Große Ablenkung: Die Spaltung der Menschen durch Parteinahme
Das Schlachtfeld lange vor dem „heißen“ Krieg ist der Mensch selbst
von Christian Paulwitz drucken

Derzeit erlebe ich selbst im Austausch mit Menschen, die ich bisher als freiheitlich, wenn nicht libertär gesinnt erlebt habe, eine merkwürdige Verengung der Sicht, wenn es um die Bewertung der Konflikte auf den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen und den beteiligten Kräften geht. Die Einsortierung anderer Personen nach deren Meinungsäußerungen in Gruppen, die entweder „auf der richtigen Seite“ stehen oder eben offenbar Propagandaopfer der „falschen Seite“ sind, wird bei manchen zu einer deprimierenden Gewohnheit und verleidet einem bisweilen das Interesse, sich überhaupt noch um einen Austausch zu bemühen.
Ich finde das unbefriedigend und unternehme hiermit einen Versuch zu formulieren, was ich unter grundsätzlich libertär denkenden Menschen als weitgehend konsensfähig annehme. Wenn man sich auf dieser Basis einigermaßen nahesteht, ist es eigentlich nicht mehr möglich, den jeweils anderen bei der Bewertung und Einordnung der laufenden Kriege und internationalen Konflikte, die uns beschäftigen, in politischer Gegnerschaft zu sehen, auch wenn man sie im konkreten Fall aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und sie demzufolge anders bewerten mag. Vielleicht sind andere Standpunkte dann angesichts gemeinsamer Grundlagen leichter zu respektieren.
Dabei ausgehen möchte ich von den praxeologischen Kategorien des friedlichen beziehungsweise freundlichen und des feindlichen Handelns, wie von Andreas Tiedtke in seinem Buch „Der Kompass zum lebendigen Leben“ ausführlich beschrieben. Jede Form von initiativem Zwang, Drohung, Gewaltanwendung oder auch Täuschung, die einen Menschen dazu bringt, sich anders zu verhalten, als er es nach seinen persönlichen Präferenzen vorziehen würde, fällt in die Kategorie des feindlichen Handelns und führt stets zu einer „Win-lose“-Situation. Die regelmäßigen Leser der Freiheitsfunken dürften weitgehend mit der Feststellung übereinstimmen, dass der Staat eine Plattform bietet für Menschen, sich feindlich gegen andere Menschen zu verhalten, wie zum Beispiel bei der Erhebung und Durchsetzung von Steuern oder anderen Maßnahmen der Herrschaftsausübung. Dabei ist der Staat selbst ein Konzept und handelt nicht – Handelnde sind immer Menschen. Man könnte sagen, dass die Handlungen vollzogen werden von Menschen, die der Gruppe Staat zuzurechnen sind. Die feindlichen Handlungen richten sich normalerweise hauptsächlich gegen die auf dem Territorium des Staates lebenden Menschen. Auch die scheinbar freundlichen Handlungen im Namen des Staates, wie die Gewährung von Zuwendungen, sind feindliche Handlungen, da zu ihrer Ausführung andere Menschen zu unfreiwilligen Zahlungsleistungen gezwungen werden müssen und somit eine „Win-lose“-Situation vorliegt.
Jegliche Handlung im Namen des Staates verdient also höchstes Misstrauen, und zwar insbesondere seitens der ihm zugeordneten Staatsbürger. Staatsbürger beziehungsweise im weiteren Sinne die, die auf dem Territorium des Staates leben, sind von denen zu unterscheiden, die im Namen des Staates handeln, wie ohne Weiteres auf der Hand liegt. Die im Namen des Staates handeln, mögen ihre eigenen persönlichen Gründe für ihr Handeln haben, deren Motivation und Bewertung sich anderen Menschen entzieht, was aber auch unerheblich ist für die Feststellung, dass sie auf unfreiwillige Kosten anderer erfolgt und es somit feindliche Handlungen sind.
Keine feindliche Handlung im praxeologischen Sinne, also a priori feststellbar, liegt vor, wenn jemand sich gegen eine feindliche Handlung wehrt oder bezüglich eines erlittenen Schadens durch eine feindliche Handlung Vergeltung übt – denn jeweils ist die feindliche Handlung vorausgegangen und Abwehr beziehungsweise Vergeltung sind nur Reaktion darauf. Ebenso liegt keine feindliche Handlung vor, wenn jemand einen anderen bei der Abwehr oder Vergeltung einer vorangegangenen feindlichen Handlung unterstützt. Das dürfte nicht nur unter Libertären unmittelbar Zustimmung hervorrufen, sondern mehr oder weniger unter allen Menschen, jedenfalls im Grundsatz. Deshalb bemühen sich auch staatliche Akteure, ihre Handlungen nach außen – also gegenüber anderen Staaten – als defensive Maßnahmen darzustellen, etwa zur Abwehr oder Vergeltung von Angriffen, und nicht als aggressive oder feindselige Handlungen.
