Neues nicht nur aus Saudi-Arabien: Die östlichen Allianzen gegen Nato und G7 erhalten immer stärkeren Zulauf
Beitrittskandidaten für Brics und SOZ – oder laufen sie nur den Irren davon?
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
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Haben Sie das mitbekommen? Am 13. Februar 2023 erklärte der russische Botschafter in Saudi-Arabien, Sergei Koslow, dass das Königreich den internationalen Organisationen Brics und SOZ beitreten möchte. Anfang des Jahres hatte bereits der russische Außenminister Sergei Lawrow verkündet, dass „mehr als ein Dutzend Staaten“ ihr Interesse an einer Mitgliedschaft in der Brics-Gruppe bekundet hätten.
Brics – das ist eine Art östliche Gegen-G7-Wirtschaftsallianz. Namensgebend sind die Anfangsbuchstaben der bislang fünf großen Mitgliedsländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die derzeit mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung unter ihrer Staatsgewalt haben.
Und dieser Brics-Zusammenschluss wird definitiv Zuwachs erhalten. Offiziell den Beitritt beantragt haben Algerien, Argentinien und der Iran. Interesse an einer Mitgliedschaft zeigen darüber hinaus neben Saudi-Arabien auch Ägypten, Bahrein, Bangladesch, Indonesien, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Simbabwe, Sudan, Syrien, Uruguay, die Türkei, Venezuela und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Was das bedeutet? Sollten Indonesien, Pakistan, Nigeria, Bangladesch und Mexiko wirklich beitreten, würde der antiwestliche Zusammenschluss neun der zehn bevölkerungsreichsten Länder der Erde beinhalten. Wirtschaftlich sind das meist Schwellenländer, aber immerhin würden die so erweiterten Brics auch – nach Bruttoinlandsprodukten gemessen – bereits acht der 20 größten Volkswirtschaften der Welt „repräsentieren“, Tendenz steigend. Und da sind die Glitzermetropolen der aufstrebenden Ölmonarchien in Nahost noch nicht einmal gewürdigt.
Ebenso bedrohlich wie die antiwestliche Wirtschaftsunion ist die neu entstandene Anti-Nato als sicherheitspolitische Gegen-Allianz des Ostens. Mitgliedsstaaten der SOZ, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, sind heute China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan. Auch das macht zusammengerechnet bereits 40 Prozent der Weltbevölkerung aus. Als Beitrittskandidaten neben Saudi-Arabien gelten hier Ägypten, Afghanistan, Armenien, Aserbaidschan, Bangladesch, Kambodscha, die Mongolei, Nepal, Sri Lanka, Syrien, die Türkei, Turkmenistan und Weißrussland.
Was das bedeutet? Youtube-Ikone Horst Lüning verwies kürzlich in einem Video-Kommentar auf das diesjährige Treffen des World Economic Forum in Davos, wo die zweite Garnitur des Westens weitgehend unter sich tagte, also selbst von dort die wichtigsten Staatschefs durch Abwesenheit glänzten. Das Schwab-Treffen stand 2023 unter dem Motto „Kooperation in einer fragmentierten Welt“ – und Lüning bemerkte, dass nichts weiter von der Realität entfernt sei als die Illusion von einer „Fragmentierung“. Bekommen die da im abgeschotteten Davos überhaupt noch mit, was wirklich auf der Welt passiert? Tatsächlich nämlich teile sich diese gerade, so Lüning, und finde neu zusammen. Die andere Allianz, die Gegenposition zum ehemals freien Westen, gewinnt laufend an Attraktivität, Antragstellern und Mitgliedern.
Was auch wenig verwunderlich ist, denn welcher Scheich oder Gaucho hat schon Lust, sich von mehr oder weniger – an der Spitze auch zuweilen völlig – senilen, ideologisch selbsthypnotisierten Halb- und Vollirren mit infantiler Attitüde erklären zu lassen, wie die Welt bitteschön funktioniere, oder gar noch, wie er selbst zu leben habe. Von wegen „One Love“ hier, siebenunddreißigsten Sanktionsrunde (Bestrafungsaktionen und Maßregelungen für unartige Staaten wie gegenüber Kleinkindern) und der obligatorischen Live-Schalte mit Selenskyj überall und immer. Soll der Westen doch in diesem eigenen Zirkus zunehmend verblöden.
Der nervende Besserwessi ist zurück, jetzt international. Und diesmal ist er nicht mal mehr der Sieger. Der „Wertewesten“ ist nicht nur nicht mehr attraktiv, er ist in allem, was er sagt und macht, abschreckend und zum Davonlaufen. Und das tun nicht nur immer mehr ehemalige Bürger westlicher Staaten, sondern auch die Führer der anderen Staaten – die sich dann plötzlich in riesigen Militär- und Wirtschaftsallianzen wie den erweiterten SOZ und Brics zusammenfinden und bald weit mehr als die Hälfte der Menschheit unter ihren politischen Fittichen wissen.
