14. Februar 2023 13:00

Regionalität oder Globalität? Der große Bruch aus Angst vor Herrschaftsverlust

Wochenschauparole der letzten Woche: „Abhängigkeit von China so groß wie nie“

von Christian Paulwitz

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In den letzten Jahrzehnten schien es nur eine Richtung zu geben: Die Welt wuchs immer dichter zusammen, wurde immer enger über die Regionen vernetzt und voneinander abhängig. Es lohnt sich, die Entwicklungen in zwei Ebenen zu betrachten, sowohl in Bezug auf die Vergangenheit als auch auf die derzeitigen Veränderungen: Die beiden Ebenen Handel und Herrschaft.

Selbst in der Zeit des Kalten Krieges, in der die Welt von der Gegenüberstellung zweier Blöcke geprägt war, hat Handel über den Eisernen Vorhang hinweg stets stattgefunden. Gewiss war er überaus stark staatlich reglementiert und überwacht – von beiden Seiten. Rohstoffe waren ein Teil der Handelsgüter. Nach der „Politik der Stärke“ der 50er und 60er Jahre folgte seitens des Westens das Konzept des „Wandels durch Annäherung“, das eine Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen Ost und West – insbesondere an der Nahtgrenze Deutschland – mit sich brachte. Verschiedene Ideen waren mit dem Konzept verbunden. So wurde argumentiert, dass eine Hebung des Lebensstandards im Osten durch Öffnung zum Westen zur Entspannung beitragen würde. Angesichts der Gegenüberstellung zweier hochgerüsteter Machtblöcke schwang die auf Ludwig von Mises zurückgehende alte liberale Überzeugung mit, dass internationaler Handel ein Friedenswerk ist, da die gegenseitige Abhängigkeit über Handelsbeziehungen kriegerische Auseinandersetzungen erschwert, weil beidseitig zu viele Interessen dagegenstehen.

Handel – sofern er auf freiwilliger Basis zustande kommt – bringt stets beiden Seiten Vorteile, sonst käme er nicht zustande. Wird er zwangsweise unterbunden, so haben beide Seiten Nachteile. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und mit der zunehmenden Öffnung Chinas wurde entsprechend die exponentiell verlaufende Zunahme des internationalen Handels mit breitem Konsens begrüßt – abgesehen von wenigen Sonderinteressengruppen, die gerne noch etwas mehr nationalen Schutz vor Wettbewerb beanspruchten und ihn zum Teil auch bekommen haben. Bis 2020 hatten die internationalen, privatwirtschaftlichen (!) Handelsverflechtungen einen globalen Grad erreicht, der besser dazu geeignet war, weltumspannenden kriegerischen Konflikten vorzubeugen, als militärische Abschreckungspolitik jemals dazu in der Lage gewesen wäre. Das hat sich, eingeleitet mit der globalen Pandemiepolitik, innerhalb von nur zwei bis drei Jahren abrupt geändert.

Denn der internationale Handel war nicht nur nicht frei von Herrschaftseinfluss, sondern wesentlich durch Herrschaftsmittel organisiert. Dies erweist sich nun als Achillesferse des friedenstiftenden internationalen Handelsgeflechts. Es würde an dieser Stelle bereits genügen, nur das internationale Fiatgeld-System zu nennen, in dessen Währungen der Handel abgewickelt wird. Die bestehenden weltweiten Handelsungleichgewichte sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass durch den Handel über von Zentralbanken organisiertem Kreditgeld theoretisch nie die echte Wertstellung des Warenaustauschs erfolgen muss, wenn Warenströme über längere Zeit eine Vorzugsrichtung haben. Ohne internationalisiertes Fiatgeld wäre dies gar nicht möglich, da wertgedecktes Geld die Waren aus dem stärker nachgefragten Exportraum entweder so teuer machte, dass es die Nachfrage dämpfen würde, oder Anreize zur günstigen Produktion im nachfragenden Importraum so gelenkt würden, dass es in jedem Falle zum Ausgleich der Warenströme käme.

Fiatgeld verspricht im großen wie im kleinen Maßstab die Befriedigung des weit verbreiteten menschlichen Wunsches, über seine Verhältnisse leben zu können. Der internationale Handel wird dadurch verzerrt. Er wird jedoch auch gebremst durch regulatorische Maßnahmen, mit denen sich Wirtschaftsräume abgrenzen. Einst wuchsen die Wirtschaftsräume, gefördert durch das Argument, Handelsschranken im regionalen Warenverkehr zu beseitigen und dadurch Handel und Wohlstand zu vergrößern. Doch wurden die Regularien nicht einfach beseitigt, sondern nur nach innen vereinheitlicht, während sie insgesamt stets zugenommen haben. Insbesondere gilt dies für die Europäische Union, die nie ein Freihandelsprojekt war, sondern immer ein auf räumliches Wachstum angelegtes Machtprojekt. Wo das Rahmenwerk für den Handel nahezu beliebigen Regeln unterworfen werden kann, die von staatlichen Institutionen – Regierungen, Parlamenten, Zentralbanken – gesetzt werden, dient es natürlich der Einflussnahme durch Interessengruppen, und man bilde sich nicht ein, dass einflussnehmenden Interessengruppen nationale oder regionale Schranken gesetzt seien. Nicht einmal in einer saldierten Kollektivbetrachtung lässt sich sagen, wem veränderte Handelsregeln zwischen „China“ und der „Europäischen Union“ mehr nützen oder schaden. Man kann getrost davon ausgehen, dass Vereinfachungen unangebracht sind und niemand einen halbwegs realistischen Überblick über die Einflussnahme hat. Dass jedoch unzählige sich teils auch widerstreitende Verschwörungen auf die Regulierungen Einfluss zu nehmen versuchen, dessen kann man sich sicher sein.

