Auf der Suche nach der Wahrheit: Was ist Wissenschaft?
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“
von Markus Krall
von Markus Krall drucken
„Folgen Sie der Wissenschaft!“ Das war das Motto der letzten Jahre. Egal, um welches weltbewegende Thema es ging. Folgen Sie der Wissenschaft! Die Wissenschaft verkündet Wahrheit! 97 Prozent aller Klima„wissenschaftler“ sind sich einig: Der menschengemachte Klimawandel bedroht den Planeten! Folgen Sie der Wissenschaft! Die Impfung ist sicher und wirkt! Folgen Sie der Wissenschaft! Die Abweichler und Querdenker, Verschwörungstheoretiker und Aluhüte sind Feinde der Wissenschaft! Folgen Sie der Wissenschaft!
Die überwiegende Mehrheit der Menschen „folgt“ der Wissenschaft. Aber warum tut sie das und was ist die Wissenschaft? Und ist „Gefolgschaft“ etwas, was die Wissenschaft überhaupt fordert?
Wie so oft, lohnt es sich auch hier, sich mit dem Begriff an seinen Wurzeln zu befassen. Das Wort sagt uns schon: Es geht um „Wissen“ und um die Frage, wie man Wissen schafft. Wikipedia definiert es als „Gesamtheit des menschlichen Wissens, der Erkenntnisse und Erfahrungen einer Zeitepoche“ und diese Definition fordert den Widerspruch nachgerade sofort heraus. Denn es stellt sich sofort die Frage, was denn Wissen ist – der Zeitgeist scheint es mir jedenfalls nicht zu sein. Philosophisch betrachtet können wir nur sehr wenig bis gar nichts wissen. Sokrates prägte den paradoxen Satz „Scio nescio“, Lateinisch für „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Wer aber das weiß, weiß immerhin schon irgendetwas.
Unser Kernproblem besteht darin, dass wir eigentlich gar nichts mit absoluter Sicherheit wissen können und dass die Summe unserer Erfahrungen lediglich dazu geeignet ist, uns glauben zu lassen, dass wir etwas wissen. Das geht so weit, dass wir nicht einmal mit Sicherheit ausschließen können, in einer Matrix zu leben oder ein träumender Gott zu sein, der sich alles, was wir zu sehen, zu erfahren und zu fühlen glauben, nur einbildet. Es gibt philosophische Strömungen, die sogar genau das postulieren, nämlich den Solipsismus.
In den meisten praktischen Alltagssituationen haben die Grenzen der Erkenntnis, so radikal sie auch sein mögen, kaum Belang. Wir gehen pragmatisch damit um. Aber Wissenschaft befasst sich in aller Regel nicht mit der Bewältigung von Alltagssituationen, sondern mit der Erkenntnis in den Randgebieten unserer Erfahrung.
Und genau deshalb ist es so elementar, sich klarzumachen, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann. Wissenschaft arbeitet mit Hypothesen. Man beobachtet etwas und versucht einen Erklärungsansatz für das Beobachtete zu formulieren. In der Physik spricht man von Modellen, und wer sich je mit der Natur von Modellen befasst hat, dem wird die Begrenztheit unseres Wissensanspruches schon intuitiv klar. Hypothesen sollten logisch widerspruchsfrei sein und sie sollten nach Möglichkeit empirisch getestet werden können; sie dürfen nicht so formuliert werden, dass sie gegen jeden Versuch der Falsifikation aus logischen Gründen immun sind.
Wissenschaft ist im Angesicht philosophischer Erkenntnisprobleme daher zuallererst eine Methode, deren Grundbedingung die Skepsis ist. Wissenschaft ist nicht das Postulat der Wahrheit, sondern die Suche nach ihr. „Die Wissenschaft“ verkündet keine ewigen Wahrheiten, sondern sie liefert Erklärungen, die ihrem Wesen nach Vorläufigkeitscharakter haben. Das gilt selbst in der Physik für solche Felsbrocken wie die Newtonsche Gravitationstheorie. Sie galt für über 200 Jahre, nämlich von der Publikation der „Principia“ durch Sir Isaac Newton im Jahr 1687 bis zur Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein 1915, als der Fels, an dem alle Versuche einer Falsifizierung oder auch nur Modifikation scheitern würden. Trotzdem ist es passiert, die Newtonsche Theorie wurde zu einem Sonderfall der Einsteinschen „degradiert“.
