29. Januar 2023 13:00

Staat und Gesellschaft Das kälteste aller Ungeheuer

Wie lässt sich Totalitarismus verhindern?

von Reinhard Günzel

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Im Mittelpunkt der beiden vorangegangenen Beiträge standen die Parteien, jene organisierten Meinungen, denen es laut Grundgesetz obliegt, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Und hier haben wir gleich zu Beginn ein ernstes Problem, vermögen doch viele Parteipolitiker gar kein Volk mehr zu erkennen, können mit dem Begriff nichts anfangen, wie unser Wirtschaftsminister Habeck, und müssten sich deshalb eigentlich auf einen anderen Beruf besinnen oder sich ins Privatleben zurückziehen. Doch es geht mit ein paar geistigen Verrenkungen auch anders, und bekanntlich haben die Parteien diesen Auftrag mit der Arbeit am Volkswillen sehr großzügig ausgelegt und haben sich – statt an die Spitze des Volkes, schon der Begriff Volk verursacht bekanntlich Unbehagen –ganz im Sinne Rousseaus an die Spitze der Organe des Staates gesetzt; und so wird heutzutage der Staat fast nur noch durch Parteikader gelenkt und beherrscht, wobei „fast“ nur in den unteren Ebenen der Staatslenkung gilt. Weiter oben ist ohne Parteibuch nichts zu wollen: Je höher das Amt, desto unwichtiger ist die Qualifikation des Bewerbers und desto wichtiger die Parteizugehörigkeit. Ludwig Erhard, man weiß es nicht ganz genau, wurde wahrscheinlich noch zum Kanzler gewählt, ohne einer Partei formal anzugehören, und der letzte Bundesminister ohne Parteizugehörigkeit war wohl Werner Müller in Gerhard Schröders erstem Kabinett Ende der 90er. In Sachsen hatten wir mal das Kabinett des Ministerpräsidenten Tillich, dem, welch ein Wunder, mit der wirklichen Völkerrechtlerin Sabine von Schorlemmer als Wissenschaftsministerin, ansonsten Professorin an der TU Dresden, und mit dem Finanzminister Georg Unland gleich zwei parteilose Minister angehörten. Ich kann es mir an dieser Stelle nicht verkneifen: Das war schon ein anderes Format, verglichen mit einer in Berlin amtierenden Ministerin, die auch meint, aus dem Völkerrecht zu kommen. Nun gut, das ist heute in Sachsen auch nicht mehr so. Alle Minister haben nun ein schwarzrotgrünes Parteibuch, nur unter den Staatssekretären finden sich noch zwei, die es ohne Parteibuch geschafft wahrscheinlich, aber das ist jetzt wirklich nur Spekulation, wegen besonderer Parteinähe geschafft haben.

Da wir gerade beim Spekulieren sind, gleich noch ein Blick in die Glaskugel: Für die Zukunft heißt das nichts Gutes, denn bei allem Wettbewerb zwischen den Parteien – und Wettbewerb gilt ja gemeinhin als der kreative Zerstörer von Monopolen –können die Parteien auch versuchen, sich anzugleichen, ganz ohne Absprache, evolutionär und nur aufgrund von Sachzwängen, sich auf diese Weise annähern und aufkommende Wettbewerber mit allen Mitteln unterdrücken und ein Kartell bilden. Dann bekämen wir entweder schlimmstenfalls einen Parteienblock, mit kaum unterscheidbaren Parteien, oder, auch nicht besser, ein instabiles System von zwei, abwechselnd erfolgreich um die Macht konkurrierenden Parteien oder Parteiblöcken. In beiden Fällen kommt der Wählerwille unter die Räder und wird der Volkswille nur eingeschränkt zur Richtschnur staatlichen Handelns werden.

Gut, also dieser Blick durch die Glaskugel war jetzt nicht schwer. Wir sind schon recht weit auf diesem Wege, denn, wie schon gesagt, bei der Führung und Lenkung des Staates sitzen die Parteien ganz vorn. Aber sie führen und lenken nicht nur, sie leben auch vom Staate und aus dem Staate, sind ohne Staat nicht mehr denkbar – ein Staat ohne Parteien schon eher. Und dazu an dieser Stelle ein paar Überlegungen, denn es ist an der Zeit, sich einmal den Staat als solchen genauer anzuschauen.

