02. Februar 2023

Corona-Fäustchen Ein Abgesang auf den neuen deutschen Gruß

Tschüss, Führerarm für Zukurzgekommene!

von André F. Lichtschlag

Zur Entspannung schaue ich manchmal „Das perfekte Dinner“. Die Kochshow mit jeweils fünf Teilnehmern, die sich nacheinander an fünf Tagen eine Woche lang bekochen, läuft seit 2006 sehr erfolgreich auf Vox und kann auch über RTL+ gestreamt werden. Das Kochen ist der Aufhänger, um eine Handvoll fremde Menschen auch als Zuschauer recht gut kennenzulernen. Die Sendung besticht nicht zuletzt durch den feinen ironischen Unterton von Daniel Werner, der unauffällig, aber humorvoll durch die Woche leitet.

Weshalb ich das erzähle? Bis ungefähr Ende des Jahres 2022 noch wurde in der „Corona-Zeit“ penibel darauf geachtet, dass die fünf Teilnehmer, die fünf Abende eng an eng miteinander verbringen, sich bei jedem der zehn Wiedersehen in Vorbesprechung und Abendtreffen mit dem „Corona-Gruß“ – Faust auf Faust, dabei verwegen bis verlegen lächelnd – begegnen. Dass dieser Affenzirkus offenbar von den Programmmachern aus dem Hause Bertelsmann vorgegeben wurde, steht außer Zweifel. Die Skurrilität wird noch dadurch unterstrichen, dass ständig Kameraleute mit Maske zwischen unseren Kandidaten durch Küche und Esszimmer huschen. Erst mit dem neuen Jahr – gedreht im vergangenen Spätherbst – begrüßen sich die Teilnehmer wieder mit Handschlag und oft Umarmung. Die Kameramasken sind bis auf Weiteres immer noch dabei.    

Einigen Teilnehmern der letzten Monate sah man an, wie unangenehm ihnen das seltsame Gebaren war. Schließlich kommen sich die Kandidaten in der gemeinsamen Woche auch menschlich recht nahe und früher – oder auch jetzt wieder – herzt man sich dann eben auch mal beim gegenseitigen Besuch, zu dem seit jeher in unseren Breiten der persönliche Händedruck gehört. Die allermeisten der zum Corona-Mummenschanz gezwungenen Hobby-Schauköche aber, auch das wurde immer wieder deutlich, machten das absurde Spiel ausgesprochen freudig mit. Und das deckt sich auch mit vielen privaten Erlebnissen der letzten Jahre.

Die Deutschen sind immer gerne dabei, wenn es darum geht, jahrhundertealte Sitten plötzlich über Bord zu werfen, wenn man mit neuen Gesten sehr billig Tugend beweisen kann. Zumal es nie so einfach war, sich moralisch als astrein zu präsentieren – weit einfacher jedenfalls, als ein ansprechendes Menü für die Gäste zuzubereiten. Den Gehorsams-Bonuspunkt hat man dann schon einmal in der Tasche, grinst zufrieden und kommt anschließend den anderen dennoch näher als je durch den verbotenen Händedruck. Nur nicht nachdenken – auch das ist Programm wie an so vielen Orten der ganz großen durchgeknallten Corona-Show.

Man erahnt, wie und warum auch damals so viele Deutsche mitgemacht haben, als sie sich plötzlich nicht mehr mit einem „Guten Tag!“ oder „Grüß Gott!“ begegneten und die Hand reichten, sondern mit einem aggressiven Schrei den Arm hochreckten. Damals war der Produktionsleiter von Vox noch der aufmerksame Blockwart von nebenan, dem zu gefallen war. Aus dem „deutschen Gruß 1.0“ wurde jetzt eben die Wiederauflage mit Fäustchen. Ist zwar genauso stillos und späteren Generationen auch sicher ebenso peinlich, aber wieder sind es die Deutschen, die besonders begeistert und folgsam beim penibel gehorsamen Gestikulieren mittun.

Ja, vielleicht ist der Kern der Begründung tatsächlich, dass die eigene Anständigkeit und Zuverlässigkeit gegenüber den Tugendwächtern von Fernsehteam oder Staatsgewalt nirgendwo einfacher zu beweisen sind als mit einem revolutionären Gruß. Selbst die im Zweifel noch unästhetischere Maske erfordert schon etwas mehr „Aufwand“, aber mit der ist der Gutmenschennachweis auch recht bequem, was die millionenfache Gesichtsverhüllung weit besser erklärt als jedwede Angst vor Virenbefall.  

Es ist und bleibt ein Trauerspiel mit den Deutschen. Und doch: Die gute Nachricht zum Schluss ist, dass beim perfekten Dinner seit Neuestem wieder ordentlich geherzt wird, sich die Hände nur so wundschütteln. Auch in meinem privaten Umfeld recken sich bereits viel weniger Fäuste entgegen als noch vor ein paar Wochen. Und irgendwann werden auch die Kameraleute der Kochshow zu Normalität, Stil und Anstand zurückfinden. Darauf schon jetzt einen Begrüßungscocktail!


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