Selbstbestimmung: Sezession ist auch keine Lösung
Staat bleibt Staat
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in London fiel einstimmig: Ohne Zustimmung der britischen Regierung darf die schottische Regionalregierung kein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands ansetzen. Seitdem sucht man offiziell bei der regierenden Scottish National Party (SNP) nach einer neuen Strategie auf dem Weg zur Loslösung von London. Eine Konferenz im März soll hier eine Entscheidung bringen.
Dabei ist die Strategie eigentlich längst gefunden. Es ist die bewährte Methode, mit der die sozialistische SNP bereits die vergangene Regionalwahl zum bedeutungslosen, aber für Nicola Sturgeons Partei einträglichen Unabhängigkeitscontest gemacht hat. Der SNP verspricht diese Strategie Machterhalt und den Schotten ein fortgesetztes Dasein im Vereinigten Königreich. Aber wäre das für die Schotten wirklich das Schlimmste?
Schließlich war Schottland in den Covid-Jahren der mit Abstand repressivste Ort im Vereinigten Königreich. Als Schotte wäre ich froh, dass London zumindest noch als Korrektiv für die durchgeknalltesten Ideen der SNP fungiert, egal, ob es sich dabei um Zero Covid oder die neueste Gender-Narretei aus Hollywood handelt.
Auch die Regionalregierungen in anderen europäischen Provinzen, in denen ein mehr oder weniger großer Teil der Menschen nach Unabhängigkeit strebt, sind während der Covid-Jahre nicht gerade durch liberale Zurückhaltung aufgefallen. Egal, ob Schottland oder Katalonien, Südtirol oder Bayern: Die Maßnahmen in diesen Provinzen unterschieden sich entweder kaum von denen des Zentralstaates oder gingen über diese sogar noch hinaus.
Und auch Hans-Hermann Hoppes Idee von einem Europa der 1.000 Liechtensteins klang irgendwie wesentlich verlockender, bevor auch Liechtenstein im Schlepptau der Schweiz vorübergehend zum autoritären Covid-Staat wurde. Mal ehrlich: Wenn die letzten drei Jahre eines gezeigt haben, dann doch, dass Südtiroler sich nicht so sehr von Italienern und Katalanen sich nicht so sehr von Spaniern unterscheiden, wie sie uns das immer gerne glauben gemacht haben. Im Gehorsam gegenüber staatlichen Autoritäten sind Separatisten und Nationalisten vereint.
Dass Schottland in absehbarer Zeit den unilateralen katalanischen Weg von 2017 gehen wird, scheint ausgeschlossen. Das verdeutlichten nicht nur die halbherzigen Solidaritätsbekundungen der SNP mit den katalanischen Separatisten. Zwar unterstützt laut Umfragen fast die Hälfte der Schotten die Loslösung von London, in der Debatte dominieren allerdings vor allem wirtschaftliche Themen. Mit Braveheart haben die heutigen Schotten schon lange nur noch die Kriegsbemalung gemeinsam. Sollte London nicht großzügigerweise irgendwann ein zweites Referendum erlauben, bleibt in Sachen Schottland alles beim Alten, genau wie in Katalonien.
Auch in den USA ist das Thema Sezession ein Dauerbrenner. Nicht nur in Texas existiert eine kleine Bewegung, die die Unabhängigkeit von Washington zurückfordert. Im Norden Kaliforniens gibt es seit Jahrzehnten Bemühungen, zusammen mit Teilen Oregons einen eigenen Bundesstaat zu gründen. Doch der „State of Jefferson“ ist ohne Unterstützung aus Sacramento, Salem und Washington, D. C., genauso zum Scheitern verurteilt wie europäische Regionalbewegungen in ihrem Streben nach Unabhängigkeit. Und bei Staaten, die ihren Bürgern ein Sezessionsrecht zugestehen, handelt es sich meist ohnehin um solche Länder, in denen es, vielleicht auch gerade deswegen, keine ernsthaften Abspaltungsbestrebungen gibt (hier darf Liechtenstein als positives Beispiel herhalten).
Der libertäre Autor Tom Woods sieht in einer „nationalen Scheidung“ den gangbarsten Weg, die tiefsitzende Spaltung in den Vereinigten Staaten zu überwinden. Woods hält diesen Ansatz für den reallibertären und hat insofern recht, als dass eine Welt ohne Staaten und Regierungen zu unseren Lebzeiten völlig unrealistisch ist. Allerdings sind Forderungen nach einer nationalen Scheidung nicht minder unrealistisch und ungeachtet aller überzeugenden juristischen Argumente ziemlich blauäugig. Das letzte Mal, als eine US-Regierung die vermeintlich heilige Union bedroht sah, wurde der Süden des Landes mit einem fürchterlichen Angriffskrieg überzogen, der Hunderttausende von Toten forderte.
