12. Februar 2023 13:00

Bürokratie Die vierte Säule der Staatsgewalt

Ohne Verwaltung ist der Staat nicht viel mehr als eine Idee

von Reinhard Günzel

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Die vorangegangenen vier Kolumnen kreisten um das Thema Parteien und Staat, also den Parteienstaat, der auch in Europa selten zur Gänze das ist, wofür er gemeinhin gehalten wird: ein auf bürgerlichen Rechten beruhender freiheitlicher Verfassungsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung. Panta rhei, alles fließt, wie schon die alten Griechen meinten und auch Verfassungen bleiben nicht für die Ewigkeit unverändert, wofür, allen voran, die Parteien sorgen. So wurde unser Grundgesetz auch bereits 54-mal geändert, und da all diese Änderungen von Parteien betrieben wurden, ergaben sich nicht immer Verbesserungen. Doch zu diesem Thema wurde in den letzten Kolumnen erst mal genug geschrieben. Heute geht es stattdessen um den dinglichen Staat, seine Verwaltung, denn ohne Verwaltung, seine Bürokratie, ist der Staat nicht viel mehr als eine Idee. Und es ist diese Verwaltung, der sich der Bürger nicht entziehen kann, es ist seine ständige und unentrinnbare Anbindung an den Staat, durch die wir mit dem Staat kommunizieren und der Staat mit uns, und es sind auch die Verwaltungen, die Abgaben, Steuern, Gebühren und Bußgelder kassieren, also die Hälfte unseres Einkommens entgegennehmen – um nicht immer wieder sagen zu müssen, Steuern seien Raub.

Historisch gesehen haben Verwaltungen als Bestandteil der Exekutive allerdings auch ihr Gutes. Ihre Existenz schützt den Bürger bis zu einem gewissen Grad vor obrigkeitlicher Willkür, denn sie setzt ein Mindestmaß an Regelungen voraus.

Wird irgendwo eine Verwaltung installiert, pflegt sich diese mit Aufnahme ihrer Tätigkeit immer weiter zu perfektionieren und Kompetenzen an sich zu ziehen, was auch, trotz Digitalisierung und des Gebrauchs von Computern, an dem ständig wachsenden Flächenbedarf der Rathäuser und Ministerien ablesbar ist. Ihre Aufgaben erhalten die Verwaltungen von den Parlamenten der jeweiligen hoheitlichen Ebenen zugewiesen, somit in letzter Konsequenz auch wieder von den Parteien. Wie das im Detail abläuft, dazu gebe ich später ein paar Beispiele, die auch illustrieren sollen, wie mit Verwaltungen Parteipolitik betrieben wird. Doch während die hoheitlichen Ebenen und auch die Parteien ohne Verwaltung praktisch nicht existieren können – umgekehrt ist das durchaus möglich, sofern vom Steuerzahler die Gehälter weitergezahlt und die sonstigen Kosten übernommen werden –, läuft der Laden weiter, auch wenn über Monate die Regierung sich nicht konstituiert oder, wie in Dresden, keine Einigung über die Aufteilung der Pfründe, hier die Posten der Beigeordneten eines Bürgermeisters, erzielt und die Beigeordneten nicht gewählt werden. Es geht einfach weiter. Ich möchte daher an dieser Stelle der Bürokratie in unserem durch Gewaltenteilung geprägten Staate das Prädikat vierte Gewalt zuerkennen, denn sie hat es sich redlich verdient.

Eine Verwaltungsbürokratie kann sich ab einem gewissen Grad der Aufblähung auch wunderbar mit sich selbst beschäftigen; sie hat geradezu die innewohnende Tendenz dazu. Jede Mail muss ja zunächst geschrieben und gesendet werden, und ist der Verteiler groß genug, geht mit dem Lesen ein Vielfaches der Zeit drauf, die zum Schreiben vonnöten war, und es kommt gar nicht so selten vor, dass die Mails dann auch noch ausgedruckt und archiviert werden.

