Blick nach vorne: Das Wort des Jahres 2023: Inflation
Vor einem Jahr sah ich für 2022 „Freiheit“ als das Wort des Jahres – mit überraschender Pointe
von Christian Paulwitz drucken
„Aus heutiger Sicht ist jedem mit minimalem, ökonomischen Verständnis klar, dass die Haushaltslage des Reiches im Herbst 1923 und die Finanzierung des Defizits über das unkontrollierte Drucken von Geld die wesentlichen Gründe für die immer rasanter steigenden Preise waren. Das Drucken von Geld erzeugt Inflation, wenn dieses Geld direkt in den wirtschaftlichen Kreislauf fließt. Doch erstaunlicherweise war dies in Deutschland damals selbst unter den Finanzexperten lange keinesfalls die vorherrschende Meinung.“
So beginnt Kapitel 29 des Buches „Die Inflation von 1923“ von Frank Stocker, eine würdige Lektüre zu Beginn des neuen Jahres, wenn auch nicht aus der Perspektive der Österreichischen Schule mit ihrer grundlegenden Kritik am Fiatgeld geschrieben. Als detailreiche Schilderung der Entwicklung zur Katastrophe und ihrer Hintergründe, mit einigen eingestreuten Anekdoten zur Veranschaulichung garniert, war sie für mich sehr gewinnbringend. Leider blieb die zweite wichtige Lektüre zur Reflexion der Inflationszeit und ihrer Auswirkungen auf das Leben bisher noch liegen: „Wolf unter Wölfen“ von Hans Fallada, zuletzt schon vor vielen Jahren gelesen. Ich hoffe, ich komme noch vor dem Frühjahr dazu.
Heute lebt niemand mehr, der die Inflation vor 100 Jahren bewusst erlebt hätte. Als Kind habe ich die Aversion der Großeltern und auch der Eltern gegen Inflation und die Wertschätzung (relativ) stabilen Geldes noch als Lebensweisheit gespürt und auf den Lebensweg mitbekommen. Wie stark sind die Lehren von 1923 noch im Bewusstsein der gegenwärtigen Generationen verankert? Die obigen Sätze von Frank Stocker scheinen jedenfalls im Folgejahr des Erscheinens seines Buches als ziemlich kühne These. Minimales ökonomisches Verständnis mag zwar heute wie vor 100 Jahren dünn gesät sein, doch die vorherrschende Meinung der Finanzexperten zu den Ursachen der aktuellen Inflation scheint mir nicht in den anhaltenden Geldmengenerweiterungen zu liegen, sondern im russischen Krieg gegen die Ukraine und den „Folgen der Pandemie“ auf die internationalen Lieferketten. Unterdessen bringt die Regierung mit Hilfe der Zentralbank immer neue Rekordsummen an aus der Luft geschöpftem Schuldengeld unter die Bevölkerung und in die Wirtschaft und tut damit ziemlich genau dasselbe wie die Regierungen 1923. Und durchaus nicht unkontrolliert, sondern sehenden Auges, absurderweise sogar ausdrücklich „zur Bekämpfung der Auswirkungen der Inflation“. Geld drucken gegen die Inflation – diesmal klappt es bestimmt. Die Hintergründe mögen andere sein und heute eher durch die eigene Politik geschaffen als durch Druck von außen nach einem verlorenen Krieg. Nun ja, Reparationszahlungen, wenn auch nicht als solche bezeichnet, mögen immer noch eine gewisse Rolle spielen – als Entschuldigung kann dies weder damals noch in diesem Jahr dienen.
Um die Jahreswende kam die beruhigende Botschaft über den Staatsfunk: Wir dürften den Höhepunkt der Inflation von rund zehn Prozent bereits erlebt haben. Für das kommende Jahr werde nur noch eine Inflation von etwa sechs Prozent erwartet. – So weit sind wir bereits, dass uns eine prognostizierte Halbierung der Kaufkraft in zwölf anstatt in siebeneinhalb Jahren als eine gute Nachricht verkauft wird. Wohlgemerkt, gemessen am manipulativ mit diversen verschleiernden Kniffen errechneten Preisindex eines willkürlich zusammengestellten Verbraucherwarenkorbes unter weitgehender Ausblendung von Vermögenspreisen. Und da die politische Ökonomie daran glaubt, dass Wirtschaft vor allem aus Psychologie bestehe, prognostiziert man geschönte Zahlen, die dem skeptischer werdenden Durchblick gerade noch als glaubwürdig erscheinen könnten, um Schlimmeres zu verhindern. Man kann die Prognose jederzeit später schulterzuckend mit dem Hinweis kassieren, man habe ja die mittlerweile aufgetretenen neuen Probleme noch nicht einkalkulieren können. Sie werden natürlich kommen. Die Zukunft wird dann jedenfalls besser – das ist im Sozialismus eine Dauerprognose.
