Von Echelon zum Luftballon: „Wir leben im Zeitalter der medialen Massenverblödung“ (Scholl-Latour)
Nachtrag: Warum ein chinesischer Ballon gefährlicher sein muss als der Asteroid in Michael Bays „Armageddon“
von Axel B.C. Krauss
Sie kennen ja alle den Spruch: Wenn du glaubst, es wird nicht dümmer, machen’s Zeitungen noch schlimmer. Oder Politiker. Nicht selten mit Absicht. Zur Ablenkung. Wovon? Davon wird hier die Rede sein. Und das ist auch der einzige Grund, warum ich meinem letztwöchigen Beitrag diese Ergänzungen beigeselle. Es ist so grotesk lächerlich …
Kaum hatte ich in meinem letzten Kolumnenbeitrag auf die Albernheit der Berichtbestattung über einen eventuell-vielleicht-mutmaßlich-möglichen Spionageballon hingewiesen, wurden meine Verdachtsmomente auch schon bestätigt.
Ich sagte ja schon: N-S-A. Nachschlag? Gerne: Five Eyes. Echelon. PRISM. XKeyScore. Tempora. Full Spectrum Dominance. Total Information Awareness. Boundless Informant.
In Washington ist man natürlich völlig unterbelichtet und hat davon noch nie gehört.
Selbstverständlich hat man dort die weltweiten Diskussionen um die NSA und ihre technischen Möglichkeiten sehr genau verfolgt – erst recht im Gefolge der „Snowden-Leaks“. Es gab nicht umsonst zahlreiche Senatsanhörungen dazu.
Die entscheidende Frage muss also lauten: Warum diese offensichtliche Ablenkung? Geht es wirklich nur darum, Spannungen mit Peking heraufzubeschwören? Sieht der US-Tiger seine Hegemonie bedroht und beißt deshalb anderen in die Waden (eine der gängigsten Interpretationen in Kurzform)? Oder könnte noch etwas anderes im Spiel sein? Dazu werde ich am Ende ein paar krude Vermutungen äußern …
Jedenfalls ist vollkommen klar, dass Antony Blinken, US-Minister für Bigotterie, sehr genau weiß, welchen Quatsch er verzapft hat. Und nicht nur er. Die „Zeit“, 10. Februar 2023 („Nato-Generalsekretär warnt Europäer vor chinesischer Spionage“), feinstes realsatirisches Zitat: „US-Außenminister Antony Blinken sprach von Überwachung“.
Dieselbe Zeitung, selbes Datum: „Biden bezeichnet Chinas Ballon-Spionage als Verstoß gegen Völkerrecht“. Die Rechnung für die Reinigung meines Teppichs habe ich Joe bereits zugemailt. Da trinkt man nichtsahnend seinen abendlichen Tee und muss plötzlich losprusten, weil Washington mal wieder das Wort „Völkerrecht“ dadurch besudelt, es in den Mund zu nehmen. Es ist, pardon, nur noch eine bescheuerte Farce. Und genau deshalb – ich erwähnte es bereits – fragte ich mich nach der Lektüre dieser Artikel sofort, wovon hier eigentlich abgelenkt werden soll. Es ist zu offensichtlich.
Als wüsste man am Potomac nicht sehr genau, wie es um das eigene Ansehen in der Welt steht. Als hätte man keine Berater, die stets die Presse sowie die sozialen Netzwerke dahingehend durchforsten, die „öffentliche Meinung“ zu evaluieren: Wie kommt zum Beispiel unsere Außenpolitik an? Und falls die Reaktionen negativ ausfallen: Was können wir tun, um dem entgegenzuwirken? Von Facebook beispielsweise ist ja bekannt, dass es mit dem „Atlantic Council“ kooperiert, um ein möglichst positives Bild zu zeichnen und alle anderslautenden Beiträge als „Fehlinformation“ zu kennzeichnen: Möchtest du das wirklich teilen, du schäbiger anti-amerikanischer Verschwörer? Mal ganz zu schweigen von den ohnehin ominösen Ursprüngen des Netzwerks. James Corbett fragte dazu wundervoll sarkastisch (nur noch mal zu Erinnerung): „Haben Sie schon einmal von ‚Lifelog‘ gehört? Sie wissen schon, das DARPA-Projekt zur Erstellung einer automatisch aktualisierten, aufgeschlüsselten, organisierten, elektronischen Liste jeder Interaktion, die Sie haben, jeder Veranstaltung, an der Sie teilnehmen, jedem Ort, an den Sie gehen, und allem, was Sie tun? Das Projekt, von dem es am selben Tag, an dem Facebook an den Start ging, hieß, es sei aufgegeben worden?“ („The Weird DARPA/Facebook ‚Coincidence‘ You Never Heard About“, 5. Juli 2018).
