Ablenkungsdebatte: Raten Sie mal, wer zur Verschwendung von Lebensmitteln nötigt
Sie wissen schon – Problem und Lösung sollte man nicht verwechseln
von Christian Paulwitz drucken
Wenn Leute, die materielle Not leiden, sich noch verwertbare Abfälle aus Supermarktcontainern holen, dann sollten Sie dafür nicht auch noch bestraft werden, nicht wahr? Tja, wenn es denn so wäre, könnte man dem im individuellen Fall sicher ohne Weiteres zustimmen. Aber erstens stimmt das Bild nicht, denn es ist nicht die Oma mit Kleinstrente von nebenan, für die es dank staatlicher Verteuerungspolitik immer knapper wird und die daher nachts in das Betriebsgelände von Supermärkten einsteigt, um sich den Rucksack mit Lebensmitteln für die nächsten Tage vollzumachen. Vielmehr sind es sogenannte „Aktivisten“, zumeist junge Leute, die das „Klima retten“ und auf die „Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam machen wollen“, wie das immerhin erfreulich offen, wenn auch unter Verwendung geframter Codewörter, selbst in den Hauptstrommedien berichtet wird. Denn es geht zweitens vielmehr darum, den Staat als Gesetzesbringer zur Aufhebung von Eigentumsrechten voranzubringen und nicht etwa die Überlassung nicht mehr verkäuflicher, aber noch qualitativ wertiger Produkte durch günstigere Preise oder sogar kostenlos an Bedürftige zu fördern, denn dazu müsste der Staat erst einmal die von ihm gesetzlich geschaffenen Fehlanreize abschaffen, bevor er neuen Unfug macht.
Wer sich unberechtigt auf ein anderes Grundstück begibt, begeht Hausfriedensbruch, und wer Gegenstände davon mitnimmt, Diebstahl. Daran ändern auch Gesetze nichts, die dies für legal erklären, wie das nun der Grüne Landwirtschaftsminister Özdemir zusammen mit dem sozialistischen Justizminister Buschmann von der FDP durchsetzen wollen. Nur wird die Sanktionierungsschwelle durch die monopolisierte staatliche Justiz höher gehängt, was Hausfriedensbrecher und Langfinger zu größerer Rücksichtslosigkeit und Frechheit bei ihrem Vorgehen ermutigt, da ihnen der politisch verbrämte gute Zweck als Rechtfertigung mit auf den Weg gegeben wird. Ganz offen wird darüber geschrieben, dass bereits heute Menschen, die sich weggeworfene Lebensmittel aus Abfallcontainern holen, praktisch nicht mit einer Anzeige rechnen müssen. Das mag zum einen vielleicht am Aufwand und an der Sinnlosigkeit solcher Anzeigen vor untätigen staatlichen Gerichten liegen, die sich mit geringwertigen Eigentumsverletzungen ebenso wenig wie mit den systemisch angelegten, ganz großen beschäftigen. Das Interesse ist auch aus anderen Gründen gering, denn wenn ein Geschäft tatsächlich Lebensmittel kostenlos überlassen wollte, ist es aufgrund staatlicher Gesetzgebung unter Umständen wichtig, sie vorher in den Müll geworfen zu haben.
Hintergrund ist das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ (MHD), das Lebensmittelverpackungen vom Hersteller aufgedruckt werden muss. Ist eine Ware verdorben, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht überschritten wurde, haftet der Hersteller und ist zumindest zu Ersatz verpflichtet. Das MHD wird entsprechend statistisch so ermittelt, dass bei ordnungsgemäßem Umgang bis zum Ablauf noch ein hoher Anteil nahe (aber nicht gleich) 100 Prozent der Ware einwandfrei ist. Das ist als Information eine gute Sache, die dem Händler eine gute Einschätzung über seinen Dispositionszeitraum ermöglicht, und dem Endkunden eine Vorstellung über den zu erwartenden sinnvollen Verwendungszeitraum gibt. Der kann je nach Lebensmittelsorte erheblich vom MHD abweichen, wie die Erfahrung lehren kann. Wird das MHD jedoch überschritten, ist der Hersteller aus der Verantwortung raus. Hat der Kunde das Produkt eine Woche lang im Kühlschrank vergessen und stellt nun fest, dass beim Öffnen der Verpackung ein bläulich-haariger Überzug den Frischkäse krönt, hat er halt Pech gehabt und muss ihn wohl als Verlust abschreiben und in den Mülleimer werfen. Er fällt in die Statistik unter die 11 Millionen Tonnen „verschwendeter“ Lebensmittel in Deutschland. Wurde er jedoch nach Ablauf des MHD erst erworben, geht das Haftungsrisiko auf denjenigen über, der das Produkt weitergegeben hat, also den Händler, selbst dann, wenn er das Produkt kostenlos abgibt. Wird der oben beschriebene Frischkäse – vielleicht auch in einer weniger anschaulichen Variante – trotzdem gegessen, und der Konsument erleidet eine Lebensmittelvergiftung, liegt womöglich wegen der Kombination mit einer anderen gesundheitlichen Schwäche über Wochen im Krankenhaus und leidet danach an Spätfolgen, kann es teuer werden.
