Wirtschaftlicher Niedergang des „Duftenden Hafens“: Hello Hongkong!
… Hello?!?
von Stephan Unruh
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Asia’s World City, so der Marketingclaim für die chinesische Sonderverwaltungszone (SAR) Hongkong, ist zurück – das soll zumindest die jüngst gestartete Imagekampagne „Hello Hongkong“ suggerieren. Dafür greift die Stadtregierung um Regierungschef John Lee tief ins Stadtsäckle. Alleine die mehr als 500.000 Freiflüge, die Hongkong an willige Besucher verschenken will, dürften eine zweistellige Millionensumme kosten. Viel Geld für eine Stadt, deren Haushalt durch einen der weltweit totalitärsten und langanhaltendsten Covid-Maßnahmenkatalog völlig ruiniert wurde. Fast drei Jahre lang war die Stadt völlig abgeschottet. Im vergangenen Jahr kamen nicht einmal ein Prozent der Besucher der Vor-Covidzeit und insbesondere die durch Quarantänemaßnahmen, Reisebeschränkungen und Impfzwänge blockierte Grenze zum chinesischen Festland traf die Stadt schwer.
Am kommenden Montag, den 6. Februar 2023, und damit fast auf den Tag genau drei Jahre nach Beginn der Maßnahmen fallen nun die allermeisten Reisebeschränkungen zum Festland. Für „Geimpfte“ ist die Einreise nun ohne PCR-Test und gebuchten Termin an der Grenze möglich. Das wird der darbenden Wirtschaft sicherlich einige Impulse verschaffen, Hongkongs Kernproblem aber nicht lösen. Denn das wesentliche Fundament, auf dem der nach wie vor ungeheure Wohlstand der Stadt ruht, ist die Freiheit und damit verbunden die Rechtssicherheit. Vor zehn Jahren war Hongkong, obwohl damals bereits zurück im Schoß des kommunistischen Mutterlandes, eine der freiesten Städte der Welt. Diese Zeit ist unwiederbringlich vorbei.
In den letzten drei Jahren hat die Stadt die hässliche Fratze des Totalitarismus gezeigt – nicht alleine wegen Covid übrigens. Vielmehr hat die Plandemie dem Regime in Peking und seinen Plänen für Hongkong in die Karten gespielt. Vor Covid hatte die Hongkonger Bevölkerung sich immer stärker gegen die zunehmende Einflussnahme der Kommunisten vom Festland gewehrt. Der Wunsch nach Freiheit und Demokratie spielte dabei sicherlich eine Rolle, aber eher eine untergeordnete – andere Gründe für die Wut auf die Festlandchinesen, die die Hongkonger direkt mit Peking verknüpfen, dürften eine weitaus größere Rolle gespielt haben (dazu ein anderes Mal mehr). In jedem Fall wurden die durchaus auch gewalttätigen Proteste 2019 von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Bei den sogenannten Regenschirmprotesten waren mehr als fünf Millionen Hongkonger auf der Straße. Peking sowie die völlig überforderte und inkompetente Marionettenstadtregierung um Carrie Lam hätten diese Proteste niemals in den Griff bekommen, außer durch komplettes Einknicken und die Aufgabe der leisen Integration der Stadt in das Festland deutlich vor dem Jahr 2047. Undenkbar aus Pekinger Sicht – aber Hongkong Central 2019 war nicht Peking Tiananmen 1989. Zwar hatte man Milizen und Paramilitärs in Shenzhen zusammengezogen, aber der Einsatz von Panzern in einer Stadt wie Hongkong war und ist undenkbar. Das chinesische Regime hätte so alle hochtrabenden Pläne beerdigen müssen, sich international komplett isoliert und vor allem die Stadt als Tor aus und nach China schlagartig verloren.
