12. Februar 2023 19:00

Taiwan – Teil 1 Die „Schöne Insel“

… ist im geostrategischen „Great Game“ des 21. Jahrhunderts einer der neuralgischen Punkte

von Stephan Unruh

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Beginnen will ich diese kleine, auf drei bis vier Kolumnen angelegte Serie mit einem knappen historischen Rückblick. Wenn in deutschen Medien von Taiwan die Rede ist, bekommt das Gebiet zumeist den Zusatz „die abtrünnige Insel“ verpasst. Nichts könnte den tatsächlichen Zustand unzutreffender beschreiben.

Denn Taiwan (und weitere 167 Inseln) ist heute das verbliebene Territorium der Republik China, die 1912 im Zug der Xinhai-Revolution und des damit verbundenen Sturzes der Qing-Dynastie ins Leben gerufen wurde und deren erster Präsident Sun Yat-sen war. Dieser wird heute sowohl im kommunistischen Festland als auch auf Taiwan als „Frontkämpfer der Revolution“ beziehungsweise „Vater der chinesischen Nation“ mit größter Verehrung bedacht. Im Zuge der sich anbahnenden Niederlage gegen Maos Kommunisten evakuierte Suns Nachfolger, der damalige Generalissimus und Führer der Kuomintang-Regierung (KMT), Chiang Kai-shek die Regierung, etwa zwei Millionen Soldaten und deren Angehörige sowie rund 3,6 Millionen Unzen Gold und unzählige Kunstschätze nach Taiwan. Kurz zuvor, am 3. Oktober, hatte Mao Zedong auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking die Volksrepublik China ausgerufen.

Tatsächlich ist also der Anspruch Taiwans auf Vertretung ganz Chinas historisch betrachtet älter und legitimer – abtrünnig ist aus dieser Perspektive das kommunistisch beherrschte Festland – wobei das schon insgesamt falsch ist. Denn beide Staatsgebilde verstehen sich als alleinige Vertreter Chinas und der Interessen des Landes. Davon, dass sich ein Teil vom anderen abgespaltet hätte, kann auf beiden Seiten nicht die Rede sein. So erklärt sich auch, dass Taipeh (die temporäre Hauptstadt der Republik China) in außenpolitischen Fragen oft genau die gleiche Position einnimmt wie Peking, beispielsweise in der Frage des Südchinesischen Meeres, die beide unisono als exklusives chinesisches Seegebiet ansehen – sehr zum Missfallen insbesondere des vietnamesischen Nachbarn, der eine rund 2.000 Kilometer lange Küstenlinie entlang dieses von beiden Chinas beanspruchten Seegebiets hat.

Dass Taiwan schon immer und ewig Teil Chinas gewesen sei – wie es beide Seiten darstellen –, ist dabei übrigens ebenfalls falsch. Erst ab dem zwölften Jahrhundert besiedelten Han-Chinesen die Taiwan vorgelagerten Penghu-Inseln, die dann rund 100 Jahre später während der Zeit der Yuan-Dynastie offiziell in das chinesische Kaiserreich eingegliedert wurden. Die Hauptinsel Taiwan führte hingegen bis weit ins 16. Jahrhundert ein stiefmütterliches Dasein und diente hauptsächlich Piraten als Unterschlupf. Als die Ming-Dynastie die Schatzflotte trockenlegte und ein allgemeines Verbot des Seehandels aussprach, hatte sich das Thema für die kommenden Jahrhunderte sowieso erledigt.

Tatsächlich waren es portugiesische Seefahrer, die im Jahre 1542 die auf keiner Karte verzeichnete Insel wiederentdeckten. Sie nannten sie Ilha Formosa („Schöne Insel“), woher der bis weit ins 20. Jahrhundert im Westen gebräuchliche Name Taiwans, Formosa, herrührt. Noch heute wird auf den Seekarten das Gebiet zwischen der Insel und dem Festland eher als Formosa- denn als Taiwan-Straße bezeichnet. In der Folge waren es vor allem die westlichen Kolonialmächte, die die Insel besiedelten und ausbauten. 1624 bauten die Holländer das Fort Zeelandia im Süden der Insel (heute: Anping), und etwa vier Jahre später folgten die Spanier im Nordosten und gründeten Keelung und das Fort Santo Domingo (das heute in einem Teil von Taipeh liegt). Die beiden Mächte waren es auch, die Menschen vom chinesischen Festland dazu ermutigten, sich auf der Insel niederzulassen – rund 100.000 Siedler kamen so bis in die 1660er Jahre nach Formosa.

Erst mehrere Aufstände auf dem Festland gegen die 1644 neu etablierte Dynastie der Qing führten dazu, dass sich das Interesse des „Himmlischen Throns“ auf die schöne Insel richtete: 1683 rüstet man eine entsprechende Invasionsstreitmacht aus, mit der man auf der Insel landete und diese im Sturm eroberte. Taiwan wurde annektiert, der Küstenprovinz Fujian zugeordnet und ein Großteil der Bevölkerung aufs Festland deportiert. Nur etwa 50.000 Menschen, ein Fünftel davon Besatzungstruppen, verblieben auf der Insel. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde Taiwan zu einem echten Teil Chinas. Und das auch nur für knapp 200 Jahre.

Denn im Jahr 1874 landeten japanische Expeditionstruppen im südlichen Teil der Insel, und China musste erhebliche Mittel aufwenden, um die Japaner wieder loszuwerden. Aber auch das währte nicht lange. Nach einem kurzen französischen Intermezzo im Zuge des Chinesisch-Französischen Kriegs, als zwar die Franzosen Taiwan für sich beanspruchten, aber dort nie wirklich Fuß fassen konnten, sowie der Erhebung zu einer eigenständigen Provinz im Jahr 1887 kamen die Japaner zurück – in ganz großem Stil: Der Erste Japanisch-Chinesische Krieg bildete praktisch den Abschluss der Meiji-Restauration in Nippon. Japan war binnen einer Generation von einem mittelalterlichen Feudalreich zu einer Industrienation westlicher Prägung aufgestiegen, und entsprechend schnitten seine Truppen durch China wie ein Messer durch weiche Butter. Da China dem nichts entgegenzusetzen hatte, mussten die Qing um Frieden ansuchen. Japan war ab nun den westlichen Kolonialmächten in China gleichberechtigt, durfte den Yangtze mit Kanonenbooten befahren, erhielt 8.000 Tonnen Silber als Kriegsentschädigung, konnte Okinawa in sein Territorium eingliedern und machte Taiwan im Oktober 1895 zu einem Teil des japanischen Kolonialreiches. In den kommenden Jahren wanderten einige Hunderttausend Japaner auf die Insel ein und prägten die Kultur des Gebietes nachhaltig und weit über die 50 Jahre hinaus, die Taiwan japanische Kolonie blieb.

Mit der Niederlage der Japaner im Zweiten Weltkrieg, zu dessen Siegermächten offiziell auch die Republik China zählte, fiel Taiwan an China zurück. Doch erst mit Chiang Kai-sheks Evakuierung der Kuomintang-Regierung auf die Insel konnte die chinesische Herrschaft tatsächlich etabliert werden. Maos Kommunisten hingegen haben nie einen Stiefel auf Taiwan gesetzt. Aus dieser Perspektive erscheint der stets martialisch vorgetragene Anspruch der Kommunisten in Peking auf die Insel absurd – verständlich wird er mit Blick auf die strategische Bedeutung Taiwans. Dazu nächste Woche im zweiten Teil mehr.


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