Als Erstes müssen wir uns kurz zu der Frage verständigen, was ein Staat ist und wozu wir den heutzutage überhaupt brauchen, denn hierzu existieren äußerst vielfältige Ansichten. Nach anerkannter Definition gehören zu einem Staat ein Territorium, ein Volk und eine Staatsgewalt. Das war übrigens nicht immer so. Ein Franzose meinte mal, er sei der Staat, und das mittelalterliche Deutschland war nach gegenwärtigem Verständnis eher privatrechtlich, als im Sinne eines modernen Staates organisiert. Doch hier und heute betrachten wir den modernen demokratischen Verfassungsstaat und überlegen mal, welche Entwicklung er nehmen könnte und welchen Nutzen das Staatsvolk, um im Bilde zu bleiben, aus seiner Existenz ziehen kann. Lassen wir zunächst bei diesen Betrachtungen das Volk an sich, das mit seiner Kultur und seinen Traditionen einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung eines Staates nimmt, beiseite und wenden wir uns der Staatsgewalt zu, denn die Staatsgewalt, zusammengesetzt aus Legislative, Exekutive und Judikative, kann doch sehr verschieden ausgestaltet werden. Und es ist auch die Staatsgewalt, an der die Parteien ansetzen, wenn sie sich den Staat zur Beute machen.

Bezüglich der Staatsgewalt lassen sich aufgrund ihrer Ausgestaltung drei verschiedene Staatsformen ausmachen: erstens gar keine Staatsgewalt, da alle Beziehungen des Staatsvolks untereinander und nach außen, also auch die Verteidigung des eigenen Territoriums, privatrechtlich geregelt sind, zweitens der Minimalstaat und drittens, die häufigste Staatsform, der Zweckstaat.

Die rein privatrechtliche Regelung der Beziehungen innerhalb und außerhalb eines Staatsvolkes bedeutet Eigentumsgarantie und Unverletzlichkeit der Persönlichkeit und hat daher einen nicht zu verkennenden Charme, bietet somit sehr viel persönliche Freiheit, die auf alle Fälle zu weitaus geringeren Kosten zu haben sein wird als im Zweckstaat, was im Endeffekt auch zu mehr Wohlstand führen dürfte. Mir persönlich scheint diese Form des Zusammenlebens aber noch in weiter Ferne und ist momentan sehr schwierig zu erreichen. Das Hauptproblem wäre sicher die Einkreisung eines staatenlosen Territoriums durch Zweckstaaten, die aufgrund des den Staaten innewohnenden Aggressionspotenzials versuchen würden, dieses Territorium in ihre Abhängigkeit zu bringen und bei Gelegenheit ganz zu übernehmen. Sicher, ein prosperierendes privatrechtliches Gemeinwesen wird in seine Umgebung ausstrahlen, zur Nachahmung animieren, aber auch zur feindlichen Übernahme verlocken. Und weiter ähneln bislang alle Versuche, auf einem Territorium eine staatenähnliche Gesellschaft nach Privatrecht zu organisieren, mehr den Freihandelszonen; sie sind stets Teil eines anderen Staates, der den besonderen Status des ausgegliederten Gebiets jederzeit wieder aufheben kann. Eine verlockende Idee, denn sie kommt ohne Parteien und Regierungen aus, an deren Stelle ein Verwaltungsrat tritt. Allerdings steht der Beweis der Lebens- und vor allem Überlebensfähigkeit noch aus.