China ist den Weg natürlich anders gegangen als die Europäische Union, wobei Regulierungen hier auch eine wesentliche Rolle spielen. So wurde der eigene Handelsraum gegen Importe stark geschützt, jedoch Investitionen in den eigenen stärker werdenden Wirtschaftsraum angezogen. Westliche Unternehmen konnten in China gute Geschäfte machen, jedoch nicht ohne ihr Knowhow der staatlich gelenkten Entwicklung des Landes zugänglich zu machen – das ist nicht neu, sondern war von Beginn an Teil der chinesischen Öffnungspolitik. Das Fiatgeld-Konstrukt hat China einen hohen Exportüberschuss beschert, insbesondere gegenüber den USA, der somit in Dollartiteln saldiert wurde.

Nun ist China nach außen so etwas wie ein riesengroßer staatlicher Betrieb – was sollte ein Betrieb machen, der festgestellt hat, dass er einen großen Teil seines aufgebauten Kapitals in nicht wertgedeckten Titeln angelegt hat? Er wird versuchen, sie in werthaltigere Assets zu tauschen, soweit er sie nicht für die Entwicklung des eigenen Geschäfts verwenden kann (und so teuer dürften westliche Politiker und Beamte ja nun auch nicht sein). Es kann also nicht verwundern, wenn China in großem Stil als Käufer von Betrieben und Immobilien des Dollarraums und des diesem angehängten Euroraums auftritt. Ob diese sich als werthaltig erweisen, bleibt angesichts des möglichen willkürlichen Zugriffs durch den Heimatstaat allerdings abzuwarten. Zusätzlich sichert sich der chinesische Staat zunehmend Kontrolle über Rohstoffquellen außerhalb Chinas, insbesondere in Afrika. Wenn Staaten als Wirtschaftsakteure auftreten und staatlich kanalisierte Interessen vertreten, dann sind die daraus hervorgehenden internationalen Handelsbeziehungen auf Zwang, Erpressung und Bestechung gegründet und eben kein Friedenswerk, das globaler, auf Kooperation beruhender Handel wäre und sein sollte.

Nun berichtete letzte Woche die breite Front der deutschen Medien von einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, dass die Abhängigkeit von China so groß sei wie noch nie – gemessen am Außenhandelsdefizit (siehe Link unten). – Die Erkenntnisse sind nicht neu, scheinen nun aber politisch verstärkt in den Fokus zu rücken. Ursachen seien – wer hätte das gedacht? –, dass chinesische Hersteller aufgrund der Lieferkettenprobleme auf chinesische Lieferanten umgestiegen seien, sowie die Auswirkungen der „europäischen Energiekrise“. Die Sorge über die Entwicklung des Außenhandelsdefizits ist nicht unberechtigt. Die abgeleitete Forderung der „Reduzierung der Abhängigkeit“ richtet sich jedoch auf Eingriffe der Politik, nicht etwa auf die Rücknahme der Politik im eigenen Wirtschaftsraum, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen. Der neue weltpolitische Trend ist die Reduzierung der Verflechtung der Wirtschafts- und Währungsräume, wie bereits zuvor durch die Anschläge auf die Lieferketten in der Covidpolitik und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, nachdem die hochverschuldeten Fiatgeldsysteme zunehmend dysfunktional geworden sind. Die Gegenspieler sind dabei natürlich die Beherrscher des Dollarraumes einerseits und China andererseits.

Die EU wird nur getrieben. Sie hat sich ihrer kapitalistischen Wettbewerbsvorteile weitgehend entledigt, zerstört ihre Volkswirtschaften und ist Spielfeld für fremde geopolitische Interessen. Sich vor diesem Hintergrund um mehr Eigenständigkeit bemühen zu wollen und die Reduzierung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die bei politischer Steuerung nur auf eine Reduzierung der Handelsverflechtungen hinauslaufen kann, befremdet. Sie kostet Wohlstand, löst kein Problem und macht die Welt gewiss nicht sicherer. Sinnvoll wäre die Reduzierung des staatlichen Apparats und seiner Eingriffe, um die Wettbewerbsfähigkeit der Privatwirtschaft zu erhöhen und die Handelsverflechtungen zu stärken, aber basierend auf kooperativem Austausch. Die laufenden Bestrebungen zur regionalen Entkopplung halte ich für einen nicht ungefährlichen Konsolidierungsversuch von Herrschaftsräumen nach dem vorläufigen Scheitern des Global-Governance-Projekts. 

Quellen:

IW-Kurzbericht Nr. 9/2023 – China-Handel 2022: Ungleichgewicht und Abhängigkeit weiter verstärkt (IW Köln)


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