Kultur der späten 1960er: Woodstock
Eine musikalische und filmische Wiederentdeckung für die „Hippies of the right“
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
von André F. Lichtschlag (Pausiert) drucken
„Zwischen den Jahren“ ist es in unserer Familie eine kleine Tradition geworden, dass Vater und ältere Tochter gemeinsam alte Musik-Videos oder -Filme schauen. Zuweilen deutsche Oldies und Schlager, zuletzt aber fiel die Wahl auf den Film über das legendäre Woodstock-Konzert 1969. Der „Director’s Cut“ in der Länge von fast vier Stunden ist über Prime Video zu streamen. Erinnern Sie sich, dass Hollywood-Starregisseur Martin Scorsese für den Schnitt mitverantwortlich war? Dass Joan Baez nicht, Janis Joplin aber sehr wohl Töne traf? Dass die halbe Million Musikfans nahe der Kleinstadt Bethel durch Autosuggestion gemeinsam den Regen vertrieben? Dass der sehr junge Joe Cocker bereits genauso wild gestikulierte wie der alte? Dass es mit Ten Years After und The Who tatsächlich die englischen Bands waren, die das Festival rockten? Dass die Woodstock-Filmemacher als Pioniere die Split-Screen-Technik exzessiv einsetzten?
Ich muss zugeben: Normalerweise schaue ich lieber aktuelle Filme über vergangene Epochen als Originale aus der alten Zeit. Die Sehgewohnheiten haben sich geändert. Aber diese unglaublichen Aufnahmen sind derart faszinierend und „authentisch“, dass dieser Film die sprichwörtliche Ausnahme ist, die meine Regel bestätigt. Hier lohnt jede Minute, jede Sequenz aus einer völlig entrückten Welt der Betrachtung, auch und gerade heute. Ja, dies ist auch eine Empfehlung, unbedingt.
Woodstock ging in die Geschichte ein als „das große Konzert der Hippies“. Hippies? Hatte nicht Ayn Rand, die Ikone der Libertären, die selbst partout keine sein wollte, die Libertären als die „Hippies of the right“, als die Hippies der politischen Rechten bezeichnet? Naja, typisch Rand, warf die philosophische Exzentrikerin ihren Fans im Kern vor, sie zu plagiieren, ohne der Meisterin in wirklich jeder Frage exakt zu folgen. Hippies seien sie, eben irgendwie unzuverlässig. Auch dass die Ende der 1960er parallel zur Protestgeneration gerade entstehende libertäre Bewegung wie auch die Hippies Drogen nicht prinzipiell ablehnten, sehr wohl aber den Krieg, war der rationalistisch-antikommunistischen Kämpfernatur Ayn Rand irgendwie suspekt – insofern dürfen heutige Libertäre ihr Verdikt durchaus als Anerkennung auffassen. Hippies of the right? Hippies of the right!
Zurück zu Woodstock. Der Autor Martin Lichtmesz beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe von eigentümlich frei mit David Bowie und fragt: War dieser Rockstar (so wie die Hippies von Woodstock?) womöglich ein Wegbereiter „des aktuellen Grauens“ in Bezug auf den heutigen seltsamen Transsexuellen- und Genderkult?
Woodstock fand im August 1969 statt, also keine zwei Monate nach den Stonewall-Unruhen in der Christopher Street in New York City, folglich noch vor der Formierung der weltweiten Schwulenbewegung. Bemerkenswert ist immerhin, dass tatsächlich mit „Sha Na Na“ eine Combo aus Manhattan in der Form von gefühlt zehn Freddy Mercurys auf die Bühne trat – sehr schrill. Tatsächlich gab es Pioniere der Schwulenästhetik auf dem Festival. Aber an Trans und Gender dachte vermutlich kein Einziger der halben Million versammelter Hippies. Sicher spielten Nacktheit und Sexualisierung eine gewisse, aber ebenso sicher nicht die Hauptrolle – die oblag der Musik und den Drogen.
Woodstock war vielmehr ein Festival der bunten, wenn auch recht versifften Lebensfreude – und somit eher das Gegenteil der miesepetrigen Hygienediktatur anlässlich „Corona“ neulich. Und Woodstock war nicht zuletzt eine beeindruckende radikal-pazifistische Demonstration gegen den Vietnamkrieg, besser: gegen jeden Krieg. Auch hier haben sich die Anliegen der Hippies in unseren Tagen der propagandistischen Kriegsgeilheit ins Gegenteil gekehrt. Insofern war Woodstock als Meilenstein der meist links verorteten Gegenkultur der späten 1960er kein Wegbereiter der heute herrschenden Unkultur des linken Mainstreams. Eher hätten die Hippies von damals auf all das „geschissen“, was sich später entwickelte. Schließlich waren sie auch nie politisch – was bis heute für sie spricht.
Beeindruckend ist über die gesamte fast vierstündige Filmlänge hinweg die sprichwörtliche Friedlichkeit der 500.000 Jugendlichen. So ganz anders übrigens als bei der in Chaos und Gewalt versunkenen Neuauflage Woodstock 1999, ein Fiasko, über das die Kollegen von Netflix zuletzt eine dreiteilige Doku-Miniserie veröffentlichten. Nein, „Love and Peace“ war 1969 offenbar nicht nur eine Floskel und bewegte Konzertbesucher wie Filmemacher wirklich.
Andererseits, natürlich, werden auch viele wirren Ansichten in den Filminterviews deutlich, etwa die „freie Liebe“ und das Leben in „Kommunen“. Natürlich hat das alles nie wirklich funktioniert, und der heutige Zuschauer fragt sich neugierig, welches Leben der eine oder andere heute 70- bis 80-jährige Protagonist denn inzwischen geführt hat. Wie viele Hippies endeten als linke Spießer oder vielleicht auch als ganz normale Vorstadtfamilienväter oder -mütter?
Nach dem Woodstock-Film hatte ich die Idee, mit meiner Tochter noch ein leider viel zu wenig bekanntes Juwel aus dem Jahr 1982 zu schauen: den Film „Purple Haze“ des Regie- und Drehbuch-Ehepaars David Burton Morris und Victoria Wozniak mit Chuck McQuary und Peter Nelson. Eine Ode an den „Sommer der Liebe“ 1968. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass die radikal-pazifistische Drama-Perle, unterlegt mit der „Musik von Woodstock“, heute nirgends mehr zu finden ist. Der Grund ist allzu profan: Die Macher dieses B-Movies hatten schlicht vergessen, sich für den Film die Rechte der Musik zu sichern – Hippies eben, auch 1982 noch, mit Lizenzproblemen bis heute. Was würde ich dafür geben, diesen gerade jetzt wieder so zeitgemäßen Film noch einmal sehen zu dürfen!
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