Nimmt ein Staat den Bürgern die Hälfte des Einkommens, muss er es ja auch wieder irgendwo ausgeben, und diesbezüglich ist die Verwaltung ein gewichtiger Posten, weshalb die öffentliche Hand für etliche Unternehmen als Kunde enorm wichtig ist. So entwickeln sich schnell langjährige Geschäftsbeziehungen, selbst wenn alle Aufträge europaweit auszuschreiben sind.

Man muss hier nicht gleich alarmistisch von Big Government und Big Business sprechen – eine Charakterisierung, die viel besser zum World Economic Forum passt, wo sie, die Leader aus Economy und Government, sich gern verabreden, wie denn die angestrebte Weltherrschaft auszusehen habe und was noch unternommen werden müsse, um das Vorhaben umzusetzen. Nein, wir sind hier in Deutschland, da backen wir längst keine großen Brötchen mehr. Deutschland weigert sich, eigene Interessen anzusprechen, lieber zahlen wir, nur bei den Topthemen Asyl und Klima, Weltrettung, moralisch sauber, da wären wir so gern auf Platz eins.

Genug mit den Ausflügen in den Globalismus, bleiben wir in Deutschland und beschränken uns auf den Staat und seine Bürokratie, die vierte Gewalt, denn das Konglomerat ist durchaus interessant. Gier ist schließlich eine schwer zu zügelnde Eigenschaft, und so läuft es dort, wo Geld umgewälzt wird, nicht immer glatt, hakelt manchmal und Maskengeschäfte sind dann ein Fall für die Gerichte. Das nährt nun wiederum den Verdacht, dass es doch eine engere Verzahnung von Politik, Verwaltung und Wirtschaft geben könnte, als gemeinhin vermutet wird, was sehr schwer zu beweisen ist – insbesondere von mir, denn wie soll ich einem Informanten aus dem Maschinenraum der Politik glaubhaft Straffreiheit versichern und einen Versorgungsposten in Aussicht stellen? Mir bleiben nur der legale Weg und das einfache Abschöpfen öffentlich zugänglicher Informationen, und da gibt es für mich immer noch Unbekanntes zu entdecken wie den seit zehn Jahren stattfindenden „Zukunftskongress Staat & Verwaltung“, die Leitveranstaltung für das moderne und digitale Deutschland mit um die 2.000, nein, nicht einfachen Teilnehmern, sondern Führungskräften aus vielleicht 1.000 Institutionen. Hier, bei den Institutionen findet sich eine Reihe bekannt klingender Namen, darunter jede Menge Bundesministerien und Agenturen, auch das für Finanzen und das Bundeskriminalamt. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung und – man will ja seine Karrierechancen möglichst optimal halten – die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen nehmen daran teil. Apropos Grüne: Es war seinerzeit ein genialer Schachzug von euch, bei dem im Osten sehr populären Bündnis anzudocken und sich auf diese Weise zur politischen Kompetenz auch noch die fehlende Sachkompetenz zu verschaffen. Hat nur nicht lange vorgehalten mit der Sachkompetenz.

Es ist fürwahr ein bunter Strauß an Unternehmen und Behörden, der die Verwaltung für die Zukunft fit machen möchte.

Zukunftskongress klingt richtig gut und in das teure Davos müssen wir da auch nicht, sondern können in Deutschland bleiben. Diese Veranstaltung gibt es bereits seit zehn Jahren, und im Juni findet der neunte Zukunftskongress im Berliner Westhafen statt, der wie immer von der Wegweiser GmbH organisiert wird, in deren Beirat mit Dr. Klaus von Dohnanyi, Brigitte Zypries und Wolfgang Bosbach drei mir bekannte Politiker sitzen, beim Netzwerken helfen und wohl auch kassieren. Nach ihrer Selbstdarstellung bringen die Wegweiser, eine Ausgründung der Treuhandanstalt von 1996, „in einem strategischen Mix aus Information und Begegnung die führenden Fachleute übergreifend aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen“.

Es wird also gekungelt, was das Zeug hält, und die Politik achtet darauf, dass nichts aus dem Ruder läuft und ihre Interessen gewahrt bleiben. Es geht schließlich um Milliarden, da darf nichts anbrennen.

