Herrschaftsrecht: Was ist Eigentum?
Ohne Besitz gibt es keine Freiheit
von Markus Krall
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Eigentum ist eines der fundamentalsten Konzepte menschlichen Handelns. Den meisten Menschen ist seine Bedeutung intuitiv, ja instinktiv von Kindesbeinen an bewusst. Das weiß jeder, der einmal Kleinkinder, selbst im Vorkindergartenalter, auf dem Spielplatz beim Streit um das Schäufelchen beobachtet hat. „Er hat mir meines weggenommen!“ dürfte der häufigste Grund für mütterliche Schlichtungsverhandlungen auf diesem Marktplatz der Meinungen namens Sandkasten sein, und das schon immer.
Der Grund dafür ist in der Evolution zu suchen, denn Eigentum ist älter als die Menschheit. Tiere, insbesondere Karnivoren, haben ein Revier, das sie im buchstäblichen Wortsinne mit Zähnen und Klauen verteidigen, denn ihnen ist klar, dass davon ihr Überlegen abhängt. In diesem Zusammenhang können wir auch erkennen, dass Grund und Boden das wohl älteste mit der Begrifflichkeit „Eigentum“ versehene Objekt der Begierde ist.
An diesem Beispiel können wir auch identifizieren, was für die Definition des Eigentums konstitutiv ist: nämlich die Exklusivität, die ausschließliche Nutzung durch ein Individuum oder eine kleine familiäre Gruppe von Individuen. Eigentum ist also per definitionem privat, und es ist mit exklusiven Nutzungsrechten verbunden. Trennt man diese Rechte vom Eigentum, so verliert der Begriff seinen Sinn.
Eigentum ist zugleich eine derjenigen Institutionen, an denen Friedrich August von Hayek den Unterschied zwischen dem Ergebnis menschlichen Handelns und menschlichen Designs erkannte. Eigentum ist keine Erfindung, also kein Resultat planerischen menschlichen Handelns, sondern hat sich evolutionär aus der Interaktion menschlichen Handelns herausgebildet, weil es dazu geeignet ist, dem Menschen die Erreichung seiner Ziele, insbesondere sein Überleben, zu erleichtern. Erst später wurde es in Rechtsordnungen kodifiziert.
Es stellt sich daher die Frage, wie Eigentum und menschliche Ordnung in Wechselwirkung zueinander stehen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts liefert uns empirischen Anschauungsunterricht hinsichtlich dieser Frage, denn sie ist geprägt vom Antagonismus zweier unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen, die sich beide über ihre Beziehung zum Eigentumsbegriff definiert haben. In der westlichen, kapitalistisch-marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft war das private Eigentum ein konstituierendes Merkmal der Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnung. Das private Eigentum zeichnete sich durch Exklusivität, durch Nutzungsrechte nach dem Gutdünken des Eigentümers als dem Inhaber dieser Exklusivität und durch den – wenn auch lückenhaften – Schutz des Staates vor Wegnahme durch Dritte aus.
Dem stand die sozialistisch geprägte Gesellschaftsordnung des Sowjetblocks gegenüber, in welcher der Staat das private Eigentum in „Staatseigentum“ überführte. Der Begriff Staatseigentum leidet jedoch schon insofern unter einem definitorischen Mangel, als ihm der Exklusivitätsbegriff fehlt. Das Verbot des privaten Eigentums, insbesondere am Produktivkapital, führt in dieser Ordnung dazu, dass der Staat die Wirtschaft lenkt, also zentral plant und das Individuum die Notwendigkeiten für seinen Lebensunterhalt vom Staat, also von einer bürokratischen Klasse, zugeteilt bekommt.
Wir wissen aus der Geschichte, dass sich die Marktwirtschaft der zentralen Planwirtschaft nicht nur überlegen bei der Schaffung von Wohlstand im Sinne der Güterversorgung erwies, sondern dass die Planwirtschaft nicht einmal in der Lage war, die fundamentalsten Grundbedürfnisse der Mitglieder ihres Gemeinwesens zu erfüllen.
Der Grund war mehrschichtig: Die Planwirtschaft hat kein Informationssystem für die Bedürfnisse der Menschen und es fehlt ihr ein Leistungsanreizsystem für die Erfüllung der Grundbedürfnisse anderer Menschen. Das Informationssystem des Marktes hingegen beruht auf der Ausübung des freiwilligen Tausches von Gütern und Dienstleistungen zwischen Wirtschaftssubjekten zum wechselseitigen Vorteil. Dieser Tausch erfolgt zu einem Preis, der sich frei bildet und der eine Aussage über die relative Knappheit jedes einzelnen Gutes macht. Diese Information steuert die produktive Verwendung von Ressourcen, seien es Rohstoffe, sei es Arbeit, seien es Intelligenz und Innovationskraft. Was aber soll der Mensch tauschen, wenn es kein privates Eigentum gibt? Eigentum an Dingen und am Geld als Tauschmittel ist die Grundvoraussetzung für die Existenz marktlicher Transaktionen und damit des filigranen Informationssystems des Marktes: ohne Eigentum kein Tausch, ohne Tausch kein Markt und keine Preisbildung, ohne Preise keine Information über Knappheiten und damit keine Möglichkeit der effizienten Ressourcensteuerung.