Für Politiker, die gewohnt sind, mit anderer Leute Geld umzugehen, mag dieser Fall, wenn sie nicht gerade auf dem Verbraucherschutztrip, sondern auf dem Lebensmittelrettungstrip sind, sehr unwahrscheinlich und weit hergeholt sein; für Händler, die den Zwängen einer Kostenrechnung unterliegen, sind jedoch Risiken selbst mit extrem geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber mit existenzvernichtendem Potential bei gleichzeitig niedrigen oder gar keinen Umsätzen eine ganz dumme Kombination, die man tunlichst vermeiden sollte. Sie machen also das, was verbraucherschützende Politiker von ihnen wollen: Sie sortieren Produkte mit abgelaufenem MHD aus und – um den Aufwand effizient zu halten – auch solche, die kurz davorstehen, und werfen sie möglichst auf nicht-öffentlichen, abgegrenzten Grundstücksflächen so in den Müll, dass ihnen kein findiger Jurist einen Strick aus unterstellter geduldeter Überlassung drehen kann. Sicher ist sicher. Auch die sogenannten Tafeln nehmen daher in der Regel keine Lebensmittel mit abgelaufenem MHD an, auch wenn sie qualitativ noch offenbar einwandfrei sind. Diese durch den Staat veranlasste Verschwendung durch die gesetzliche Legalisierung von Einbruchstatbeständen „ausbessern“ zu wollen ist typisch Staat – einfach durchgeknallt.
Noch irrer wird es, wenn man sich die offizielle Statistik über die Verteilung anschaut, wo Lebensmittel weggeworfen werden – ich habe ja keine Ahnung, wie man zu den Zahlen kommt und wie man sie seriös erheben könnte, nehme sie der Einfachheit halber aber mal einfach so hin, auch wenn da wahrscheinlich eine Million Tonnen schwerer dicker Daumen über die Zahlen gegangen ist. Auf die Supermärkte entfällt da nur ein Anteil von 7 Prozent. Auch wenn man von einer größeren Unschärfe bei der Anteilsschätzung ausgehen kann, ist er also von deutlich nachrangiger Bedeutung. Das kann man sich auch eigentlich leicht denken, denn der Handel hat ein auf die individuellen Betriebsumstände unter Berücksichtigung von Standort, Produktpalette und Kundengewohnheiten abgestimmtes, ständiges Optimierungsinteresse, den Anteil wegzuwerfender Lebensmittel möglichst niedrig zu halten – der wirkt nämlich direkt negativ auf den Gewinn. Selbst derart einfache betriebswirtschaftliche Zusammenhänge sind aber für Politiker nicht nachvollziehbar. Dafür ist aber der gesetzliche Eingriff beim Handel relativ einfach, während es schwieriger werden dürfte, die Betreiber von Gaststätten und Kantinen dazu zu bringen, ihre Gäste zur Vermeidung von Sanktionen notfalls mit vorgehaltenem Küchenmesser zu zwingen, brav ihre Teller leer zu essen, den Bestrebungen der Gesundheitspolitiker zur Reduzierung des durchschnittlichen Übergewichts der Bevölkerung zum Trotz. Der Gewinn der Gaststätten liegt anders als im Einzelhandel weniger in der effizienten Zutatenverwendung als darin, dass sich der Gast wohlfühlt, genießt und wiederkommt. Eine miesepetrige grüne Knauser- und Erpressungsatmosphäre ist da nicht einmal dem Klientel dieser Partei zuzumuten. Ob die Tellerreste, die aus den Gaststätten einer Zweitverwendung zum Beispiel zur Verfütterung an Schweine zugeführt werden, noch im Volumen der statistisch weggeworfenen Lebensmittel enthalten sind, kann ich nur vermuten. Ziemlich sicher bin ich mir dagegen, dass sie gewiss nicht in die ökologische Viehhaltung gehen, denn da geht es ja weniger um den viel beschworenen Gedanken der „Nachhaltigkeit“, sondern um zertifizierte Lieferketten. Wo kämen wir hin, wenn das Ökovieh Futter bekäme, das Menschen einfach so unzertifiziert als Essen auf dem Teller hatten?