Long story short: Dient das ganze Palaver vielleicht nur der Ablenkung davon, dass es eigentlich gar keiner chinesischer Spionage mehr bedarf, da Bürgen der Sowestunion ja eh schon seit Jahren sehr lukrative Ressourcen fürs „Data Mining“ von „Big Tech“ sind und dadurch nahezu vollständig gläsern wurden? Dass ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken mittels psychometrischer Methoden ausgewertet werden, und zwar massenhaft? Dass basierend auf diesen Daten sogar individualisierte Wahlwerbung für Parteien, solche für bestimmte Produkte und anderes „Nudging“ platziert werden kann? Und so weiter und so fort.
Kurz, zieht man die alberne Pappmaschee-Kulisse deshalb hoch, damit der längst rundum beschnüffelte, ausgewertete und psychometrisch vermessene Westbürge sich eher von China bedroht sieht als von der Datensammel- und -analysewut der eigenen Irreführer? Und könnte das auch der Grund sein, warum man obendrein – auffällig genug – noch schnell hinterherschickt, Ballons seien, kein Witz, eine Spionagetechnik „der Zukunft“, obwohl es seit Jahrzehnten viel ausgefeiltere, subtilere und invasivere Methoden gibt, die bis in die Privatsphäre der Menschen hineinlangen können?
Noch mal die „Zeit“, 1. April, äh, 8. Februar. Originalzitat: „Was kann ein Ballon, was Satelliten nicht können? Chinas mutmaßliche Spionage wirkt altbacken. Doch Militärstrategen sehen sie als Teil der Kriegsführung von morgen.“ („Viel mehr als eine Luftnummer“, so die Überschrift).
Ich hätte einen besseren Vorschlag: Yps-Gimmicks, Brieftauben, Juckpulver. Bei den Geheimdiensten der Welt besonders beliebt sind übrigens Furzkissen. Die legt man ausländischen Staatschefs auf den Sessel, und wenn die sich draufsetzen, brechen die Agenten ob der lustigen Geräusche in hysterisches Gelächter aus. Ich begnüge mich hier mit einem Zitat Peter Scholl-Latours: „Wir leben im Zeitalter der Massenverblödung, vor allem der medialen Massenverblödung.“
Um noch etwas anderes geradezurücken: Laut der Website „Statista“ („Anzahl der Satelliten im All verteilt nach Ländern“, Stand vom 30. April 2022) lassen die USA stattliche 3.433 dieser Geräte um den Erdball gurken, Russland lässt 172 davon durch den Orbit semmeln und bei China ziehen 541 davon ihre Kreise durch eine erdnahe Umlaufbahn.
Abermals die „Zeit“, 9. Februar („Ballon war laut US-Regierung Teil von chinesischem Militärprogramm“): „Die USA veröffentlichen neue Erkenntnisse zum Ballon aus China. Das Gerät sei in der Lage, Kommunikation abzufangen – und Teil eines weltweiten Spähprogramms.“
Die „Welt“, 9. Februar 2023 („USA vermuten weltweites Überwachungsprogramm Chinas hinter Spionageballon“): „Nach dem Abschuss eines chinesischen Spionageballons spricht das US-Außenministerium von einem weltweiten Überwachungsprogramm des chinesischen Militärs. ‚Es geht jetzt darum zu verstehen, welche Informationen diese Antennen abgreifen konnten‘, so China-Experte Alexander Görlach.“
Zu all den nonstop bemühten Experten sage ich nichts mehr. Ist mir juristisch zu heikel.
