02. Februar 2023

Müllgeschichten Oh doch – die wissen genau, was sie tun

Wenn der Staat wirtschaftet

von Monika Hausammann (Pausiert)

Es gibt den Ausspruch, wonach Linke, wenn sie etwas von Wirtschaft verstünden, keine Linken wären. So richtig dieser Spruch auf der Ebene schlichter Sozialromantik und der mannigfaltigen Maskeraden biederen Neides ist, so falsch ist er meiner Meinung nach auf der politischen Entscheidungsebene: Diese Leute wissen ganz genau um die Mechanismen der Märkte, um ihre positiven Anreizkräfte und um ihr Funktionieren. Wäre es anders, würden sie, um umstrittene Maßnahmen durchzubringen, argumentativ nicht exakt diese bedienen und an eine Größe appellieren, die nicht nur dem linken Gedankengut, sondern dem Politiker an sich grundsätzlich fremd und verdächtig ist: die Verantwortung.

Sobald dies aber der Fall ist, sobald das Amt bei Neuerungen mit Belohnung für Verantwortung winkt, kann man getrost eine ziemlich große Wette darauf abschließen, dass am Ende zwei Dinge dabei herauskommen: erstens, dass die in Frage stehende Leistung schlechter und der Preis höher werden; zweitens, dass Verantwortung bestraft und Verantwortungslosigkeit belohnt werden.

Als in seiner schlichten Schönheit schon fast als Schulbeispiel zu nennendes Exempel hier aus der Gegend betrifft das Abfallmanagement des Gemeindeverbundes. Wer Frankreich kennt, kennt wohl auch das relativ dichte Netz an Entsorgungspunkten, wo die Leute Hausmüll, Verpackungen, Karton und Glas in Containern entsorgen können. Hier bei mir auf dem Land gab es nach diesem System im Umkreis von drei Kilometern nicht weniger als fünf solcher Entsorgungspunkte. Die zwei nächsten waren bequem zu Fuß zu erreichen. Zweimal pro Woche kam der Mülllaster vorbei: einmal für Karton und Glas, ein zweites Mal für den Rest. Die Entsorgungsgebühr wurde pauschal erhoben.

Irgendwann fand man auf der Führungsebene des Gemeindeverbundes (auch das eine Innovation), diese einfache und bewährte Art der Müllabholung sei nicht mehr zeitgemäß – zu belastend für die Umwelt und zu teuer (Personal). Es sollte billiger werden und klimaschonender. Die Lösung, so hieß es, seien weniger, dafür größere und automatisierte Entsorgungspunkte. Die provisorische Gebühr für das „Versuchsjahr“ sollte etwa doppelt so hoch ausfallen wie die bisherige Pauschale pro Person. Massiver Widerstand formierte sich: Was daran umwelt- beziehungsweise klimaschonender sein sollte, wenn nun jeder mit jeder Mülltüte zwischen drei und 20 Kilometern zurücklegte und wenn – gerade auf dem Land – die Leute wieder vermehrt dazu übergehen würden, den Müll zu verbrennen, wollte vielen partout nicht einleuchten. Auch das Konzept – weniger Service, mehr Kontrolle, höhere Kosten – konnte keine Begeisterung auslösen.

Und da griff man nun von Amtswegen in die Trickkiste und holte den ansonsten verpönten Begriff der „Selbstverantwortung“ hervor, um den Leuten die Sache schmackhaft zu machen und um die absehbare Sabotage – das ist Frankreich! – der teuren, vollautomatischen und nur mit Badge zu öffnenden Container zu verhindern. Von der höheren Gebühr des ersten Jahres sei nur ein kleiner Teil eine Grundgebühr: Der Rest sei eine provisorische Akontozahlung, deren Höhe jeder künftig durch sein Verhalten bestimmen könne. Abgerechnet würde Ende des Jahres. Kurz: Das Verursacherprinzip sollte zur Anwendung kommen. Je effizienter einer künftig seinen Abfall manage, umso geringer falle die Gebühr aus.

Es funktionierte. Die Beschädigung der Container war selten, die Müllquantität nahm ab und in Sachen Müllqualität (Triage) geschah eine Art Wunder. Die Leute waren wirklich motiviert, ihre Kosten zu senken, trennten wie wild und entwickelten die unglaublichsten Techniken der Müllschichtung in den Tüten. Dann kam das Ende des Jahres und jeder erwartete eine Rückerstattung beziehungsweise die Anrechnung des zu viel bezahlten Akontobetrags des Vorjahres auf die Gebühren des Folgejahres – Fehlanzeige. Stattdessen flatterte eine Musterrechnung ins Haus mit einer Hochglanzbroschüre, die die kommende richtige Rechnung ankündigte und die Leute dazu einlud, die Weiterentwicklung des neuen Systems aufgrund der im ersten Jahr gesammelten Erfahrungen zu „entdecken“.