Mehr als die Hälfte der nicht genutzten Lebensmittel wird angeblich in den Privathaushalten weggeworfen, denn die haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Während in früheren Familien in der Regel die Hauswirtschaft in einer Hand strukturiert organisiert, die Mahlzeiten über mehrere Tage geplant und der Einkauf darauf abgestimmt wurde, benötigt trotz steigender Produktivität wegen des wachsenden staatlichen Umverteilungszugriffs ein typischer Familienhaushalt der Mittelschicht heute zwei Vollzeit-Einkommen und hat weniger Zeit für die häusliche Organisation. Es wird spontaner entschieden, was gegessen wird, und gerne mal auch etwas Fertiges mitgebracht, weil es zeitlich wieder einmal etwas knapp geworden ist. Dazu sind die Haushalte im Durchschnitt kleiner geworden, und viele leben alleine. Wo der Durchsatz geringer ist und weniger strikt organisiert wird, kommt es leicht einmal vor, dass etwas nicht rechtzeitig verbraucht wird. Hat man den Menschen dann in großen Teilen das Vertrauen in das eigene Urteilsvermögen aberzogen und haben sie sich großflächig dazu erziehen lassen, diesem weniger zu vertrauen als auf staatliche Anordnung hin aufgestempelten Mindesthaltbarkeitsdaten, werden auch mehr Lebensmittel weggeworfen. Wie soll der Staat denn die Menschen vor sich selber beschützen, wenn sie quasi-amtliche Verbrauchsdaten einfach missachten und selbst entscheiden, was gut für sie ist? Wer würde dann noch Politiker brauchen?
Wenn Lebensmittel in der Breite überall entsprechend den Bedürfnissen der Menschen einigermaßen ausreichend vorhanden sind, werden nicht alle verbraucht. Denn die genau richtige Menge kann niemand kennen, und selbst wenn sie bekannt wäre, könnte sie nicht überall zu jedem Zeitpunkt genau richtig verfügbar gemacht werden. Das Erfolgsrezept des Sozialismus. Wenn größere Mengen Lebensmittel weggeworfen werden, bedeutet dies, dass kein größerer Mangel herrscht. Wo dagegen Mangel herrscht, kann die Zuteilungswirtschaft durch korrupte Politkader organisiert werden. Setzt sich der Staat das Ziel, die Menge der weggeworfenen Lebensmittel zu verringern, kann er das nur erreichen, indem er für Mangel sorgt – die Kernkompetenz der sozialistischen Planwirtschaft. Und genau das wird sie auch erreichen, egal ob auf dem Wege der Landwirtschafts- oder der Energiepolitik, oder wie nun angestrebt durch die Legalisierung von Hausfriedensbruch und Diebstahl.
Die Minimierung der Überschussproduktion bei möglichst vollständiger Versorgung der Bedürfnisse kann nur über die dezentrale Optimierung gesteuert werden – indem der Staat sich komplett aus dem Leben der Menschen raushält. Wenn Sie, liebe Einzelhändler, überschüssige Lebensmittel möglichst sinnvoll abgeben möchten, weil Sie deren Vergeudung bedauern, ist die bescheidene alte Dame mit kleiner Rente von nebenan, die immer mal wieder zum Einkaufen kommt und immer freundlich mit der Kassiererin spricht, sicher eine gute Adresse. Mit politischer Motivation schnorrende Freibiergesichter und alle politisch aktiven Organisationen mit Gerechtigkeitsnarrativen sind es nicht; es sind die Letzten, die Lebensmitteln, Ihrer Produktion und Bereitstellung Wertschätzung entgegenbringen, und die ersten, die den Überschuss ihrer Beute, den sie nicht mehr benötigen, achtlos vergammeln lassen. Denn was nichts kostet, sondern nur als unerwünschter Überfluss wahrgenommen wird, das ist auch nichts wert. Besser, Sie entsorgen den unverkäuflichen Rest lieber gleich gesichert in den Müll und stellen sicher, dass die Schnorrerbanden keinen Zugriff bekommen.
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