Der Vorwurf lautet jedenfalls „weltweite Überwachung“. Da hilft wohl nur eine Erinnerungskur (ich habe den Schlüsselbegriff durch Großschrift hervorgehoben).
„FAZ“, 14. Juli.2013, „Totale Überwachung“: „Die Überwachung durch amerikanische Geheimdienste ist beileibe kein neues Phänomen. Schon seit 2001 will die NSA alles wissen. Im Juni 2008 besuchte Generalleutnant Keith Alexander, der Chef des amerikanischen Geheimdienstes NSA, seine Mitarbeiter in Menwith Hill. Der Stützpunkt liegt in der englischen Grafschaft North Yorkshire und wird seit den fünfziger Jahren von der NSA betrieben. Von dort wurde im Kalten Krieg der satellitengestützte Datenverkehr der Sowjetunion abgefangen, es war der wichtigste Knoten im GLOBALEN Spionageprogramm ‚Echelon‘. Alexander hatte den Abhörprofis eine schöne ‚Sommer-Hausaufgabe‘ mitgebracht, wie er es formulierte: ‚Warum können wir nicht alle Signale zu jeder Zeit sammeln?‘“
Die „Welt“, 5. Juli 2013, „Prism ist geradezu klein gegenüber seinem Nachfolger“: „Schon das Prism-Programm der USA und die britischen Spionagetätigkeiten im Internet wirken erschreckend ausgefeilt. Doch Prism ist schwach im Vergleich zur neuen IT-Initiative der NSA. Echelon heißt das WELTWEITE Lausch-Programm, mit dem die National Security Agency (NSA), der größte Nachrichtendienst der USA, Signalaufklärung betreibt.“
Und so weiter: „Zusammengenommen haben die Enthüllungen ein GLOBALES Überwachungssystem ans Licht gebracht, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 viele seiner historischen Beschränkungen ablegte. Geheime rechtliche Befugnisse ermächtigten die NSA, die Telefon-, Internet- und Standortdaten ganzer Bevölkerungsgruppen zu erfassen“ (Barton Gellman, „Washington Post“, 23. Dezember 2013).
Mal schauen, was Glenn Greenwald und sein Co-Autor Ewen MacAskill dazu sagen („Boundless Informant: the NSA’s secret tool to track GLOBAL surveillance data“, 11. Juni 2013): „Ein Schnappschuss der ‚Boundless-Informant‘-Daten zeigt, dass die Behörde [NSA, meine Anmerkung] im März 2013 97 Milliarden Informationen aus Computernetzwerken WELTWEIT gesammelt hat. Sie haben Wege gefunden, alle Aspekte moderner Kommunikationsnetzwerke zu infiltrieren: Sie haben Unternehmen gezwungen, die Daten ihrer Kunden auf geheime Anweisung hin herauszugeben, und trotzdem heimlich die Glasfaserkabel zwischen den Rechenzentren derselben Unternehmen angezapft; sie haben sich über SWIFT, das weltweite Finanznachrichtensystem, Zugang zu sensiblen Finanzdaten verschafft […] die Bedrohung von Politikern mit erfundenen Drohungen über einen möglichen Cyber-Krieg, während sie gleichzeitig Einbruchsoperationen durchführen, die die Sicherheit von Netzwerken auf der ganzen Welt schwächen, und die Sabotage von Verschlüsselungsstandards und Normungsgremien, wodurch die Fähigkeit der Internetnutzer, Informationen zu sichern, untergraben wird.“
„The Century Foundation“, 16. März 2017: „Im Rahmen von FISA 702 sammelt die NSA riesige Mengen an sensiblen, detaillierten und intimen persönlichen Informationen über Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich aller Personen, die für ‚ausländische Geheimdienste‘ von Interesse sind. Es handelt sich nicht um ein Gesetz zur Terrorismusbekämpfung. Abschnitt702 erlaubt das Abhören ausländischer Bürokraten, das Sammeln von Informationen, die für die Vorhersage des Ölpreises relevant sind, und die Erlangung von Druckmitteln bei der Verhandlung von Handelsstreitigkeiten.“
Das dürfte wohl einer der Gründe sein, warum chinesische Hong-Kong-Fui-Spionageballons gefährlicher sein müssen als der Asteroid in Michael Bays „Armageddon“.