Offenbar sind solche Narrative sehr wirkmächtig und können auch ansonsten sehr staatskritische Gemüter veranlassen, ihnen bisweilen sogar sehr weit zu folgen und somit eine Interessenübereinstimmung mit politisch Handelnden als Personen der Gruppe Staat zu finden, die sich als solche gegenüber den Menschen auf ihrem Territorium im Allgemeinen im praxeologischen Sinne feindlich verhalten. Schon dies allein legt nahe, dass es bei internationalen Konflikten, die in Kriegshandlungen münden, nicht nur um die Abwehr und mehr oder weniger berechtigte Vergeltung feindlicher Handlungen geht. Der Verdacht wird dadurch erhärtet, dass in der Vergangenheit bei diesbezüglichen Begründungen schon einmal die eine oder andere dreiste Lüge vorgekommen sein soll, um es vorsichtig auszudrücken.
Jedoch sind – im praxeologischen Sinne – die Narrative, mit denen Kriegshandlungen der Gruppe Staat begründet werden, bereits im Grundsatz mehr oder weniger falsch, denn sie gehen von Kollektiven als Subjekte aus, die wiederum typischerweise nicht identisch sind mit den Gruppen handelnder Personen. Tiedtke schreibt in seinem 2021 erschienen Buch (Kapitel X.3):
„Vergeltung kann sich also – wie Verteidigung – nur gegen einen Angreifer richten, nicht gegen jemanden, der sich überhaupt nicht feindlich gegenüber einem anderen verhalten hat. So sind beispielsweise ‚Vergeltungsschläge‘, die Kriegsparteien als Vergeltung bezeichnet haben, keine Vergeltungsschläge, weil sie sich nicht – oder nicht ausschließlich – gegen die Gruppe der Angreifer gerichtet haben, sondern gegen beliebige Personen, von denen viele selbst unter der Gruppe Staat gelitten haben.“ Er führt als Beispiel die Bombardierung von Städten im Zweiten Weltkrieg an.
A priori lässt sich also feststellen und nicht widerlegen, dass jemand, der selbst oder seine Familie bei einem solchen „Vergeltungsschlag“ zu Schaden gekommen ist und an der vorausgegangenen feindlichen Handlung nicht aktiv oder unterstützend beteiligt war, sich völlig zu Recht als Opfer einer feindlichen Handlung sieht und den Täter als Aggressor. Für ihn ist nur die eigene Betroffenheit entscheidend, da er für die Taten anderer keine Verantwortung trägt. Seine Präferenzen, zu allererst die Unversehrtheit seines Körpers und seines Besitzes, können nicht gegen die anderer gewichtet werden.
Beispiel Gaza: Man muss weder links, noch Islamist oder Antisemit sein oder in eine ähnliche Schublade passen, um entsetzt zu sein über das, was das israelische Militär dort ausübt. Und man kann auch nicht davon ausgehen, dass der israelische Staat als seinen eigenen Staatsbürgern grundsätzlich freundlich gesinnt betrachtet werden kann, haben seine Akteure doch wie kein zweiter das Corona-Narrativ gegen ihre Landsleute angewendet und sie zur sogenannten „Impfung“ erpresst. Ähnliches über das konfliktträchtige Verhältnis zwischen Staatsapparat und Staatsbürgern lässt sich zum Iran, der Ukraine oder Russland sagen. Und den USA, dem Schuldenweltmeister mit dem größten Militärapparat der Welt. Staatsakteure haben überall andere Interessen als im Allgemeinen die Bürger.
In Anbetracht der fehlenden Eindeutigkeit und Identität der Kriegsparteien sowie fehlender Übereinstimmung mit den Interessen staatlicher Kriegsakteure sehe ich für mich persönlich als einzig mögliche Haltung nur die Ablehnung beziehungsweise Infragestellung aller Kriegserzählungen. Das ist keine objektive Aussage, sondern eine subjektive Einschätzung nach meinen Werten. Man kann das natürlich auch anders sehen und nach anders gewichteten Maßstäben auch subjektiv anders bewerten. Werten kann niemals objektiv sein.
Nicht übersehen sollte man aber vielleicht, dass man möglicherweise selbst Kriegsschauplatz und Ziel ist, während man sich noch mit den Kriegen in anderen Ländern beschäftigt, und sich entsprechend wappnen. Sonst hat man den entscheidenden Krieg, der aus individueller Sicht eindeutig und a priori erkennbar der Abwehr einer feindlichen Handlung dient, bereits verloren. Siehe hierzu meine unten verlinkte Kolumne zur Kognitiven Kriegsführung vom November 2023.
Quellen:
Andreas Tiedtke: Der Kompass zum lebendigen Leben
Das Schlachtfeld – sind auch Sie (Christian Paulwitz, Freiheitsfunken)
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