15. Januar 2023 19:00

Chinas Corona-Politik Zurück zur Normalität?

Eine Frage der Definition

von Stephan Unruh

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Am 8. Januar endete die Quarantänepflicht für in die Volksrepublik Einreisende. Jenseits der normalen Visabestimmungen braucht man nun nur noch ein negatives PCR-Testergebnis – anders als beispielsweise in totalitären Staaten wie den USA oder der Sonderwirtschaftszone Hongkong wird eine „Impfung“ nicht verlangt. Wer aus Letzterer aufs Festland will, braucht zudem eine Anmeldung an der Grenze – anders, so glaubt man, könne man dem drohenden Ansturm kurz vor dem chinesischen Neujahr nicht Herr werden. Da sich inzwischen etwa 60 Prozent der Bevölkerung mit Covid infiziert haben – der viral gehende Begriff hier in China lautet diesbezüglich „yangguole“, zu Deutsch „Hatte Covid“, wobei es sich wörtlich um ein schlecht wiederzugebendes Wortspiel handelt –, dürfte die Herdenimmunität bald erreicht sein. Sprich, nach dem in Bälde anstehenden Frühlingsfest (22. Januar) werden auch die letzten Maßnahmen zügig fallengelassen werden und China wieder zurück zur Normalität gefunden haben – so zumindest die Hoffnung, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Volksrepublik, die längst einer der wichtigsten Faktoren der globalen Wirtschaftsentwicklung ist.

Hier darf man allerdings gehörig skeptisch sein. Die alberne Grippeinfektion, bei der ab April/Mai 2020 dank ehrlicher Wissenschaftler wie John Ioannidis rasch klar war, dass sie keinesfalls eine Neuauflage der Antoninischen Pest ist, diente schließlich nur als Vorwand, um allerlei Dinge zu kaschieren, einzudämmen oder durchzusetzen. In China wurde sie zunächst zur Befriedung Hongkongs genutzt, dann dazu, die dritte Amtszeit von Xi Jinping gegen den massiven Widerstand anderer Gruppen und Fraktionen innerhalb der kommunistischen Partei durchzudrücken und, mit dem Zusammenbruch des zweitgrößten Immobilienentwicklers Evergrande, auch dazu, die immer wackeliger werdende chinesische Wirtschafts- und vor allem Finanzsituation politisch zu kontrollieren – „stabilisieren“ traue ich mich nicht zu schreiben.

Im Kern hat die chinesische Volkswirtschaft zwei zentrale Probleme: Zum einen, obwohl oberflächlich immer mehr Marktwirtschaft eingeführt, Staatskonzerne privatisiert wurden und die Staatsquote bei „nur“ rund 32 Prozent liegt (BRD 52 Prozent, USA 41 Prozent), wird am Ende doch alles irgendwie durch staatliche Einheiten kontrolliert. Überspitzt könnte man sagen, dass der Wettbewerb weniger auf Unternehmensebene und am Markt, sondern eher zwischen den einzelnen Regierungsebenen (Kommunen, Provinzen, Zentralregierung) stattfindet. Eng damit verbunden ist die allgemeine Abhängigkeit vom Immobilien-/Infrastruktursektor. Rund ein Drittel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts entsteht direkt oder indirekt durch den Immobiliensektor, und – fast noch wichtiger – ein Großteil des Einkommens der einzelnen Staatsebenen wird durch die Verpachtung von Land und das durch Immobilienverkäufe erwachsende Steueraufkommen erzielt. Deng Xiaoping hatte sich bei seinen Reformen hier stark an Singapur und Hongkong orientiert, wo dieses Konzept einerseits sehr erfolgreich praktiziert wird, andererseits aber auch zu den höchsten Immobilienpreisen weltweit führte, was gerade auch in Hongkong massive Probleme generiert. In der Konsequenz hat niemand ein echtes Interesse daran, die gewaltige Immobilienblase aufzulösen – ganz im Gegenteil. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die jüngst gezogenen roten Linien in Sachen Kreditvergabe für Immobilienentwicklung und -käufe schon wieder aufgeweicht und abgeschwächt werden. Im letzten Quartal warf Peking zudem eine 460 Milliarden US-Dollar schwere Rettungsleine aus. Einerseits will Peking die Abhängigkeiten verringern, andererseits aber führt jede Reduktion sofort zu einem geringeren Wirtschaftswachstum und damit zu sozialen Problemen: China benötigt etwa fünf Prozent Wirtschaftswachstum, um die Beschäftigungszahlen stabil zu halten – andernfalls führen die Produktivitäts- und Innovationszuwächse zu mehr Arbeitslosigkeit. Ein Balanceakt, der dauerhaft kaum zu bewältigen sein wird. Allein im Jahr 2023 werden Anleihen in Höhe von fast einer Billion Chinesischer Yuan bei den Immobilienentwicklern fällig, etwa ein Drittel davon „off-shore“, also in US-Dollar denominiert.

Kurzfristig kann das Ende der Covid-Maßnahmen Chinas Wirtschaft (und damit auch der Welt) einen Schub geben, mittelfristig wird Peking jedoch Probleme zu lösen haben, die wegen der zugrunde liegenden gegensätzlichen Interessenslage kaum lösbar scheinen und die vor allem mit einer tiefkommunistischen Geisteshaltung, wie sie Xi nachgesagt wird, in der Tat nicht lösbar sind. Insofern steht zu erwarten, dass auch in China die Politik einmal mehr auf die „bewährten Instrumente“ Druckerpresse und Freiheitseinschränkungen zurückgreifen wird. Insofern also doch: Rückkehr zur Normalität, aber völlig anders als es die chinesischen Bürger, internationale Beobachter sowie die meisten Wirtschaft- und Finanzkommentatoren erwarten.


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