10. Januar 2023

Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger Lektüren fürs Leben

Die Bücher eines theologischen Titans

von David Andres

Wie könnte ich an dieser Stelle in rund viertausend Zeichen eine Würdigung des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. schreiben, des Theologen Joseph Ratzinger, der kurz vor seiner Ernennung zum Oberhaupt der katholischen Christenheit eigentlich in den Ruhestand gehen wollte? Ein kleines Haus in Pentling, Oberpfalz, Landkreis Regensburg, nicht einmal sechseinhalbtausend Einwohner, zu besichtigen ein winziges Schlösschen, ein paar Burgruinen und eine naturgeschützte Felswand. Dort wollte der eremitierte Professor weiterhin das tun, was sein Leben bis dahin geprägt hatte – Bücher schreiben. Viele weitere Gedanken zu Papier bringen, in aller Ruhe, aller Abgeschiedenheit. Dann jedoch geschah, womit niemand gerechnet hatte und was die sicherlich ikonischste Titelseite erzeugte, welche die BILD jemals in Deutschland gestaltet hatte: „Wir sind Papst!“

In dieses „Wir“ gemeindeten sich nach den Jahren des Jubels, in denen Benedikt XVI. Kirchentage zu Happenings machte und die Popularität der Katholischen Kirche in frische Höhen hob, ab 2010 nach und nach wieder weniger Menschen ein. Der Umgang mit den Missbrauchsfällen warf einen Schatten auf Benedikts Biografie; gleichsam seine Aktion, die Exkommunikation von vier Bischöfen der Bruderschaft Pius X. wieder aufzuheben, von denen einer unzweifelhaft ein Holocaustleugner war. All dies in angemessener Komplexität zu vertiefen, erforderte Sonderheft-Umfang, weshalb dieser Text Sie, wertes Publikum, nach dem Tode von Papst Benedikt XVI. am Silvestertag 2022 und seiner Beisetzung am 5. Januar nun auch nicht als „Personalprüfung“ im neuen Jahr begrüßt, sondern als Teil meiner Rubrik „Guter Einkauf“.

Was gibt es einzukaufen? Was empfiehlt sich angesichts des Todes des ersten Papstes der Christenheit, der zu Lebzeiten sein Amt niederlegte und seither im Kloster der Vatikanischen Gärten mit seinem Nachfolger Papst Franziskus im Grunde Tür an Tür lebte? Zum einen den Spielfilm „Die zwei Päpste“ von Regisseur Fernando Meirellles und Drehbuchautor Anthony McCarten. Die Geschichte einer Männerfreundschaft und ein hervorragend gespieltes Charakterstück (Jonathan Pryce gewann den Oscar als Franziskus, doch Anthony Hopkins als Benedikt hätte ihn genauso verdient gehabt), das zudem aufzeigt, wie wertschätzend man(n) miteinander umgehen kann, obschon einen in der Auffassung der Dinge so vieles trennt. Der „Einkauf“ dieses Films bedeutet allerdings weiterhin lediglich ein Netflix-Abo, denn als sammelbare DVD oder BluRay ist er noch nicht erschienen.

Zum anderen geht es mir in der Hauptsache um das, was Joseph Ratzinger Zeit seines Lebens am liebsten und am hervorragendsten getan hat – Bücher schreiben. Die Lektüre seiner Werke ist ein sprachlicher wie intellektueller Hochgenuss, vollkommen unabhängig vom eigenen Glauben. Wer die Tiefe des Gedankens und die wohlgewählte Fom des Wortes schätzt, wer einen Sinn für Ästhetik hat und für die Würde, die darin besteht, Texte für die Ewigkeit zu verfassen, der dürfte sogar als Atheist eine aufrichtige Freude an diesen Texten haben, wie er sie umgekehrt als frommer Mensch an den Texten eines Nietzsche oder Schopenhauer habe müsste.

Besonders herauszuheben und womöglich eine in vielerlei Hinsicht Halt gebende Begleitung in einem neuen Jahr des weltlichen Irrsinns – das dreibändige Schlüsselwerk „Jesus von Nazareth“, eine beeindruckende Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und ein Opus Magnum, zu dem er „lange innerlich unterwegs gewesen“ ist.

„Nur der Glaube an den einen Gott befreit und ‚rationalisiert‘ wirklich die Welt“, schreibt Benedikt darin, „wo er verschwindet, wird die Welt nur scheinbar rationaler. In Wirklichkeit müssen nun die Mächte des Zufalls anerkannt werden, die unbestimmbar sind; die ‚Chaostheorie‘ tritt der Einsicht in die rationale Struktur der Welt zur Seite und stellt den Menschen vor Dunkelheiten, die er nicht auflösen kann und die der rationalen Seite der Welt eine Grenze setzen.“

Man möchte sagen – diesen Mächten des Zufalls stehen heute noch die Mächte der versuchten Planung einer gesteuerten Welt durch soziopathische Gottspieler beiseite, gegen die es ebenfalls eine Menge innerer Abwehrkräfte und Beistand braucht.

Quellen:

Das Leben des Joseph Ratzinger (Cicero)

Die zwei Päpste (Netflix)

Jesus von Nazareth (Drei Bände, Herder)


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