Friedensmüde Schönwetterbarden: Das tonlose Schweigen der Maulhelden
Wo sind Udo, Marius, Herbert und Campino?
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
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Spätestens dann, wenn unsere Stadtbilder wieder von Kriegszitterern, Beinamputierten und Einäugigen geprägt sein werden, dürften sich Menschen fragen, warum sie „Auf in den Kampf!“ geschrien haben. Wenn die Versorgungsämter wieder orthopädische Spezialschuhe subventionieren und massenhaft Kriegswaisen in den Schulen sitzen, werden sie sich fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, mit anderen zu reden, statt auf sie zu schießen. Und wenn es nach dem Krieg wieder Farbe zu kaufen gibt, wird irgendwer an die Mauer eines zusammengefallenen Hauses schreiben: „Nie wieder Krieg“.
Als die Grünen vor rund 40 Jahren begannen, überall für den Frieden zu demonstrieren, da gab es in Deutschland und Europa noch Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges. Einige von ihnen sagten die Folgen eines weiteren Krieges voraus: „Die Lebenden werden die Toten beneiden.“ Man darf gespannt sein, was in Medien zu lesen sein wird, wenn die Versorgungsinfrastrukturen gesprengt, die Brücken in Flüsse gestürzt und nach dem weißen Pferd auch das rote, das schwarze und das elende durch die Straßen laufen. Vielleicht muss man einfach aufhören, sich zu wundern: Wer glaubt, den gesamten Straßenverkehr elektrifizieren zu können, wenn man alle Kraftwerke abreißt, der glaubt eben auch, man könne Friedfertigkeit mit dem Liefern von „Tierpanzern“ herbeiführen. Wir essen Insekten, fahren Lastenfahrrad und bombardieren Russland. Das intellektuelle Niveau bleibt gleich: Nur die Impfung führt uns aus der Pandemie?
Alexander Wendt hat im vergangenen Sommer den bitteren Begriff des „antirealistischen Schutzwalls“ formuliert. Seine Entdeckung stammt zwar aus dem Kontext der deutschen „Energiepolitik“ (die man wohl treffender „Politik des Kraftverlustes“ nennen sollte, aber das ist ein anderes Thema). Der antirealistische Impetus (um ihn einmal so zu nennen) reicht indes weit über Deutschland und weit über die Energiepolitik hinaus. Die notorischen „Erweiterungen“ aller möglichen supranationalen Einrichtungen haben sich bekanntermaßen schon immer gerne hinter solchen antirealistischen Schutzwällen verschanzt. Der kontrafaktische Versuch einer europäischen Gemeinschaftswährung beispielsweise wurde ebenfalls gegen kluge Ratgeber implementiert, mit den bekannt destruktiven Resultaten. Ich denke nach allem inzwischen, dass es gar nicht sinnvoll ist, den Führern der Europäischen Union detailliert begründet von ihren allgegenwärtigen Plänen abzuraten, deren destruktive Konsequenzen dem Sachkenner offenliegen. Denn genau diese Gegenrede scheint in Brüssel, Paris und Berlin oft erst recht einen Impetus zu nähren, gleichwohl genau das Falsche zu tun.
In einer Zeit, in der Mitteleuropa in der Gefahr steht, unter hyperinflationären Bedingungen energiearm in die Zukunft zu stolpern und seine Ressourcen für experimentelle Medizin und geschichtsvergessene Waffengeschenke verschleudert, muss man sich immer daran erinnern: Große Sprünge nach vorn sind niemals realistisch. Dennoch gibt es offenbar immer wieder neue Anführer, die sich mit ihresgleichen unterhaken und zum transformativen Sprung ansetzen. Kurz: Irrationalität ist derzeit wieder einmal kein Argument mehr gegen falsche Politik. Argumentieren hilft also nicht. Was stattdessen hülfe, weiß auch ich nicht. Im schlimmsten Falle bleibt wohl allein der Schmerz als Korrektiv.
Bedenke, überlege ich bisweilen, dass die Bibel kein elftes Gebot kennt, das besagt: Du sollst die wesentlichsten Grundentscheidungen für dein Leben in die Hände von Studienabbrechern und Berufsversagern legen, denen du nie begegnet bist, die dich zu allem zwingen können und die dir zwar die Früchte deiner Arbeit nehmen dürfen, die aber für keinerlei Schäden verantwortlich sind, die sie dir und anderen zufügen! Währenddessen höre ich Udo Lindenberg moralschwanger mit Kinderchören vom Frieden singen, Marius Müller-Westernhagen im Feuerzeugmeer von der Freiheit, Herbert Grönemeyer von der kindermächtigen Gummibären-Waffenlosigkeit und Campino ungekämmt von einer noch viel gerechteren Welt. Das aktuelle Schweigen dieser Barden, die fehlenden Appelle an ihr eigengrünes Milieu und die Abwesenheit allen Einforderns von Rationalität dröhnen im Angesicht der immer neuen Waffenbegehrlichkeiten aus dem Osten in meinen Ohren. Waren sie allesamt nur Maulhelden einer Welt, die uns nun endgültig in surreal-blutrünstige Phantasien entgleitet?
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