Verantwortungsfreie Gesellschaft: Der Dienstmädchen-Krieg
Seid ihr noch bei Trost?
von Monika Hausammann (Pausiert)
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Wenn wenig informierte Kleinanleger mit einem Mal Hals über Kopf beginnen, in einen seit geraumer Zeit steigenden und bereits hoch- beziehungsweise überbewerteten Markt hinein wie verrückt Wertpapiere zu kaufen, spricht man von einer Dienstmädchen-Hausse oder einer Hausfrauen-Rallye. Auch der Begriff „Bildzeitungs-Indikator“ kommt dann zur Anwendung: Die Boulevardpresse, die vom Bedienen und Verstärken von Massenphänomenen lebt, kann das plötzliche Interesse und die Goldgräberstimmung ansonsten börsenferner Kreise nicht ignorieren. Dies führt dazu, dass solche Rallyes am Ende fast ausschließlich von Klein- und Kleinstanlegern getragen werden, während die Presse sich aufführt, als ging’s um das Riesengaudi eines Millionen-Jackpots beim Lotto. All dies zusammengenommen war in der Vergangenheit oft genug ein zuverlässiger Indikator dafür, dass eine Marktsituation der Übertreibung eingetreten ist, die kurz vor ihrem Ende steht. Mit entsprechend verheerenden Folgen für die Dienstmädchen, Hausfrauen und Taxifahrer.
Heute haben wir, ein ungleich ernsteres Geschehen betreffend, ein ähnliches Phänomen: den Krieg in der Ukraine. Er ist zur Top-Selling-Story des Boulevards geworden. Die Frage, die sich stellt, ist, ob dies wie im Fall der Dienstmädchen-Hausse, als Indikator gewertet werden kann. Ein Indikator dafür, dass das blutige, mit Leid und Qualen verbundene Geschehen große Teile einer denkbar kriegs- und leidensfernen Bevölkerung nicht nur bewegt, sondern begeistert, ist es auf jeden Fall. Tödliche Kriegsmaschinen wie Kampfpanzer erhalten Kosenamen („Leo“), das Seilziehen um deren Lieferung in die Ukraine und damit um Milliarden von Steuergeldern der nächsten und übernächsten Generation und der nächste Schritt in Richtung Eskalation werden zum „Panzer-Krimi“ („watson“) oder zum „Panzer-Bingo“ („Focus“), bei dem es um nicht mehr als um eine Art pervertiertes Prestige-Phänomen geht, nämlich darum, wer „kleckere und wer klotze“. Man feiert es, wenn andernorts, um die Wiege der Demokratie zu retten, die neuerdings in der osteuropäischen Ebene liegt, Demokratie und Rechtsstaat unter Absingen von Schauermären und Geheimdienst-Klatsch Marke „Todeslisten“ ausgehebelt werden (siehe Bulgarien). Und in der Sendung „Aktuelle Stunde“ des WDR schließlich wendet sich Mona Ameziane, die zierliche brünette Moderatorin, vertraulich-verschwörerisch mit der Aussage an Publikum und Co-Moderator, sie wisse nicht, wie es anderen gehe, aber während sie vor einem Jahr noch kein einziges Panzermodell hätte beim Namen nennen können, habe sie am Vorabend mit einer Freundin ganz selbstverständlich darüber diskutiert (hier die Schnell-und-Schmutzig-Mimik eines gestandenen Kämpfers), was den Leopard vom Abrams unterscheide (Hihihi!) – und das sei ihr vollkommen normal erschienen.
Der Unterschied eines solchen Dienstmädchen-Kriegs zur Hausfrauen-Rallye ist augenfällig: Keiner, der im sich hochschaukelnden Grusel-Karussell sitzt – weder die Einpeitscher und Einordner in den Redaktions-Stuben noch der solidaritätstrunkene Teil der Leserschaft –, scheint auch nur den kleinsten Gedanken daran zu verschwenden, dass die Sache vom wohligen Gruseln eines „Krimis“ zu bitterstem Ernst mit ganz persönlichen Konsequenzen für jeden Einzelnen werden könnte. Und freilich ist auch keine Rede davon, dass, während man sich hier auf Dschungelcamp-Niveau in immer brutaleren Forderungen suhlt und sich dabei als moralische Instanz und kämpfend für die Demokratie einstehend in einem Aufwasch fühlt, überlässt man es mit kindischer und selbstischer Selbstverständlichkeit, in gut-europäischem Größenwahn und in dümmlich-naiver Unbekümmertheit den armen Teufeln vor Ort, Russland eigenhändig zu besiegen.