Dank Covid aber endeten die Proteste mehr oder minder schlagartig. In der Folge kassierten Pekings Häscher die Rädelsführer still und leise ein, und die Stadt implementierte mit der Covid-App „Leave Home Safe“ ein einzigartiges Überwachungs- und Bewegungskontrollsystem. Es wurde das „Sicherheitsgesetz“ erlassen, welches das Hongkonger Justizsystem quasi vollständig entkernte und dem chinesischen System unterstellte (inklusive möglicher Auslieferung ans Festland). Seit 2021 bis Ende 2022 bestand de facto ein Impfzwang: Der Besuch von Bars, Cafés, Restaurants, Kinos, Fitnesscentern und und und war nur und ausschließlich „Geimpften“ vorbehalten. Das wiederum bescherte der Stadt eine „Impfquote“ von 95 Prozent und zwischenzeitlich die höchsten Fallraten weltweit. Nun also ist Covid auch in Hongkong mehr oder weniger vorbei.
Aber der angerichtete Schaden wird nicht mit einer Imagekampagne und einigen Freiflügen wiedergutzumachen sein. Ich persönlich glaube, dass er überhaupt nicht wiedergutzumachen ist. Sicher – die Touristen, gerade die vom Festland, werden wieder kommen. Das Shoppingangebot der Stadt ist nach wie vor gigantisch, und Preise, Qualität und Bandbreite sind ebenfalls phantastisch. Auch ist die Skyline ja nicht verschwunden und das Flair der Stadt ist immer noch einzigartig. Selbst wenn die Gastronomie zweifelsohne massiv gelitten hat, ist auch hier das Angebot noch Spitzenklasse – gerade im Michelin-Bereich kann außer Tokio, Paris, New York und London keine Stadt mithalten.
Anders aber sieht es im wirtschaftlichen Bereich aus. Sicher ist Hongkong nach wie vor das Tor aus und nach China, und über 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen nehmen ihren Weg über Hongkong. Aber Wirtschaft und Unternehmen brauchen Stabilität, (Rechts-) Sicherheit und das Vertrauen, dass diese auch anhalten. Nüchtern betrachtet, sind diese Grundbedingungen nicht mehr gegeben. Zahllose internationale Unternehmen haben in Hongkong ihr regionales Hauptquartier – nicht nur als Zugang nach China, sondern aufgrund der geographischen Lage ist Hongkong eben auch der ideale Standort für die gesamte asiatisch-pazifische Region. Doch nun wird Singapur übernehmen. Der Exodus hat längst begonnen. Zwar sind die Steuern in der Stadt des Merlion etwas höher, die Verwaltung etwas bürokratischer und die Regulierungsanforderungen etwas fordernder, aber Rechtssicherheit ist garantiert. Kein Manager eines Unternehmens muss fürchten, hier von der Stadtverwaltung für etwas zur Rechenschaft gezogen zu werden, was sein Kollege in Südamerika irgendwo in den sozialen Medien gepostet hat. Mit den Unternehmen gehen auch die Westler. Die einzigartige Mischung Hongkongs wird so ausgedünnt. Denn auch den Hongkongern selbst wird bewusst, dass die goldene Zeit ihrer Stadt vorbei sein dürfte – die großzügigen Einwanderungsangebote Großbritanniens nehmen immer mehr Bürger an, insbesondere jene natürlich, die noch jung und gut ausgebildet sind und sich daher auch in der Fremde gute Chance ausrechnen dürfen. Zurück bleiben die Alten, und die Lücken werden mit Festlandchinesen aufgefüllt.
Die neue Kampagne zeigt die Ahnungslosigkeit, mit der Politiker Markt, Wirtschaft und Unternehmen gegenübertreten. Pekings Verwalter haben mit drei Jahren ständiger Lockdowns, der Revision der Gesetze sowie der De-facto-Preisgabe von Dengs Idee, „ein Land zwei Systeme“, den wichtigsten Vermögenswert Hongkongs dauerhaft schwer beschädigt: das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Stabilität der Institutionen. In zehn bis 15 Jahren wird Hongkong eine sehr viel chinesischere Stadt und in die Volksrepublik gut eingebunden sein, aber viel weniger ein- und verbunden mit dem Rest der Welt. Man wird im „Duftenden Hafen“ (Xiang Gang, 香港, so der chinesische Name Hongkongs) immer noch gute Geschäfte machen können, aber das einzigartige Flair wird verloren gegangen und Asia’s World City zu One of China’s Cities geworden sein. Ich würde wetten, dass diese Entwicklung von mehr als nur einer (erfolglosen) Marketing-Kampagne begleitet werden wird.
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