17. Februar 2023

Mittelgradige Publikationsschelte Haarscharf vorbei am Zeitungsdesaster

Laienkritik bei Rechtsfragen im Fall der mRNA-Präparate

von Carlos A. Gebauer

Die Aufarbeitung der „Corona-Pandemie“ scheint ähnlichen Problemen zu begegnen wie das seinerzeitige Erfassen und Abschätzen der realen Gefahr selbst. Auch drei Jahre nach Ausrufung der globalen Ausnahmeepidemie sehen sich Redaktionen angesehener Zeitschriften immer wieder Kritikern gegenüber, die – obzwar mit dem Gestus exzellenten Fachwissens auftretend – brachialen methodischen Fehlvorstellungen aufsitzen.

Einer dieser Fälle ereignete sich jüngst im Hause der „Berliner Zeitung“. Das Blatt hatte sieben hochqualifizierten Juristen am 10. Februar 2023 die Gelegenheit gegeben, zur Frage der Zulassung von „Corona-Impfarzneien“ in der Gestalt von mRNA-Injektionen fachlich Stellung zu beziehen. Dies taten die Rechtsprofessoren und Rechtsanwälte staubtrocken, substantiiert und ordentlich abgesichert unter der Überschrift „Das Zulassungsdesaster: Lobbyarbeit und Rechtsbruch im Fall der mRNA-Präparate?“. Wenige Stunden nach der Publikation des Gastbeitrages meldete sich nach Redaktionsangaben daraufhin ein Leser und artikulierte offenbar so heftig seine Kritik an dem Text, dass das Blatt ihn erst einmal wieder von der Seite nahm. Inzwischen ist eine erneute Veröffentlichung avisiert. Ein wirkliches Zeitungsdesaster wird sich daher dankenswerterweise vermeiden lassen. Die bisweilen schon totgesagte Pressefreiheit scheint also doch noch Verteidiger zu haben.

Gesamthaft ist dieser vorläufig schreckhaften Reaktion der „Berliner Zeitung“ immerhin zu verdanken, dass der Vorgang der vielbeachteten Republikation nach Depublikation dem eigentlichen Thema selbst weit mehr Öffentlichkeit verschaffte, als es der Text ohne die insuffiziente Intervention eines Kritikers alleine vermocht hätte. An unzähligen Stellen der sozialen Netzwerke wurde der Vorgang thematisiert und auf die „Wayback Machine“ verwiesen, wo der Ursprungstext der Nachwelt unverändert erhalten ist. Vielleicht hat die „Berliner Zeitung“ diesen Aufmerksamkeits-Booster auch bewusst eingesetzt?

So oder so: Den Ausgangspunkt der Kritik bildet augenscheinlich auch hier ein methodisch-juristischer Gesichtspunkt, den es einmal näher zu beleuchten gilt. In den Debatten rund um die Gabe von mRNA-Impfarzneien ist in jüngerer Vergangenheit tatsächlich wiederholt darüber gestritten worden, ob es sich bei den neuen legendären mRNA-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten um Gentherapeutika im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG handele oder nicht. Im Zentrum dieses Streites steht dabei stets ein zentraler Satz aus dem Anhang I, Teil IV, Ziffer 2.1 dieser Richtlinie, in dem es heißt: „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika.“

Juristischen Laien fällt es oftmals schwer, diesen Satz in seiner Bedeutung zu erfassen. Das fordert eine erläuternde Klarstellung: Rechtsnormen sind – allgemein gesprochen – Wenn-dann-Verknüpfungen, die einer als Tatbestand umschriebenen Voraussetzungsseite eine als Rechtsfolge angeordnete Sach- oder Rechtslage zuordnen. Definiert der Normgeber daher einzelne Merkmale seines Tatbestandes, hat er zu prüfen, ob er im Ergebnis wirklich allen (und nur diesen) von seiner begrifflichen Beschreibung auf der Voraussetzungsseite erfassten Umständen die in seiner Norm angeordnete Rechtsfolge zukommen lassen möchte. Entscheidet er, einzelne dieser Umstände aus der Norm auszunehmen oder aber – gegenläufig – weitere hinzuzufügen, formuliert er entsprechend begrenzende oder erweiternde Tatbestände.

Für die Formulierung solcher Ausnahme- oder Ergänzungstatbestände steht einem Normgeber ein breites Instrumentarium etablierter juristischer Methoden zur Verfügung. Eines dieser Instrumente ist die sogenannte „Fiktion“. Der Normgeber ist sich in diesem Fall bewusst, ein „als ob“ anzuordnen. Einfach und allgemein gut verständlich ist hier das Beispiel zur Erbfähigkeit nach Paragraph 1923 Absatz 2 BGB: Während nach Absatz 1 dieser Norm nur Erbe werden kann, wer schon geboren – das heißt rechtsfähig im Sinne des Paragraphen 1 BGB – ist, erweitert Absatz 2 diesen Personenkreis um den noch nicht geborenen, sondern erst gezeugten Menschen: Der „gilt“ nun als erbfähig (das heißt, „als ob“ er schon geboren wäre), obwohl er die Voraussetzungen des Absatzes 1 faktisch noch nicht erfüllt.