Vor einem Jahr nannte ich – im Sinne des Postulats der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS) auf der Suche nach „Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben“ – bereits vorab „Freiheit“ als Wort des Jahres 2022. Ich finde das Wort im Rückblick passend, während mir das offizielle Wort der GfdS, „Zeitenwende“, verfrüht vorkommt. Noch geht alles seinen gewohnten sozialistischen Gang, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Zeitenwende kündigt sich an, da gibt es keinen Zweifel – nur gerade am Jahr 2022 sehe ich sie nicht festzumachen. „Freiheit“ war dagegen ein prägendes Moment, bereits zu Beginn des Jahres zunehmend in den Spaziergängen als Protest, insbesondere gegen die Gesetzesinitiativen zur allgemeinen Zwangs-„Impfung“. Und mit Erfolg, wenn auch die Schande des Spritzenzwangs auf dem medizinischen Sektor bis zum Jahresende bestehen blieb, trotz zunehmender planwirtschaftlicher Dysfunktionalität bei personeller Verknappung. Zum Ende des Jahres dann forderten die Chinesen erfolgreich ein Stück Freiheit ein und kippten die harten Coronarestriktionen, durchaus überraschend. – Unter dem Strich ward es mit der zunehmenden Bedeutung der Freiheit gerade in Deutschland so manchem mulmig, dessen Existenz vom Zwang abhängt und dessen Aufgabe in der Gewinnung und Verteidigung der Deutungshoheit liegt. So meldete die Tagesschau ausgerechnet mein Wort des vergangenen Jahres, die Freiheit, als „Floskel des Jahres“.
Was ist das nun wieder? „Nichts als ein politischer Gefälligkeitsakt zweier Journalisten mit schlechten Manieren und guten Beziehungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, wie David Boos vermutlich nur zu treffend auf „Tichys Einblick“ schreibt. Denn wäre dies ein Seitenhieb auf diverse Politpsychopathen, die in den letzten Jahren vorgaben, mit allgemeinen Verboten und Zwängen eine phantasierte kollektive Freiheit zu schützen, könnte ich der Kürung zur Floskel des Jahres sogar etwas abgewinnen. Doch weit gefehlt: Im Namen der Freiheit würden „selbstgerecht und unsolidarisch die essenziellen Werte eines Sozialstaates ins Gegenteil verkehrt – alles für den eigenen Vorteil“, wie es heißt, und der Freiheitsbegriff würde „entwürdigt von Egoman*innen, die rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern“. Man sieht nicht nur am gegenderten Idiotendeutsch, dass da ein paar nicht alle Tassen im Schrank haben und beim Staatsfunk gut aufgehoben sind. Nee, schon klar, Freiheit individuell zu verstehen, ist ja unerhört, wo doch jeder weiß, dass wahre Freiheit nur im Kollektiv zu finden ist. Wie ja auch Krieg Frieden ist, und Unwissenheit sowieso die entscheidende sozialistische Stärke.
Ich sehe die „Floskel des Jahres“ als schöne Bestätigung für mein vor einem Jahr gesetztes „Wort des Jahres“. Mein neues Wort des Jahres nun für 2023 ist jedenfalls „Inflation“, leider nicht wegen des hundertjährigen Gedenkens an ein schlimmes politisches Verbrechen. 1923 hat dem Mittelstand in Deutschland den Rest gegeben, nicht nur in ökonomischer Hinsicht, und wie Friedrich August von Hayek es in seinem „Weg zur Knechtschaft“ beschrieben hat, war die Zerstörung des Mittelstands die entscheidende Voraussetzung zur Vorbereitung der totalitären Katastrophe in den 30er Jahren. In der Inflation des Jahres 2023 werden sicher keine Geldscheine mit Milliarden- oder Billionenbeträgen mehr gedruckt – und ich glaube auch nicht, dass sie annähernd die Ausmaße von 1923 annehmen wird, nicht einmal als digitale Währung. Die Vermögensvernichtung hat jedoch bereits spürbar an Fahrt aufgenommen. Solange die Inflation noch unter 50 Prozent pro Monat bleibt, was wahrscheinlich der Fall sein wird, wird man uns auch sicher beruhigen, dass es ja nun noch keine Hyperinflation sei – alles noch im Griff. Die Auswirkungen werden wir alle dieses Jahr spüren und uns zunehmend beschäftigen. Wer weiß, vielleicht wird zur nächsten Jahreswende gar Inflation zur „Floskel des Jahres“ ausgerufen, da rechte Hetzer mit dieser Vokabel die Geldmengenerweiterung der Zentralbank verunglimpften, die doch der Durchsetzung der sozialen Gerechtigkeit diene. Puh, heutzutage klingt wirklich der größte Schwachsinn erschreckend realistisch.
Quellen:
Wie könnte es mit der Inflation weitergehen? (ZDF heute)
Das Wort des Jahres 2022 (eigentümlich frei)
„Freiheit“ zur Floskel des Jahres gekürt (Tagesschau)
Floskelwolke: Über die Deutungshoheit des Freiheitsbegriffs (Tichys Einblick)
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