Meinungskampf: Kontaktschuld ist Blödsinn
Wie Sie aufrechtbleiben, wenn alle durchdrehen
von Oliver Gorus
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Man kann für oder gegen die Friedensinitiative von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sein – wer aber ganz sicher kolossal danebenliegt: all jene, die die Unterzeichner diffamieren oder versuchen, sie via Kontaktschuld zu diskreditieren.
Aber genau das passierte seit der Veröffentlichung jenes „Manifests für den Frieden” auf der Online-Petitions-Plattform change.org am 10. Februar tausendfach. Kontaktschuld nicht für völlig irrsinnig, sondern für ein valides Argument zu halten, scheint in unserer Gesellschaft inzwischen der Normalfall zu sein. Auch hochrangige Politiker entblödeten sich nicht, den beiden Frauen vorzuwerfen, wer die Stellungnahme sonst noch unterschrieb.
Wer bei der zurückgepfiffenen Kemmerich-Wahl in Thüringen, bei den Diffamierungen der Demonstranten in der Migrationskrise oder jüngst bei der Corona-Maßnahmenkrise nicht irgendwann gelernt hat, dass das Konzept der Kontaktschuld toxisch für eine Gesellschaft ist, der bekommt gerade beim Ukraine-Krieg eine neue Gelegenheit, das endlich zu lernen.
Die Abseitsfalle
Hinter diesem merkwürdig archaischen Glaubensmechanismus, dass jene, die Zustimmung durch „böse“ Menschen erfahren, böse sein müssten, steckt ein dumpfer Meinungsrassismus, kombiniert mit einem religiösen Moralhygienewahn.
Zuerst der Meinungsrassismus: Stellen Sie sich vor, eine Meinung zu haben, die außerhalb des engen Spektrums der Ideologie des gerade temporär tonangebenden Milieus liegt.
Also wenn Sie zum Beispiel mitten in der Corona-Maßnahmenkrise so etwas äußern wie: mRNA-Impfungen sind keine Impfungen, sondern experimentelle Gentherapeutika mit starken gesundheitlichen Risiken, während die Fallsterblichkeit von Covid vergleichbar mit der gewöhnlichen Grippe ist. Hui!
Oder Sie sagen mitten in der Refugees-Welcome-Euphorie so etwas wie: Vorsicht, Ihr Kuscheltierwerfer, das sind gar keine Flüchtlinge, sondern überwiegend Einwanderer ins Sozialsystem. Oder: Die Mittelmeerroute muss für die Migranten geschlossen werden, um keine Menschen in Schlauchbooten aufs offene Meer zu locken, weil das viel zu gefährlich ist.
Oder Sie sagen mitten in der Klimahysterie: Kohlendioxid ist gar kein Problem. Oder: Es gibt keine statistische Zunahme von Wetterextremereignissen, und die Schäden durch Naturkatastrophen haben in den letzten 100 Jahren stark abgenommen.
Sie wissen, was ich meine: Sie vertreten also mit rationalen Argumenten öffentlich eine Außenseiterposition. Wenn Sie das schon mal gemacht haben, sind Sie wie ich um die Erfahrung reicher, dass Sie dann von sehr vielen braven Bürgern abgewertet werden, ohne dass diese je auch nur ein Sachargument gegen Ihre These ins Feld führen.
So weit, so gewöhnlich. Nun aber kommt zur Abwertung der Meinungsrassismus dazu: Sie werden dann im gleichen Atemzug einer als böse anerkannten „Rasse“, also einer markierten Gruppe, zugeordnet: Nazis, AfDler, Reichsbürger, Corona-Leugner, Schwurbler, Klimaleugner, Rassisten (sic!), Putin-Freunde et cetera.
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Durch die Identität mit einer Gruppe haben Sie dann nicht nur eine böse Meinung, sondern Sie sind böse. Nicht haben, sondern sein. Und zwar durch und durch. Alles andere, was Sie sagen, kann dann nicht mehr in Ordnung oder diskutabel sein, weil Sie ja in dieser einen Sache bewiesen haben, dass Sie böse sind. Sie können jetzt nicht mehr aus Ihrer Haut heraus: Egal, was Sie noch sagen, Sie sind und bleiben ein Schwurbler, Rassist et cetera, egal, zu welchem Thema Sie sich äußern.
Dass zum Beispiel Frau Wagenknecht zu Fragen der Wirtschaft nicht viel Vernünftiges von sich gibt, aber in Sachen Corona-Maßnahmen oder Ukraine-Krieg durchaus vernünftige und wichtige Argumente in die Debatte einbringt, geht dann nicht mehr. Entweder – oder.
Oder dass Frau Guérot katastrophal etatistische Positionen in Bezug auf die EU vertritt, aber im Falle der Corona-Maßnahmen plötzlich manch Vernünftiges zum Thema Grundrechte sagte … – da gibt es kein Differenzieren mehr. Böse ist böse, abgrundtief.
Wenn Sie im Dritten Reich Bolschewist waren, dann waren Sie für die nationalsozialistischen Herrscher unwertes, krankes Leben, völlig egal, was Sie getan oder welche Meinungen Sie vertreten haben. Sie waren böse und mussten darum vom Erdboden getilgt werden, alleine aufgrund Ihres Seins, das durch Ihr Bewusstsein entstanden ist. Endgültig.
Es kommt aber immer auf den Kontext an. Wenn Sie vor 30 Jahren gesagt hätten, dass Sie den menschengemachten Beitrag zum natürlichen Klimawandel für vernachlässigbar halten, dann wären Sie nicht böse gewesen, sondern hätten mitdiskutieren dürfen. Wenn Sie das aber heute sagen, sind Sie für viele ein sehr, sehr böses Wesen.