Ein Modell, wie wunderschön und ästhetisch und wie oft auch immer empirisch bestätigt, ist eben nur genau das: ein Modell. Es ist nicht identisch mit der Realität, es versucht nur, sie zu beschreiben. Kant bezog diese Skepsis auf alle Dinge und erklärte, dass zwar jedes Ding eine „Natur an sich“ habe, aber dass wir als Menschen diesen Urgrund der Realität nicht notwendigerweise auch erkennen können.
Warum ist die Wissenschaft dann trotzdem so überaus erfolgreich? Wie konnte sie sich quasi zur Ersatzreligion aufschwingen? Die Antwort ist nicht trotzdem, sondern: genau deswegen.
Die Übung des Hinterfragens, der permanente Versuch, wissenschaftliche Erkenntnis zu falsifizieren, alte Erklärungsmuster durch neue, bessere, die beobachtete Realität präziser erklärende zu ersetzen, sortiert schlechte Modelle, Ideen und Postulate permanent aus. Die Suche nach der Wahrheit folgt dem Ausschlussprinzip. Was erwiesenermaßen falsch ist, wird aus dem Katalog der Möglichkeiten entfernt. Dieses Prinzip ist evolutionärer Natur. Versuch und Irrtum sind die Motoren der Erkenntnis, der Annäherung an die Wahrheit.
Eines der wichtigsten Merkmale der Erkenntnis sind Kausalbeziehungen: Wenn A passiert, dann folgt B. Den Zusammenhang einer Kausalbeziehung beschreibt eben das Modell, wie wir am Beispiel der Newtonschen Gravitationstheorie leicht nachvollziehen können. Sie besagt, dass die Kraft der Gravitation direkt proportional zum Produkt der Masse der sich anziehenden Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat ihrer Entfernung ist. Mit anderen Worten: Körper mit großer Masse ziehen sich stärker an als solche mit geringerer, und diese Anziehung nimmt mit der Entfernung ab, und zwar exponentiell, nämlich quadratisch.
Diese Formel konnte nicht nur den Kausalzusammenhang herstellen zwischen zum Beispiel der Höhe des freien Falls eines Gegenstands und seiner Geschwindigkeit beim Auftreffen auf der Erde. Sie kann auch die Bahnen der Planeten um die Sonne, des Mondes um die Erde und der Sonne um das Zentrum der Galaxie beschreiben und vorhersagen. Im Laufe der Zeit führte die Methode des ständigen Hinterfragens mit dem Ziel des Aussortierens von Irrtümern und auch von Lügen (wissenschaftliche Fälschungen) dazu, dass die Wissenschaft immer mehr Erklärungsmodelle für das Verhalten der Realität in Kausalbeziehungen gießen und so die Grundlage unserer technologischen Zivilisation schaffen konnte.
Die Ablösung der Newtonschen Theorie durch die allgemeine Relativitätstheorie hatte einerseits mit der zunehmenden Genauigkeit von Messungen zu tun, andererseits mit der verzweifelten Suche der Physiker nach einem Modell, dass die Fernwirkung dieser Kraft durch den leeren Raum für uns Menschen anschaulich machen konnte, denn dazu war die Newtonsche Formel nicht in der Lage. Einstein sprach in einem anderen Zusammenhang, nämlich in der Quantentheorie. von „spukhafter Fernwirkung“.
Die Geschichte der Wissenschaft ist voll von intellektuellen Auseinandersetzungen um die Wahrheit. Sie ist aber auch voll von institutionellen Behinderungen auf der Suche nach Wahrheit. Die Methode von Versuch und Irrtum, Modellformulierung und Falsifikation war nicht zu allen Zeiten der Standard, auf den Menschen sich einigen konnten. Über Jahrhunderte wurde die Suche nach Erkenntnis durch das wissenschaftliche Dogma behindert. Ein Dogma ist ein Lehrsatz, der in der Religion durchaus seine Berechtigung haben kann (nicht umsonst gibt es in der Theologie die Dogmatik sogar als Lehrfach), der jedoch in der Wissenschaft, so wie wir sie seit den Zeiten der Aufklärung praktizieren, überhaupt keinen Platz hat.