Ja, Wegweiser, aus einem staatlichen Unternehmen heraus gegründet, lief wie geschmiert. Doch was, wenn die Ergiebigkeit des ursprünglichen Geschäftszwecks mit jedem abgewickelten ostdeutschen Betrieb mehr und mehr nachlässt, liegt da näher, als sich die Verwaltung in Bund, Länder und Gemeinden vorzuknöpfen, den letzten unumstrittenen deutschen Wachstumsmarkt, und sich bei Tagungsgebühren um die 500 Euro und vielen Kongressen diesen Riesenmarkt zu erschließen? Mit den von der Treuhandanstalt mitgenommenen Beziehungen ist dies ein ideales Geschäftsfeld, und hier haben wir ihn: den Filz, die Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei ist es nicht so sehr die Höhe der umlaufenden Gelder. Das Problem besteht vielmehr darin, dass unter aktiver Beteiligung der Politik Unternehmen gegründet werden, vorzugsweise aus öffentlichen Strukturen heraus, die pro forma privatrechtlich organisiert sind, aber über kurze Umwege nahezu vollständig aus Steuergeldern finanziert werden. Es ist ein Gebaren, ähnlich der Geldwäsche bei der Mafia. Doch während die Mafia ihren illegal erworbenen Reichtum im Prozess der Legalisierung in die Wirtschaft einschleust und dabei notgedrungen einen Teil ihres Vermögens sogar an das Finanzamt abführt, werden hier Steuergelder aufgewendet, um einen Politikbetrieb zu finanzieren. Käme es einmal zu dem notwendigen Verbot unternehmerischer Tätigkeit der öffentlichen Hand, wird hier bereits das Schlupfloch genutzt und perfektioniert, mit dem dieses Verbot dann umgangen werden könnte.

Also, Zukunftskongress: Zunächst ist das Anliegen an sich, die Verwaltung zu modernisieren und ihre Effizienz zu steigern, was heutzutage auch mehr Digitalisierung und Einsatz neuer Technologien bedeutet, grundsätzlich begrüßenswert. Die sich hier auch gleich ergebende Frage, ob die neuen Technologien und die Digitalisierung seitens der Verwaltungen nicht auch zur Überwachung des Bürgers, zum Datensammeln missbraucht werden können, stellt sich natürlich, und die wird gleich selbst beantwortet, was sich dann so liest: „Durch eine neue Offenheit und Transparenz den Staat als vertrauenswürdigen Nutzer der Daten positionieren und das dauerhaft vorleben.“ Dies liegt voll im Trend – anstelle von Bürgerrechten und glasklaren Gesetzen wird mit Gefühlen gespielt.

Also, wer zieht hier außer Wegweiser noch welche Fäden, wer legt sich mit wem ins Bett?

Die Schirmherrschaft des Zukunftskongresses hat mit Fancy Naeser das Bundesministerium des Innern und für Heimat inne.

Eine groß aufgezogene Verwaltungsparty muss noch weitere Partner haben, fein nach Rang abgestuft. Der Hauptpartner ist Accenture, ein Großunternehmen mit 738.000 Mitarbeitern. An dieser Stelle sei schnell mal kurz folgender Vergleich eingefügt, um die Dimensionen Accentures zu verdeutlichen: Das deutsche Unternehmen mit dem meisten Personal, die Telekom, hat weltweit insgesamt nur ein Drittel so viele Mitarbeiter. Accenture ist wirklich Big Business, wohingegen man die Fancy allenfalls in der europäischen Provinz, in Deutschland, als Big Government führen würde. Gegen Accenture kann sie nichts in die Waagschale werfen, genauso wenig wie Kommunen und wer sonst noch in Deutschland zu den Kunden Accentures zählt. Weltweit ist Accenture in 120 Ländern tätig, ist an der Börse in New York gelistet und zahlte, so steht es auf ihrer Webseite, 2022 immerhin 6.6 Milliarden US-Dollar „cash return“ an seine „shareholders“. Natürlich kämpft Accenture, Fancys übermächtiger Partner, gegen Rassismus und für Inklusion und Diversität und ähnlichen, der Politik geschuldeten Schnickschnack, jedoch ganz offensichtlich, ohne dabei wirklich das Geschäft aus den Augen zu verlieren. Zu den Kunden zählen alle möglichen Industrien, die Uno, Staaten und, wie wir gelernt haben, auch Kommunen, denn Kleinvieh macht natürlich auch Mist. Das Großunternehmen Accenture ist die kapitalistische Antwort auf die Herausbildung großer Staaten, auf die staatliche Konzentration größter Geldmengen in einer Hand, der Hand des Staates, denn hier setzt Accenture mit seinen Angeboten an und generiert seine Profite zum Wohle der Investoren. Daher verwundert es auch nicht weiter, dass Accenture breit aufgestellt ist und es auch zum Ukraine-Krieg Analysen und Beratungsangebote zu dessen Folgen gibt. Kleine Erkenntnis am Rande: Anhand einer Website mit dem Titel „Percentage of sectoral energy demand addressed with natural gas from Russia“ lässt sich erkennen, dass es tatsächlich rechte Propaganda ist, wenn behauptet wird, dass Deutschland am meisten unter den Russland-Sanktionen leiden leide. Das stimmt so nicht, denn diesmal steht Italien fest an unserer Seite. Aber immerhin sind dessen Gasleitungen noch intakt.