Der Ritt auf der Rasierklinge
Als ob diese quasireligiöse Unvernunft nicht schon schlimm genug wäre, kommt jetzt aber noch der Moralhygienewahn hinzu: Es gibt nur noch zwei Zustände: rein oder kontaminiert. Wie bei Zombies oder Vampiren oder Schwangeren: entweder zombifiziert oder noch menschlich. Entweder gebissen und damit selbst zum Vampir geworden oder eben noch davongekommen. Entweder schwanger oder nicht schwanger. Es gibt keinen Zwischenzustand mehr und Sie können schlagartig von dem einen Zustand in den anderen verwandelt werden.
Der Raum zwischen russischer und Nato-Propaganda ist so verengt, dass er zur Rasierklinge wurde, auf der sich niemand mehr aufhalten kann. Es gibt kein Dazwischen mehr, kein Terrain, auf dem man sich, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, diskutierend begegnen kann, um seine Argumente auszutauschen. Dann kommt es nur noch drauf an, ob Sie dies- oder jenseits der Rasierklinge zu finden sind.
Wer nicht alles, was die Nato-Propaganda vorgibt, teilt, der kann ja nur ein Putin-Freund sein. Oder umgekehrt: Wer die Ukrainer nicht für selber schuld und allesamt für Nazis hält, kann ja nur ein Stiefellecker der Amis sein. Der Raum der Vernunft wurde geschlossen. Übrig bleibt ein dumpfes, moralisierendes „Wir sind die Guten, und wer nicht für uns ist, ist gegen uns, ist also böse“.
Wie können Sie es wagen!
So, und der fatale Mechanismus der Kontaktschuld schließt nun den Stromkreis zwischen Meinungsrassismus und Moralhygiene: Wenn Ihnen jemand zustimmt, der einer der Bösen ist, dann sind auch Sie schlagartig und endgültig böse.
Wenn Sie friedlich demonstrieren, aber einer in der Menge schwenkt eine AfD-Flagge, dann sind Sie ein Nazi.
Wenn Sie in ein Amt gewählt werden, aber unter den Stimmen waren welche der AfD, dann sind nicht nur Sie böse, sodass man Ihnen die Blumen vor die Füße wirft, sondern lustigerweise ist auch der Wahlvorgang selber infiziert und gilt als undemokratisch und muss daher rückgängig gemacht und wiederholt werden.
Wenn Sie einen differenzierenden Artikel schreiben, aber Ihnen stimmt jemand zu, der Trump-Anhänger ist, dann sind Sie ein Rassist und ein kompletter Idiot.
Wenn Sie einen Tweet über Menschenrechte schreiben und Daniele Ganser oder Stefan Homburg oder Hans-Georg Maaßen oder jemand, der jemanden kennt, der Ken Jebsen kennt, findet den Tweet gut, dann sind Sie ein Nazi, ein Reichsbürger, ein Covidiot oder ein Putinist.
Wenn Sie sich für Frieden einsetzen, aber einer Ihrer Unterzeichner kennt jemanden, der mal was Positives über Putin gesagt hat, sind Sie ein Putin-Freund und Verräter, und dann wollen Sie keinen Frieden, sondern die Kapitulation der Ukraine.
Wie können Sie es nur wagen, von den Falschen Zustimmung zu erhalten!
Bleiben Sie standhaft!
Hinter diesem Unsinn steckt eine tiefsitzende irrationale Angst, sich bei Kontakt mit Ihnen mit dem bösen Gedankenvirus zu infizieren wie mit einem Krankheitserreger. Und Sie haben sich offensichtlich ja längst bei den Infizierten, mit denen Sie Kontakt hatten, angesteckt!
Der ganze Irrsinn ist nun beileibe kein Nischenphänomen. Der Politiker, der an Kontaktschuld glaubt und geistig so beschränkt ist zu behaupten, dass die eingangs erwähnte Friedensinitiative extremistisch sei, weil der AfD-Vorsitzende Chrupalla sie unterstützt, ist Justizminister. Das muss man sich mal vorstellen.
Der Glaube an Kontaktschuld, dumpfer Meinungsrassismus und Moralhygienewahn haben die Öffentlichkeit erobert und vergiften jede gesellschaftliche Diskussion. Ähnliches Gift verströmen die archaischen Konzepte der Kollektiv- und der Erbschuld, die in Deutschland nach wie vor wirken. Aus alldem kann aber nur noch Dummheit und großes Unheil entspringen.
Dagegen hilft nur eins: Sagen Sie einfach trotzdem Ihre Meinung! Nehmen Sie in Kauf, abgewertet, der Kontaktschuld bezichtigt und den Bösen zugeordnet zu werden. Das ist gar nicht so schlimm, wenn man sich mal daran gewöhnt hat. Argumentieren Sie trotz Meinungsrassismus und Moralhygienewahn munter weiter. Bleiben Sie bei der Vernunft!
Denn die gute Nachricht ist: Diese wahnhaften Phasen gehen relativ rasch vorbei, und hinterher werden Sie zu denen gehören, die auf die eine oder andere Weise recht behalten haben – so wie es zum Beispiel gerade bei Corona offensichtlich wird. Sie werden sehen: Beim Klimakult, bei der Migration und beim Ukraine-Konflikt wird das genauso sein. Bleiben Sie standhaft! Kontaktschuld ist Blödsinn.
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