Diese „Neuerungen“ bestanden im Grunde nur aus den Kritikpunkten, die bereits vor Umstellung auf das neue System von jedem normal denkenden Menschen angeführt worden waren: Die Container sind hoch, die Luken schwer: gerade für alte Leute, Kinder oder Menschen mit Behinderungen schlicht nicht händelbar. Dasselbe gilt für die im Vergleich zu früher großen Distanzen zu den Entsorgungspunkten. Außerdem können Touristen – die Dordogne ist eine Ferienregion! – ohne Badges ihren Müll nicht entsorgen. Es formieren sich Müllberge neben den Containern. So weit, so banal – diese zu entdeckenden Neuerungen nehmen eine Seite der Broschüre ein. Der Rest des Hochglanz-Elaborats ist den Kosten gewidmet – besser: der Begründung dafür, warum die Grundgebühr höher wird, warum auch Selbständige, bei deren Berufsausübung kein Müll entsteht, die Grundgebühr zu bezahlen haben werden (weil sie theoretisch Müll verursachen könnten!) und warum all jene, deren Akontozahlung viel höher ist, als mit dem Verbrauch begründet werden könnte, dennoch nichts zurück oder gutgeschrieben erhalten (Solidaritätsfonds für sozial Schwache). Kurz: Die Broschüre erklärt mit leichter Sprache und unter Verwendung von Bildern mit lachenden Menschen verschiedener Hautfarbe, warum ich künftig die Freude haben werde, das Vierfache an Kosten bei massiv geringerer Leistung zu haben.

Und so ist das jedes Mal, wenn der Staat etwas erneuert, verbessert oder effizienter gestaltet: Es wird schlechter und es wird teurer. Und meist stellt man, wenn man etwas gräbt und geduldig Fragen stellt, fest, dass weder eine Modernisierung an sich noch eine Effizienzsteigerung, Personalkosten oder gar die Umwelt bei der Entscheidung Pate standen, sondern schlicht die Gier der Entscheider. Im Fall unserer Müllentsorgung wurde das Projekt von Bürgermeistern angestoßen, die mit der Parole „Frankreich zuerst“ zur Wahl angetreten waren. Gleichzeitig mit der Aufnahme der Idee war eine Firma gegründet worden, die just auf solche Projekte spezialisiert war. Als das Projekt spruchreif wurde, erfolgte die ordnungsgemäße Ausschreibung. Die Projektierungsfirma der Bürgermeister konnte den „Wettbewerb“ für sich entscheiden, weil sie die Preise der Konkurrenz massiv unterbot. Die tiefen Preise aber waren nur möglich, weil man die Verträge für Container und Wartung nicht bei einer französischen, sondern bei einer italienischen Firma abzuschließen beabsichtigte.

Und jetzt geht genau das los, was man angeblich hatte vermeiden wollen: Die Leute verbrennen ihren Müll im Garten, die Container werden beschädigt und außer Betrieb gesetzt, sodass die Luken sich auch ohne Badges öffnen, viele machen sich nicht mal mehr die Mühe, ihre Mülltüten in den Behältern zu deponieren, sondern stellen sie einfach davor ab, die Wartung der Container erfolgt spät oder nie, und Leute, die in der Nähe eines solchen Innovationswunders leben, sind olfaktorisch am Anschlag.  

Wenn also irgendwelche Beamten und Experten heute von einem „privaten“ CO2-Emmissionsmarkt fabulieren, von einem Bonus-Malus-System im Rahmen eines CO2-Budgets, wo, wer will, sich durch Verzicht ein Einkommen generieren könnte, dann kann man davon ausgehen, dass das genau auf dasselbe wie im obigen Beispiel hinauslaufen würde: Ein allfälliger Bonus würde nie und nimmer ausbezahlt, sondern umverteilt. Noch wahrscheinlicher ist es aber, dass die Grundpauschale so hoch angesetzt würde, dass bereits das schiere Am-Leben-Sein sie aufzehren würde und dass am Ende jeder Schuldner jener Leute ist, die die Marktmechanismen ganz gezielt dazu benutzen, sie zu unterminieren, ad absurdum zu führen und damit in Verruf zu bringen. Political Economy, stupid!


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