Die Eigentumslosigkeit des Individuums beraubte den Menschen darüber hinaus der Fähigkeit, durch Fleiß und Können die Bedürfnisse Dritter überhaupt befriedigen zu können. Dafür fehlten ihm schlicht die Ressourcen.
Das Dilemma der eigentumsfeindlichen Planwirtschaft reicht jedoch noch tiefer. Es gründet in der Natur des Menschen als freiem Wesen und der Notwendigkeit der physischen Realisierungsmöglichkeit freien Handelns in der realen Welt.
Es gibt nämlich einen fundamentaleren Eigentumsbegriff als denjenigen an Dingen. Dieser Eigentumsbegriff wurzelt im Eigentum des Menschen an sich selbst. Der Mensch als freies und bewusstes Wesen zieht seine Würde und seinen Anspruch auf Anerkennung als Individuum aus der Erkenntnis seines Selbst. „Ich denke, also bin ich!“ – der Blick in den Spiegel und die Wahrnehmung des eigenen Ich als einmaliges, nicht replizierbares und nicht Dritten gehörendes Wesen ist dafür die Basis. Hier wurzelt die Würde des Menschen, hier manifestiert sich das göttliche Geschenk des freien Willens.
Da der Mensch nur sich selbst gehört, kann er nicht Verfügungsmasse Dritter sein. Seine Würde existiert aus sich selbst heraus, sie kann nicht vom Willen anderer abhängig sein. Wer diese simple Wahrheit verweigert, stellt sich in Feindschaft zur Menschenwürde. Damit kann diese auch nicht von Dritten weggenommen oder aberkannt werden. Würde man ein solches Wegnehmen akzeptieren, dann akzeptierte man auch die Sklaverei beziehungsweise, wie von Hayek es formuliert hätte, die Knechtschaft.
Der Mensch gehört sich selbst. Aus diesem Diktum leiten sich logisch zwingend eine Reihe von Forderungen ab, deren Verweigerung nur durch eine Ordnung der Sklaverei möglich ist. Dazu gehört, dass jeder Mensch das Recht hat, für sich und seine Familie und die ihm vom Leben anvertrauten Mitmenschen zu sorgen, sie zu ernähren, zu kleiden, zu behausen, zu bilden, zu lieben und zu achten.
Damit das möglich ist, muss der Mensch über produktive Mittel verfügen, also über Eigentum. Hat er kein Eigentum, so ist er auf Gedeih und Verderb auf die Gnade der verteilenden Bürokratie, eines Tyrannen oder einer zentralen Verteilungsorganisation angewiesen, die jederzeit willkürlich entscheiden kann, ihm die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Inkompatibilität dieser beiden antagonistischen Konzepte ist wohl so augenfällig, dass sie nicht weiter erläutert zu werden braucht.
Erinnern wir uns an die fünf Säulen einer funktionierenden freien Zivilisation bei Schafarewitsch, so wird aus diesem Zusammenspiel von Menschenwürde und Eigentum sofort klar, dass und warum diese fünf Säulen aufeinander aufbauen und miteinander verzahnt sind. Diese Säulen sind Individualität, Eigentum, Familie, Religion und Kultur. Die Individualität, die eben auf genau dieser Ich-Wahrnehmung, dem Selbstbewusstsein und der Selbsterkenntnis des Einzelnen beruht, ist die Basis der Menschenwürde, denn sie kann nicht stellvertretend durch eine wie auch immer geartete Masse ausgeübt werden.
Daher ist der Versuch der Kollektivisten, Menschenrechte als Rechte des Staates oder der Gemeinschaft zu postulieren, eine nachgerade satanische Verirrung. Die Forderung der Nationalsozialisten „Dein Volk ist alles, du bist nichts!“ ist ein besonders schlagendes Beispiel der daraus resultierenden Menschenverachtung.
Wie ordnet sich das Eigentum nun in die Kette der fünf Säulen ein? Es ist einerseits physische Voraussetzung in einer materiellen Welt für das Eigentum an uns selbst, also der Realität des Individuums per se und andererseits Basis der Familie, die durch „genetischen Egoismus“ und den Willen des Schöpfers zur Eltern- und Kinderliebe unser eigenes Sein in dieser Welt perpetuiert. Die Religion dient der Verfestigung eines Wertekanons, der genau dieses Verhalten und seine notwendigen Institutionen schützt und über die Generationen und Jahrhunderte bewahrt. Deshalb finden wir in den Zehn Geboten die Sätze „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut!“ (für das Eigentum) und „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ (für die Familie).