Abraham Lincoln und sein psychopathischer Schlächter, Plünderer und Brandschatzer William Sherman verhinderten mit brutaler, rücksichtsloser Gewalt, auch gegen Zivilisten, einen Präzedenzfall, nach dem unilaterale Sezession nie mehr als realistische Option auf der Tagesordnung stand. Wer glaubt, die US-Regierung würde heute anders handeln und einen Landesteil, der sich abspalten will, friedlich ziehen lassen, muss sich bloß einmal den fast schon messianischen Lincoln-Kult in den USA vor Augen halten. Lincoln war einer der schlimmsten Kriegstreiber eines Jahrhunderts, das wahrlich nicht arm an Kriegstreibern war. Dass er heute Heldenverehrung genießt und gar auf eine Stufe mit den Gründervätern gehoben wird, lässt tief blicken.
Auf dem Papier sind die Argumente für eine Sezession bestechend. kleinere politische Einheiten mit kleineren Populationen, mehr Kontrolle der Politik, mehr Partizipation, kürzere Anfahrtswege zu Demonstrationen, mehr Wettbewerb unter den Staaten, somit mehr Optionen zum Auswandern ... Klingt alles gut. Aber Staat bleibt Staat!
Und am Ende muss man sich daher die Frage stellen: Will ich wirklich meine Kraft und Energie dafür aufwenden, einen neuen Staat zu gründen? Mit einer neuen Hymne, neuer Flagge, anderen Polizeiuniformen. Ist es das wert? Weiß ich mit meiner kostbaren Lebenszeit nichts Besseres anzufangen? Wie wird der neue Staat mit Minderheiten umgehen? Wie wird der neue Staat mit der kleinsten Minderheit, dem Individuum, umgehen? Mache ich mich nicht vielleicht sogar mitschuldig an den Verbrechen, die dieser neue Staat zweifellos begehen wird?
Man kann Sezession aufgeschlossen gegenüberstehen und staatliche Gewalt gegen Separatisten wie in Katalonien anprangern, ohne damit unrealistische Hoffnungen zu verbinden oder seine Zeit mit politischem Aktivismus zu verplempern. Am Ende handelt es sich bei allen Abspaltungsbewegungen um Gruppen, der sich manchmal Millionen von Menschen zugehörig fühlen, die zwar „Freedom“ oder „Libertad“ schreien, aber durch ihr konformes Verhalten der vergangenen Jahre bewiesen haben, dass sie nicht mal im Ansatz verstanden haben, was dieses Wort eigentlich bedeutet.
Statt kollektiver Sezession ist mir daher individuelle Sezession in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Für mich ist das einer der Schlüssel, wie man relativ frei in einer von Staaten und Regierungen dominierten Welt leben kann. Ein eigener Garten, eigene Energiegewinnung, eigene Wasserquelle (alles das, was man im Englischen gerne unter dem Begriff Homesteading zusammenfasst), starke Familienstrukturen und Freunde, auf die man sich verlassen kann, sind wesentliche Fundamente dafür. Und im besten Fall eine Einkommensquelle, die einem völlige Flexibilität und Unabhängigkeit erlaubt, auch was Arbeitszeiten und Wahl des Wohnortes angeht. Und wenn man tatsächlich mal handwerkliche Hilfe braucht, ist es gut, jemanden zu kennen, der einem den Wasserboiler „schwarz“ oder am besten gegen Gemüse aus dem eigenen Garten repariert. Zumindest so lange, bis man sich die entsprechenden Fähigkeiten mit der Zeit nach und nach selbst angeeignet hat.
Sich ein Netzwerk von Menschen aufzubauen, die, wie man selbst, auf freiwillige Kooperation setzen, scheint mir mittlerweile ein wesentlich zielführenderer Umgang mit der eigenen Lebenszeit, als sich in offenen Kämpfen mit dem Staat aufzureiben, ohne dass damit irgendein persönlicher Freiheitsgewinn verbunden wäre. Der Staat lebt von unserer Energie wie ein Parasit von seinem Wirt. Wäre es nicht großartig – statt einen Staat aus der Rippe eines anderen Staates zu schneiden –, Staaten und ihre Institutionen, wo immer es geht, einfach links liegen zu lassen?
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