Im Grunde habe ich keine Worte für dieses Reden und Fordern und Mitfiebern auf Fankurven-Niveau als immer wieder diese: Geht’s eigentlich noch? Seid ihr alle noch bei Trost? Mal ganz abgesehen davon, was das wirtschaftlich für uns und die kommenden Generationen für Konsequenzen haben wird und was eine weitere Eskalation ganz konkret auch hier für Folgen haben kann – habt ihr nicht wenigstens in den Geschichtsbüchern gelesen, dass Kriege das Unkontrollierbarste der Welt sind? Dass sie anfangen wie ein „Küchlein“, wie einer mal schrieb und sich, ehe man sich’s versieht, selbständig machen und zu einer Art rotem Hahn werden, der alles verbrennt? Denkt ihr auch nur einen Moment daran, was es bedeutet, weit weg von allem Menschlichen als Soldat in einem Krieg zu stehen? Als Zivilist in einem Kriegsgebiet zu leben? Von Panik und Tod umgeben zu sein? Was es bedeutet dort, jetzt im Winter? Was es heißt, die eigenen Kinder verängstigt frieren und hungern zu sehen? Vom eigenen Hunger ganz zu schweigen? Glaubt ihr, die Leute sitzen in den umkämpften Gebieten seelenruhig am Feuer und kochen veganen Borschtsch für die Ersten, die kommen, im Wissen, dass ihr Schicksal und das ihrer Kinder in den Händen von Leuten liegt, die nur zu gewinnen haben – Politikern? Dass sie sich freuen über eure „Solidarität“, die wild entschlossen die politischen Interessen auch „unserer“ Seite und unserer „Partner“ ausblendet? Dass sie Mut schöpfen in dieser Schinderei aus euren Forderungen nach schwereren Waffen und mehr Blut und mehr Qual?
An dem Ganzen zeigt sich einmal mehr, was aus einer Gesellschaft wird, von der eine Mehrheit der Leute den Draht zu dem, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen, nicht nur gelockert, sondern vollkommen verloren hat. Hat es jemals eine Zeit gegeben, in der so viele Menschen die Namen von schwerem Kriegsgerät im Munde führten, während sie selber noch nie etwas Schwereres als einen Pappbecher von Starbucks oder ein Save-the-Planet-Demo-Schild in den Händen gehalten haben? Dass sich so viele in Bezug auf souveräne Staaten vom politischen Geschwafel über „alle einen Platz am Tisch“ haben einlullen lassen, während es in Wahrheit und für jeden ersichtlich gar keinen Tisch gibt, sondern nur einen Thron? Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Müsste der Einzelne mit dem eigenen Leben geradestehen, müsste jeder und müsste jede, die mehr Waffen, mehr Krieg, mehr Schinderei, mehr Geld und mehr Blutvergießen fordert, selber „für die Freiheit“ und für die Politiker, die sie auf den Lippen führen, bezahlen und einrücken, selber an die Front, selber Menschen töten, selber die Froststrapazen aushalten, in denen das Gesicht bereits nach kurzer Zeit aussieht wie ein wundgelegener Säugling und man die eigenen Hände und Füße sucht, selber das Risiko eingehen, getötet zu werden oder in Gefangenschaft zu geraten – müssten sie das, Männer und Frauen gleichermaßen, sie würden sofort zusammenbrechen, nach einem Safe Space schreien, und der Krieg wäre morgen früh vorbei.
Und dann könnte man wieder über friedliche und freiwillige Zusammenarbeit sprechen. Denn es bleibt dabei: Entweder gehen Waren und Dienstleistungen über Grenzen oder Soldaten tun es. Den Unterschied machte immer und macht auch heute eine einzige Gattung von Menschen: Politiker. Oder anders gesagt: Nimm die Politiker aus der Gleichung, die Erzählung der Medien, die hochgeschaukelten Rachegelüste, und kein Mensch will mehr Krieg führen – geschweige denn Soldat werden. Meine Bitte deshalb: Reißt euch ein wenig zusammen und hört auf, Dinge zu fordern, für die ihr nicht mit dem eigenen Geld und dem eigenen Leben geradezustehen habt. Das ist kein Fußballmatch, kein Elfmeter-Krimi und keine Netflix-Serie – das ist Wirklichkeit. Grausige Wirklichkeit. Wenn ihr also schon dauernd von Werten palavert, dann fangt doch mit jenem Wert an, ohne den all eurer Fordern und Reden der pervertierte Freiheitsbegriff von Kleinkindern und Befehlsempfängern bleibt: Selbstverantwortung.
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