Das Dogma führt in der Wissenschaft zur Erstarrung, zur Verweigerung der Erkenntnis, zum Stillstand, ja sogar zum Rückschritt. Das hat Gründe, denn ein Dogma wird sich nicht so ohne Weiteres als solches zu erkennen geben. Seine Verfechter werden für sich in Anspruch nehmen, „den Stand der Wissenschaft“ oder „den Konsens der Mehrheit der Wissenschaftler“ zu vertreten. Sie werden ihr Modell nicht Dogma nennen, sondern „gesicherte Wissenschaft“.
Der Wissenschaftsbetrieb war gegen den Dogmatismus zu keinem Zeitpunkt gefeit. Über Jahrtausende war es die Mehrheitsmeinung der „Gelehrten“, dass die Erde eine Scheibe sei – ein Glaube, der sich in den Köpfen der Menschen derart verfestigt hatte, dass Schiffsbesatzungen Angst davon hatten, auf den Atlantik hinauszufahren, weil man dort irgendwann über den Rand der Welt in den Abgrund gerissen werden müsste. Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus setzte voraus, dass dieses Dogma zum Zeitpunkt seiner Reise bereits erodiert war. Mit umso größerer Verve hielt man aber noch 150 Jahre später, zur Zeit Galileo Galileis, daran fest, dass die Erdkugel der Mittelpunkt des Universums sei und die Sonne und alle Planeten um sie kreisen müssten.
Ein Dogma, das derart verfestigt ist, kann zum Paradigma werden. Ein Paradigma ist in gewisser Weise derart essenziell für das gültige Erklärungsmodell der Welt, dass sein Einsturz nicht vonstattengehen kann, ohne dass sich mächtige, angesehene und etablierte Menschen und Mächte vor aller Augen blamieren oder desavouieren. Es umfasst insofern die essenziellen Bestandteile des gültigen Weltbildes.
Die Ablösung eines Paradigmas am Beispiel der Ersetzung des geozentrischen durch das heliozentrische Weltbild ist ein Paradefall dafür, wie sich so ein Vorgang vollzieht und welch nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Auswirkungen so etwas hat. Man kann nicht sagen, dass die Vertreter des geozentrischen Weltbildes dumme oder ungebildete Zeitgenossen gewesen seien. Unter ihnen fand sich ein großer Teil der „Crème de la Crème“ des akademischen und wissenschaftlichen Betriebes ihrer Zeit. In ihrem Modell war die Erde von kugelförmigen Sphären aus Kristall umgeben, auf denen die Himmelskörper angebracht waren und die sich nach mechanischen Bahnen gleich einem Uhrwerk bewegen sollten. Die Bahnen der Planeten unterschieden sich von denen der Fixsterne, und so entwickelte man ein mathematisches Modell sogenannter „Epizyklen“, die man sich durch an den Himmel gedachte Zahnräder bildhaft machen konnte.
Dann kam der Schwurbler und Verschwörungstheoretiker Galilei mit seinem Fernrohr und seinen neuen genauen Messmethoden für die Bahnbestimmung der Gestirne und demonstrierte, dass die Bahnen eben nicht genau den Prognosen des Zahnrädchen-Modells folgten, aber durch ein Modell, das die Sonne in den Mittelpunkt stellte, sehr wohl erklärt werden konnte. Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Seine Gegner schraubten einfach mehr und kleinere Zahnrädchen ans Firmament und, voilà, die Sache passte wieder. Es entspann sich ein Rüstungswettlauf von Messgenauigkeit und immer kleineren Zahnrädern, den nach einigem politischen Widerstand, den Rückzugsgefechten der Inquisition (Der Leugner, der Häretiker muss widerrufen!“) und der Verfolgung der Wahrheit durch die blamierten kirchlichen Autoritäten zugunsten des neuen Modells „Sonne im Mittelpunkt“ entschieden wurde.