In der Richtlinie 2001/83/EG ist der Normgeber methodisch denselben Weg gegangen, nur in gegenläufiger Richtung: Aus seiner Sicht fielen die dort erfassten „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ offenbar unter seine zuvor formulierte eigene Definition der „Gentherapeutika“. Da er aber jenen Impfstoffen nicht auch dieselben Rechtsfolgen zuordnen wollte, die er den Gentherapeutika im Übrigen zugedacht hatte, sah er folglich die regulatorische Notwenigkeit, sie aus seiner eigenen Definition herauszunehmen. Anstelle der naheliegenden (und handwerklich für derartige Fiktionen eher üblichen) Formulierung „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten gelten nicht als Gentherapeutika in diesem Sinne“ entschied er sich für die abweichende, dennoch aber inhaltsgleiche Formulierung: „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika“.

Trotz dieser Gestalt der Formulierung bleibt es in der Sache gleichwohl dabei, dass es sich hier – erstens – um eine bloße normative Fiktion handelt. Denn ein Normgeber kann nur normative Begriffe nach seinem eigenen Willen konturieren. Das tatsächliche Ändern der empirischen Realität durch verbale Zuschreibungen gehört nicht zu seinen legislatorischen Chancen. Aus der Tatsache, dass der Regelgeber – zweitens – eine solche normative Ausgrenzung der „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ aus dem Bereich der „Gentherapeutika“ (weil im Normtext selbst dokumentiert) offenkundig vorgenommen hat, folgt zwangsläufig, warum er dies selbst für nötig erachtet hat: Sein eigenes fachliches Verständnis war, dass derartige Impfstoffe Gentherapeutika und auch als solche zu behandeln seien, würde er nicht seinerseits den Normanwendungsbereich gegen deren Einbeziehung restringieren. Anders gesagt: Durch die nur fiktive Ausgrenzung dieser Impfstoffe aus dem regulären Anwendungsbereich der Norm ändert sich ihre reale Beschaffenheit naturgemäß nicht. Wollte man derartige Änderungen der Realität durch das Formulieren von Regelwerken für möglich erachten, müsste man beispielsweise auch mittelgradige Intelligenzminderungen dadurch aus der Welt schaffen können, dass man nur den Schlüssel-Code F.71 aus dem Diagnoseverzeichnis der ICD-10 streicht. Auf so eine Idee kämen aber wohl allenfalls einschlägig Betroffene selbst.

Zusammenfassend: Die in dem Anhang I, Teil IV, Ziffer 2.1  der Richtlinie 2001/83/EG beschriebenen „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ waren nach alledem in der eigenen fachlichen Einschätzung der historischen Normgeber faktisch „Gentherapeutika“ im Sinne der von ihnen zuvor selbst konturierten Norm. Einzig der normative Anwendungsbereich der Regeln über Gentherapeutika wurde von ihnen in diesem Arbeitsbereich – entgegen der auch von ihnen für einschlägig befundenen tatsächlichen Lage – kraft gesetzgeberischen Willens fiktiv eingegrenzt. Doch nicht nur der historische Normgeber, sondern insbesondere auch die ihm nun zeitlich nachfolgenden Normanwender bestätigen bei ihrem Zulassungshandeln genau dieses begriffliche Verständnis. Denn sie berufen sich explizit auf die Ausnahmevorschrift. Stellten heutige mRNA-Therapeutika etwas qualitativ ganz anderes dar als die schon ursprünglich normierten Gentherapeutika, wäre jeder Verweis auf die Fiktion der Nichtgeltung überflüssig. In der rechtfertigenden Berufung auf die Ausnahme selbst liegt also das tatsächliche Zugeständnis des Grundsatzes.

Medizinrechtlich führt all dies übrigens mittelbar zu der Frage, wie man Patienten nach Maßgabe des Paragraphen 630e BGB überhaupt zureichend aufklären könnte, wenn eine aus den regulären Erprobungsstandards ausgenommene mRNA-Impfarznei zum Zeitpunkt ihrer Gabe in ihrer Wirkweise noch so unbekannt ist, dass selbst der Hersteller ihren Verkauf davon abhängig macht, von aller rechtlichen Verantwortung für sie staatlicherseits freigestellt zu werden. Üblicherweise begegnet die abschließende Aufklärung eines Unwissenden über liegende Achten schon ganz prinzipiell systematischen Problemen. Wird aber ein so außergewöhnliches Arzneimittel zusätzlich auch noch ohne eine spezifizierende Kennzeichnung und erläuternde Packungsbeilage des Herstellers in den Verkehr gebracht (wie dies die „Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ vom 25. Mai 2020 gestattet), gerät die gesetzlich zwingend gebotene rechtzeitige Aufklärung des Patienten durch den Arzt über „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie einschließlich der weiteren Aufklärung über Alternativen zur Maßnahme, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“, zu einer besonders pikanten Aufgabe. Je weniger der Hersteller, die Zulassungsbehörden und die verabreichenden Ärzte über eine Arznei wissen, desto höher ist die Hürde für eine – dann auch formgerecht dokumentierte – Aufklärung des Patienten. Grobe Fehler sind hier wohl vorprogrammiert, mit den dann wieder daraus folgenden Konsequenzen. Wortkarg bleiben ist also kein guter Rat. Für Ärzte nicht. Und nicht für Zeitungen. Transparenz kann Leben retten.

Nachtrag: In der Zwischenzeit sind nun Text und Gegenrede in der „Berliner Zeitung“ online verfügbar.


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