Kommen wir zum Minimalstaat, der streng genommen eigentlich auch ein Zweckstaat ist, denn er gibt gegenüber seinen Bürgern das Versprechen auf Garantie des Privateigentums sowie auf persönliche Unversehrtheit nach innen und außen – und eins sei gleich angemerkt: Ein Staat, der dieses Versprechen nicht einzulösen vermag, der hat seine Existenzberechtigung verloren. Auch zur Garantie des Privateigentums ist noch eine Erläuterung notwendig, denn diese Garantie zwiespältiger Art: Der Staat bürgt für eine Rechtsordnung, die mein Privateigentum absichert, und er erhält zur Durchführung seiner Aufgaben auch Zugriff auf eben dieses Privateigentum, indem er Steuern erhebt. Auch wenn das Erheben der Steuern nur unter strengen Auflagen und engen rechtlichen Bedingungen erfolgt, wird der Staat mit der Ermächtigung zur Erhebung von Steuern doch zur potenziellen Gefahr für seine Bürger. Er muss deshalb durch verfassungsmäßig verbriefte Bürgerrechte und Gewaltenteilung eingehegt werden, was aber, wie uns die Geschichte lehrt, nicht genügt, um den Staat wirksam in die Schranken zu weisen. Weitere Beschränkungen müssen her. So gilt es zunächst, den Staat als Organisationseinheit so klein wie möglich zu halten, seine bürokratischen Wucherungen zu begrenzen. Oberster einklagbarer Grundsatz des Minimalstaats muss sein, dass alles, was sich privat erbringen lässt, dem Staat untersagt ist – also grundsätzlich gilt Privat- vor Staatswirtschaft. Der Staat hat sich auf hoheitliche Aufgaben zu beschränken. Eine weitere Beschränkung ist mit dem Subsidiaritätsprinzip verbunden, das besagt, dass nur dann Entscheidungskompetenz an die nächsthöhere Ebene abgegeben werden darf, wenn die untere Ebene zur Problemlösung nicht in der Lage ist. Was innerhalb einer Familie geklärt werden kann, klärt die Familie, wo und wie eine Straße verlaufen regelt die Kommune im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung und so weiter. Doch der Mensch kann sich, bei allem, was er sich auch ausdenkt, irren, manchmal absichtlich, und so kann es passieren und es passiert ja bereits, dass freiwillig Kompetenzen an die nächsthöhere Ebene abgegeben werden: von den Kommunen an die Länder, von den Ländern an den Bund. Das war zu Zeiten der Covid-Pandemie gut zu beobachten, wo sich immer wieder, verfassungsmäßig gar nicht legitimierte, Runden der Ministerpräsidenten mit Regierungsvertretern über das weitere Vorgehen abstimmten. Besonders gravierend und geradewegs in Richtung Totalitarismus geht es, wenn die Artikel einer Verfassung oder eines Grundgesetzes durch Organe des Staates durch neue Gesetze und auf dem Verordnungswege eine völlig neue Interpretation erfahren, ohne dass auch nur ein Buchstabe des Gesetzestextes geändert wird.

Millionen mussten während der Covid- Pandemie ohnmächtig hinnehmen, wie aus ihrem individuellen Recht auf körperliche Unversehrtheit durch das Parlament, mit dem Segen der höchsten Gerichtsbarkeit, ein Kollektivschutz gezimmert wurde, der zur Begründung nicht nur für soziale Ausgrenzung und Berufsverbote herhalten musste – nein, dieses zum Kollektivrecht mutierte Individualrecht diente im Rahmen einer Nötigung eben genau zur Begründung dafür, eine Körperverletzung, das ist nun mal eine Impfung, zu erdulden. Und das legendäre orwellsche Neusprech, „Krieg ist Frieden“ ist doch auch bereits Realität, wird es mit jedem Panzer ein Stückchen mehr.

Man gebe sich hier keinen Illusionen hin. Auch dem ideal geformten Minimalstaat kann es passieren, dass sich über Nacht der knuddelige Welpe zum schrecklichen Monster, dem Leviathan auswächst. Dann bleiben dem Bürger eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten offen, und beide gehören als unabänderliche Grundrechte in eine Verfassung.

Im ersten Fall könnte ich ja Teil einer Minderheit sein oder ich bin vielleicht sogar der Einzige, der den Leviathan erkennt, während die Mehrheit des Volkes immer noch glaubt, dem knuddeligen Welpen gegenüberzustehen. Dann muss es mir ohne Wenn und Aber möglich sein, das Staatsterritorium legal zu verlassen. Das ist bekanntlich nicht selbstverständlich – die DDR lässt grüßen.