Natürlich sind auch deren Systeme zum Reißausnehmen. Dumm ist dann nur, dass es sich zum Beispiel indische, chinesische oder arabische Milliardäre zukünftig zweimal überlegen werden, im Westen einen Hafen anzusteuern. Die russischen Kollegen könnten ihnen erzählt haben, wie schnell dort sicher geglaubte Eigentumsrechte verlustig gehen können.
Zur Erinnerung: Schon einmal war bekanntlich die Welt zweigeteilt zwischen West und Ost, zwischen Nato und Warschauer Pakt. Doch es gab auch so etwas wie eine dritte Partei in der Zeit des Kalten Krieges, die „Bewegung der blockfreien Staaten“. Angeführt wurden sie damals von Ägypten, China (inoffiziell, da die Volksrepublik offiziell nicht beigetreten war), Indien und Indonesien. Mitglieder waren auch Afghanistan, Algerien, Bahrein, Bangladesch, Iran, Kambodscha, Mongolei, Nepal, Nigeria, Pakistan, Simbabwe, Südafrika, Sri Lanka, Sudan, Syrien, Venezuela und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Fällt Ihnen etwas auf? Das sind allesamt – teilweise sehr große, einflussreiche und wirtschaftsstarke – Staaten, die jetzt an der Seite Russlands stehen oder dorthin drängen! Wie konnte das nur geschehen? Wollten deren Führer etwa nicht fürs Klima hüpfen und partout keine Toiletten fürs neunte Geschlecht anfertigen lassen? Hatten sie etwa genug von den scheinheiligen Inszenierungen ultragerechter Kriege der Doppelplusguten gegen die Ausgeburten des Teufels, wenn mal wieder ein Stellvertreterkrieg um schnöde Ressourcen und Einflusssphären irgendwo ausbricht? Oder schlicht vom Bezahlen in einer immer weiter inflationierten Weltleitwährung?
Doch auch wenn es den größten und wichtigsten Teil der ehemaligen Blockfreien in die neuen östlichen Allianzen zieht und auch wenn die Schweiz sich gerade aufmacht, ihre immerwährende, gegen Stalin oder Hitler stur aufrechterhaltene, aber gegen Putin angeblich nicht mehr zu wahrende Neutralität aufzugeben, so heißt das nicht, dass es die dritte Partei heute nicht mehr gibt oder dass ihre neutrale Position gerade heute nicht attraktiv sein könnte.
Eher im Gegenteil – gesellt sich doch rund um Singapur als die neue Schweiz ein Who is Who der wirtschaftsstarken Tiger in einer neuen, noch informellen blockfreien Allianz – Malaysia, die Philippinen, Thailand und Vietnam. Vielleicht eröffnen sich insbesondere dort, im fernen Südostasien, womöglich aber auch in sich mit dazugesellenden Blockfreien-Kandidatenländern wie Chile, Costa Rica, Georgien, Honduras, Israel, Mauritius, Namibia oder Paraguay so einige Möglichkeiten und Räume für jene Freiheitssucher, die aus westlichen Ländern gerade in Scharen davonlaufen. Denn wer möchte wirklich in China, Russland oder im Iran landen? Dann doch lieber Castrop-Rauxel.
Zurück zu eingangs erwähnter Nachricht aus Riad. Sie meinen, das alles sei übertrieben? Und im Übrigen hätten Sie von der saudischen Verlautbarung so konkret auch noch nie gehört? Außerdem könne der Russe ja einfach gelogen haben? Lügen die Russen nicht ohnehin immer?
Nun, sollte ein Botschafter das tun, über die Intentionen der Staatsführung des Gastgeberlandes also dreist die Öffentlichkeit belügen, so würde er schnell herbeizitiert oder gar des Landes verwiesen werden. Und ja, die Meldung wurde von der gesamten westlichen Presse verschwiegen. Auf Deutsch findet sie nur, wer sucht, beim bereits vor Kriegsbeginn in der Ukraine im ehemals freien Westen indizierten Sender RT. Doch nur weil im Westen inzwischen konkurrierende Informationen unterdrückt werden auf eine Art, wie es früher in der Sowjetunion betrieben wurde, heißt das nicht, dass Änderungen nicht stattfinden und die Welt sich anderswo nicht weiterentwickelt.
Chinas Präsident Xi Jinping jedenfalls wurde in Saudi-Arabien bei einem dreitägigen Staatsbesuch im Dezember auffallend begeistert empfangen, wesentlich freundlicher als US-Präsident Biden im Sommer als langjähriger Verbündeter. Der Unterschied war derart augenfällig, dass es sogar der hiesigen Presse auffiel. Und nebenbei: Peking bezahlt das Öl aus Saudi-Arabien seither mit chinesischen Yuan, nicht mehr in US-Dollar.
Der Westen muss schon verdammt viel falsch gemacht haben, wenn nicht nur traditionell einander höchst misstrauische Dauerkonkurrenten wie China und Russland zwangsläufig längst zusammengefunden haben, sondern nun auch ein komplexes Erzfeinde-Dreigestirn wie Saudi-Arabien, die Türkei und der Iran demnächst womöglich im selben Bündnis gegen den Westen Seit an Seit steht.
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