Heute stehen wir wieder genau da, wie wir am Beispiel der Klimamodelle sehr schön demonstrieren können. Diese Modelle sind – man höre und staune! – geozentrisch. Sie behaupten, dass das Klima hier auf der Erde gemacht werde und die Sonne damit nur am Rande was zu habe. Man erklärt uns, dass die Venus mit ihrem CO2-Anteil an der Atmosphäre und Temperaturen von über 400 Grad das auch beweise, und vergisst zu erwähnen, dass der Mars auch eine fast reine Kohlendioxidatmosphäre hat, aber sehr kalt ist. Der Unterschied? Die Entfernung von der Sonne. Man ist geneigt zu statieren, dass geo- und heliozentrisches Weltbild in neuer Auflage um die Vorherrschaft kämpfen.
Der Häretiker heißt heute Leugner und Schwurbler und ihm steht die Phalanx von 97 Prozent (oder waren es 99 Prozent?) der „anerkannten Klimawissenschaftler“ gegenüber, die die Wissenschaft zur Konsens- oder Mehrheitsfrage erklären wollen. Die 97 Prozent sind zwar auch eine kunstvoll orchestrierte Lüge, aber die Anhänger der Demokratie finden das eine beeindruckende Mehrheit, geradeso als ob die Mehrheit die Erde wieder flach und die Sonne zu ihrem Trabanten machen könnte. Wissenschaft ist aber keine Mehrheitsentscheidung, denn noch jedes gescheiterte Paradigma hatte ursprünglich eine Mehrheit der Gelehrten hinter sich.
Die kleinen Zahnrädchen und Epizyklen finden ihr modernes Gegenstück in den „Klimamodellen“, bei denen mächtige Supercomputer angeblich die Zukunft voraussagen können. Und diese Zukunft brennt fast so heiß wie das Höllenfeuer des Ablasshandels, den die Kirche zeitgleich mit der intellektuellen Auseinandersetzung um das Weltbild betrieb. Damals hieß es: „Die Seele aus der Hölle springt, wenn das Geld im Kasten klingt.“ Heute: „Das Eis am Pol noch lange blinkt, wenn das Geld im Kasten klingt.“
Diese Modelle sind aber keine Wissenschaft. Diese Modelle haben mit Wissenschaft ungefähr so viel gemein wie Masturbation mit Sex. Ersteres ist eine Übung selbstreferentieller Natur, um im Beispiel zu bleiben. Diese Modelle folgen mathematischen Regeln. Daher wissen wir, dass Modelle, deren Komplexitätsgrad eine gewisse Schwelle überschreitet und die nicht lineare Zusammenhänge darstellen sollen, keine sinnvollen Ergebnisse mehr liefern. Sie führen zu unterschiedlichen Ergebnissen auch bei gleichen Input-Faktoren. Ihr Erklärungswert und auch ihre Prognosekraft sind gleich null. Sie folgen den gleichen Konstruktionsprinzipien wie die supergenialen Kapitalmarktmodelle, die ihren Anteil an der Finanzkrise von 2007/08 hatten und die so mancher modellgläubigen Institution damals das Genick gebrochen hat. Um ihre Instabilität zu übertünchen, baut man ihnen Attraktoren ein, Werte und Trends, zu denen ihre Variablen hinstreben sollen. Mit anderen Worten: Diese Modelle spucken die Annahmen aus, die man ihnen vorher eingegeben hat. Sie erklären das Weltbild ihrer Erbauer, aber nicht die Welt, in der wir leben.
Das ist eben nicht Wissenschaft, und weil die Verfechter dieses Dogmas wissen, dass sie den Pfad der Tugend lange verlassen haben, bedienen sie sich der Machtmittel, der Propaganda, der Zensur, der Beschimpfung und der erprobten Methoden der Inquisition.
Was also ist Wissenschaft? Im Zweifel zu zweifeln. Der Häretiker, der Zweifler, der Leugner sind die besseren Wissenschaftler. Das gilt nicht nur für das Klima, sondern auch für Covid, die Geopolitik, die Geldtheorie und was wir sonst noch so an Dogmen in unserer modernen, angeblich so aufgeklärten Gesellschaft vorfinden.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.