Kunst, Kultur und Musik schließlich eröffnen dem Menschen durch die Erkenntnis der Schönheit der göttlichen Schöpfung die emotionale Einsicht in die Weisheit seines Schaffens und damit seiner Regeln. Sie runden das Bild also ab.
Die Geschichte hat auch gezeigt, dass die Feinde dieser Ordnung und des Naturrechts auf unterschiedliche Weise immer genau diese fünf Säulen angreifen. Die Leninisten, Stalinisten und Nationalen Sozialisten des 20. Jahrhunderts bedienten sich dabei der rohen Gewalt, die Kulturmarxisten unserer Tage der subtilen Aushöhlung durch Ausnutzung menschlicher Schwächen und Begierden, die sich in den „sieben Todsünden“, hier insbesondere Neid, Gier und Zorn, manifestieren. Der Hass auf das Eigentum und damit das Individuum kommt heute im Gewande des Sozialen daher.
Hier zeigt sich auch, dass sich die Institution des Eigentums auch im vermeintlich freien Westen im Belagerungszustand befindet. Das ist nicht erst seit gestern der Fall. Die Existenz des Staates bedeutet immer auch einen Kampf zwischen den Anhängern der Freiheit und den Apologeten des Sozialismus um die Grenzen staatlicher Macht und Kontrolle. Ein großer fetter Staat kann nur existieren, wenn er den Bürgern Eigentum wegnimmt, in Form von Steuern oder Enteignungen. Im Laufe der Jahrzehnte hat jede staatliche Gewalt und Bürokratie die Neigung zur Selbstvergrößerung. Sie wird gegenüber dem Bürger, dessen Eigentum der Staat eigentlich schützen soll, immer übergriffiger.
Wir können am staatlichen Interventionismus erkennen, wie das Eigentum nicht durch seine direkte Abschaffung in seiner Funktion und als Institution beseitigt wird, sondern wie es durch eine Salamitaktik unterminiert wird, indem man die mit ihm verbundenen Rechte separiert und einzeln infrage stellt. Das reicht, am Beispiel des Immobilieneigentums, von der Besteuerung und Enteignung über den Zwang zu bestimmten staatlich verordneten Investitionen, den Mietendeckel, das Kündigungsverbot und die Einschränkungen bei der Abrechnung von Betriebskosten bis hin zur Anmaßung, die Bewohnbarkeit von Immobilien in regelmäßigen Abständen vom Staat bestätigen lassen zu müssen, damit man sie überhaupt für Eigengebrauch oder Vermietung nutzen darf.
Die so bewusst betriebene Erosion der verbundenen Rechte unterminiert die Bindung des Eigentümers an sein Eigentum und es kommt zum schrittweisen Verfall. Dieser Verfall wird dann noch dem Eigentümer angelastet, der sein Eigentum ja nicht, wie vom Grundgesetz gefordert, „sozial verantwortlich“ nutzt. Es kommt als letzter Schritt der Satz: „Dann können wir es ihm ja gleich wegnehmen.“
Der Weg ist also abschüssig. Die Institution des Eigentums kann nicht halb geschützt werden. Sie ist entweder heilig oder sie ist es nicht. Sie so zu nennen, ist keine Verabsolutierung, sondern die notwendige Antwort darauf, dass es den Feinden des Eigentums bisher noch nie gelungen ist, ihren Schrei nach Besteuerung und Enteignung rational zu begründen. Die Begründung erfolgt stattdessen stets im Namen einer nicht nachprüfbaren „höheren Moral“, und sie setzt das Recht des Räubers über das des Beraubten. Denn warum sollte dem Staat gestattet sein, Eigentum wegzunehmen, wenn es dem Einzelnen nicht gestattet ist, auch nicht, wenn er sich als Gruppe organisiert und sich Staat nennt? Zumal eine Sache klar sein sollte: Der freiwillige Staatsvertrag, wie ihn sich Rousseau vorstellte, hat nie existiert. Der Staat wurde immer als Zwangsgebilde über die Menschen gestülpt. Seine Legitimation bestand seit jeher eher in der Gewöhnung als in der Willenserklärung des eigentlichen Souveräns, des Volkes, als Summe der in ihm vertretenen Individuen.
Wie wusste schon der Heilige Augustinus von Hippo: „Nimm vom Staat das Recht weg – was bleibt dann als eine große Räuberbande?“ Und dieser Räuber macht nicht halt vor dem Eigentum an Dingen, er macht auch nicht halt vor dem Eigentum an der eigenen Person. Hat der Staat sich erst zum Eigentümer der Dinge gemacht, so wird auch der Mensch zu seiner Verfügungsmasse. Die Abschaffung des Eigentums ist also der gerade Weg in die Knechtschaft.
Das also ist Eigentum: die physische Basis von Freiheit und Würde des Menschen.
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