Doch es ist eben kein ausschließlich amerikanisches Phänomen. So zu denken, wäre fatal.
„Das Aufkommen der globalen Überwachung muss im Zusammenhang mit der zunehmenden technologischen Absicherung der Gesellschaften gesehen werden, die Überwachungstechnologien zu einer Schlüsseltechnik des Regierens gemacht hat. Die staatlichen Bemühungen, die Gesellschaften gegen globale Bedrohungen wie den Terrorismus zu schützen, haben jeden Menschen zu einer potenziellen Bedrohung und damit zu einem Ziel von Überwachungstechnologien gemacht. Dies wird durch die Fähigkeit der Überwachungstechnologien ermöglicht, globale Kommunikationsinfrastrukturen zu integrieren. Im breiteren Umfeld der Techno-Securitization liegen die Hauptmerkmale der ‚allgegenwärtigen Überwachung‘ in ihrer Globalität, der Produktion heterogener Überwachungsgeographien, der Verwischung der Grenzen zwischen Kämpfern und Zivilisten sowie einem alarmierenden Rückgang von Transparenz und Rechenschaftspflicht“ (Taylor & Francis Online, 15. März 2019, „‚Everywhere Surveillance’: Global Surveillance Regimes as Techno-Securitization“).
Deshalb zum Schluss meine krude Vermutung: Geht es womöglich auch um Ablenkung davon, dass man sich bereits auf anderen Ebenen anschickt, Überwachungsnägel mit globalen Köpfen zu machen? Auf den letzten COP-Gipfeln wurde ja diskutiert, ob man nicht mithilfe satellitengestützter Aufklärungsdaten die Einhaltung von Emissionsvorschriften kontrollieren könne …
Und kennen Sie schon das „Global Surveillance“-Projekt der WHO? Das PDF ist online einsehbar und trägt den Titel „WHO Global Surveillance and Monitoring System for Substandard and Falsified Medical Products“ (Globales Überwachungs- und Kontrollsystem der WHO gegen minderwertige und gefälschte medizinische Produkte). Das klingt – wie meistens in solchen Fällen – zunächst mal toll. Man kämpft also gegen medizinische Falschinformationen, sozusagen. Würde ja gut zum anderen „Kampf gegen Fake News“ passen. Na, dann hoffe ich jetzt einfach mal, dass solche Maßnahmen wirklich nur der Verbesserung der erdenbürgerlichen Lebensqualität dienen und nicht etwa dem schrittweisen Zuziehen eines globalen Überwachungsnetzes.
Nicht dass unsere Overlords irgendwann auf die Idee kommen, ihre Überwachungskapazitäten vielleicht zusammenzulegen. Zum Beispiel angesichts irgendeiner anderen, neuen globalen Bedrohung, von der die Welt jetzt noch gar nichts ahnt. Oder vielleicht wegen einer allseits bekannten: zum Beispiel dem Klimawandel. Der Vladimir und der Xi haben sich ja schon ganz begeistert gezeigt von der „Nachhaltigkeits“-Agenda.
Ich würd’ ja lachen, sollten Ozeanien, Eurasien und Asianien dann auf nachrichten- und geheimdienstlicher Ebene zusammenarbeiten, während man im Vordergrund ein paar Luftballons steigen lässt und Cowboy und Indianer spielt. Das wär’ ja mal grandioser Komödienstoff.
Bis nächste Woche.
Kommentare
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