Sind wir viele, muss das letzte und schärfste Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Staat zur Anwendung kommen: die Sezession. Schluss mit den ewig einigen und unteilbaren Staaten. Diese Passagen gehören aus den Verfassungen gestrichen – Wettbewerb muss her, Sezession mindestens bis hinab zur kommunalen Ebene. Das Sezessionsrecht gehört in alle Verfassungen, ist für den Minimalstaat unentbehrlich. Mit seiner Hilfe kann das Abgleiten eines Staates in den Totalitarismus wirksam unterbunden werden.

Darüber hinaus könnte sich bei erleichtertem Sezessionsrecht auch die den jeweiligen Gegebenheiten optimal angepasste Staatsgröße herausbilden, was sehr zu begrüßen wäre, denn vermutlich ist die Mehrheit der Staaten territorial überdehnt, was ein Blick in Tabellen zum Bruttoinlandsprodukt nahelegt: Mit den höchsten BIP-Werten pro Kopf glänzen durchweg kleine Staaten. Sezession würde demnach Wohlstand schaffen.

Zusammengefasst liest sich das Minimalprogramm für den Minimalstaat so: Schutz des Privateigentums und der körperlichen Unversehrtheit, Staat darf wirtschaftlich nur tätig werden, wenn es keine privatwirtschaftliche Alternative gibt und Sezessionsrecht.

Kommen wir zur dritten und mit Abstand häufigsten Variante der Staatsgewalt, dem von mir sogenannten Zweckstaat, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland. Zweckstaat deshalb, weil diese Staaten noch weitere Ziele, die über das Sicherheitsversprechen des Minimalstaates hinausgehen, verfolgen. Damit ist das gravierende Problem dieser Staaten auch gleich umrissen, denn es sind gerade die für gewöhnlich nicht an einklagbare Begriffe gebundenen Staatszwecke, die es dem Staat ermöglichen, Bürgerrechte zu schleifen. Kein Mensch ist in der Lage, den Begriff der staatlichen Daseinsvorsorge widerspruchsfrei zu klären. Wohl deshalb fallen hierunter eine Unmenge staatlicher Maßnahmen und ideologischer Zielsetzungen, für gewöhnlich von den Parteien vorangetrieben, für die der Bürger zahlt – übrigens auch noch mehr zahlt, als wenn er die gleiche Leistung von einem privaten Anbieter erwerben würde, falls er die Leistung überhaupt wünscht, ganz zu schweigen von der oft schlechteren Qualität.

Mit Daseinsvorsorge und Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen lässt sich eine Menge begründen: zunächst der Bau von Schulen und Krankenhäusern, von Straßen und Schifffahrtswegen ebenso wie die Einrichtung vieler Ämter und Behörden, zum Beispiel Gesundheitsamt, Jugendamt, und vor allem das Sozialamt, Straßenverkehrsbehörden und viele weitere Ämter und Behörden, nicht zu vergessen die Beauftragten für Diversität, Radverkehr, Ausländer, Frauen, Schwule, Behinderte, Gleichstellung und immer so fort, kein Ende absehbar. Hierher gehören auch Sport und Kultur, also Bau und Unterhaltung von Museen, Theatern, selbst Bibliotheken, aber auch von Sporthallen und Schwimmbädern. Die gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge umfasst im Zweckstaat den weitaus größten Teil staatlicher Tätigkeit. Der geringere Teil seines Wirkens ist Hoheitsverwaltung. Unter Daseinsvorsorge fallen aber neuerdings auch staatliche Aufgaben, die erst, falls überhaupt, in der Zukunft Ergebnisse zeigen werden, wie das gar nicht exakt greifbare Ziel einer zu vermeidenden Erderwärmung.

Daseinsvorsorge, Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen, als Bürgerrechte verkleidete Anspruchsrechte – all das sind die Vehikel der Parteien, die zur krakenartigen Ausweitung des Staates benutzt werden, der so immer weitere Lebensbereiche an sich zieht, sie aus der Entscheidungsgewalt des mehr und mehr entmündigten Bürgers herauslöst und dabei zunehmend zum totalen Staat verkommt, dem kältesten aller Ungeheuer.


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