man kann, muss sich aber nicht die Begründung der Teenager zu eigen machen, um dieses menschenverachtende Vorgehen des israelischen Staates gegen seine eigenen Bürger zu verurteilen. Denn welche Motivation im Einzelfall hinter Wehrzwangverweigerung steckt, ist vollkommen irrelevant, sowohl in Israel als auch überall sonst auf der Welt.

Das entscheidende Argument gegen Wehrzwang ist kein funktionales, sondern ein moralisches, das Murray Rothbard 1973 treffend in dem Satz „Wehrdienst ist Sklaverei“ zusammenfasste. Doch wenn es um Israel geht, werden Prinzipien schnell mal in die Tonne getreten. Ohne Wehrzwang könne der Staat Israel nicht überleben, wird da oftmals sogar unter Libertären relativiert. Doch selbst wenn es so wäre: Was hat das mit Shahar Schwartz, Eyvatar Moshe Rubin, Einat Gerlitz und Nave Levin zu tun? Was wäre von einem Staat zu halten, der angeblich nur dadurch existieren kann, unter Androhung von Gewalt Menschen gegen ihren Willen zum Dienst an der Waffe zu zwingen?

Diese Frage muss man auch mit Blick auf die Ukraine und Russland stellen. Doch während Putins Zwangsrekrutierung von 300.000 jungen Männern im September auf ein verdient verheerendes Echo stieß und zu Recht Rufe nach Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer nach sich zog, herrschte im Februar Schweigen im Walde, als die ukrainische Regierung Männer im Alter zwischen 18 und 60 zur Zwangsarbeit an der Waffe einberief und ihnen unter Strafe sogar die Ausreise verbot. Für manche heiligt eben der vermeintlich gute Zweck die Mittel.

Selbst libertäre Ikonen wandelten beim Thema Wehrzwang bereits auf utilitaristischen Irrwegen. „Die entscheidende Aufgabe einer Regierung ist die Verteidigung des gesellschaftlichen Systems nicht nur gegen heimische Gangster, sondern auch gegen äußere Feinde. Wer in unserer Zeit gegen Bewaffnung und Wehrdienst ist, ist ein Helfershelfer jener, deren Ziel die Versklavung aller ist.“ Ein Zitat, das man eher einem Kriegstreiber im US-Verteidigungsministerium zuschreiben würde als Ludwig von Mises, der diese Sätze, die sich in der dritten Auflage von „Human Action“ finden, Anfang der 60er Jahre schrieb. 1940, unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, hatte sich Mises in seinem deutschen Vorläuferwerk „Nationalökonomie“ noch scharf gegen Wehrdienst und Militarismus gewandt.

Die Aussetzung des Wehrzwangs in Deutschland 2011 war das größte und vermutlich einzige Verdienst aus 16 Jahren Regierung unter Angela Merkel. Doch auch in Deutschland sind Forderungen nach Zwangsdienst nicht totzukriegen. Die Begründungen dafür, jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens zu stehlen, sind teilweise an Unverfrorenheit kaum zu überbieten, passen aber zu einem Land, in dem das Individuum traditionell hinter die herbeiphantasierten Ziele und Notwendigkeiten des Kollektivs zurücktritt und der einzelne Mensch zur staatlichen Verfügungsmasse geworden ist.

Fast 70 Prozent der Deutschen befürworten laut einer aktuellen Infratest-Dimap-Umfrage ein „soziales Pflichtjahr“. Selbst in der davon maßgeblich betroffenen Gruppe der 18- bis 34-Jährigen unterstützt dies mehr als die Hälfte – Zahlen, die nur durch staatliche Propaganda von der Grundschule an erklärbar sind. Dabei macht es zunächst mal keinen Unterschied, ob Menschen zum Dienst im Altenheim oder Militär gezwungen werden, wenngleich die Folgen von Kriegsdienst natürlich ungleich verheerender sein können.

In den USA endete der Wehrzwang 1973, übrigens als Folge der Empfehlung einer Kommission, der auch Milton Friedman angehörte. Dabei hätte es, folgt man der US-Verfassung, so etwas wie Militärzwang in den USA, zumindest seit 1864, nie geben dürfen. Der 13. Verfassungszusatz spricht eine klare Sprache: „Weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit darf, außer als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist, in den Vereinigten Staaten oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit bestehen.“ Nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sich die US-Verfassung als zahnloser Papiertiger gegen einen übergriffigen Zentralstaat erweisen sollte.

Ayn Rand nannte die zwangsweise Einberufung zur US-Armee „die offenkundigste staatliche Verletzung des Rechtes eines Menschen an seinem eigenen Leben“. Und genau darauf lässt sich am Ende des Tages die Debatte über Zwangsdienst herunterbrechen: Wem gehört mein Leben? Wer darf darüber verfügen? Ich oder der Staat?


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