Nach dem Hauptpartner werden die strategischen Partner, derer insgesamt acht, aufgeführt, unter denen wir mal die GPM herausgreifen – Zitat: „Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., ein gemeinnütziger Fachverband für Projektmanagement. 1979 gegründet bildet die GPM heute ein weitreichendes Netzwerk für Projektmanagement-Expertinnen und -Experten aus allen Bereichen der Wirtschaft, der Hochschulen und der öffentlichen Institutionen.“ Zitat-Ende, und ich sag mal so: eine gut dotierte Nebenerwerbs-ABM für Expert:innen, überwiegend im Hauptberuf beim Steuerzahler angestellt.

Partnerschaften in Platin, Gold, Silber, Bronze bringen es auf insgesamt 40Firmen und Vereine. Bei all der geballten Expertise können die Erwartungen an den Kongress nicht hoch genug geschraubt werden.

Was wird dann aber außer einem Get-together an der Spree und Kaffee noch geboten? Schauen wir mal auf ein Panel, nur auf eines, und aus Zeitgründen soll auch ein Ausriss davon genügen:

„Bürger:innenbeteiligung neu denken – die Kokreativen Kommunen (AT)Eine gute Beteiligung zeichnet sich dadurch aus, dass tatsächlich mit allen gemeinsam an konkreten umsetzbaren Lösungen zu gesellschaftlichen Fragestellungen gearbeitet wird und diese aktiv miteinander umgesetzt werden. Diese Form wird kokreative Beteiligung genannt oder einfach Kokreation. Kokreation liefert einen neuen Ansatz der Bürger:innenbeteiligung, der vor allem für Kommunen neue Türen öffnet, um nachhaltige Zukunftsstrukturen zu formen. Dazu werden wir die Verwaltungswelten durch Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und der Verwaltungsmitarbeitenden herausfordern. Die thematischen Schwerpunkte liegen dabei auf der Struktur und Governance, der Innovationsfähigkeit und dem Personal öffentlicher Einrichtungen.“

Alles klar, oder? Ich gehöre der Generation an, die Goethes Faust nicht nur lesen musste, sondern mit uns wurde im Unterricht auch darüber debattiert. Bei der gediegenen Vorbildung muss doch auch dieses Geschwurbel zu verstehen sein. Also hier meine allgemeinverständliche Interpretation, der Sie sich ruhig anvertrauen dürfen: Mit der kokreativen Bürger:innenbeteiligung werden wir umsetzbare Lösungen aktiv miteinander umsetzen, indem wir die Verwaltungswelten der Verwaltungsmitarbeitenden durch Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger herausfordern. 

Geschafft, aber jetzt haben wir uns doch ganz hübsch verplaudert, und ich komme nun gar nicht dazu, über die ebenfalls sehr sexy Verwaltungsarbeit auf den unteren Ebenen, dicht am Bürger, zu berichten. Es gab eben beim Zukunftskongress eine Menge zu entdecken – und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass Verwaltung auch ganz schön hip sein kann. Na, denn hopp, den Rest hole ich nach. Versprochen.


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