21. Februar 2023 07:00

Schützenhilfe durch: Konstantin Kisin Die Feier der freien Rede

Jedes Wort in Stein zu meißeln

von David Andres

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Seine Rede bei der Oxford Union, einer seit 1823 bestehenden Debattiergesellschaft, ging auf eine ganz besondere Weise viral. Nicht allein haben bislang knapp 1,2 Millionen Menschen sie auf YouTube gesehen, ich darf aus persönlichen Rückmeldungen meiner eigenen zahllosen Weiterleitungen dieser Rede schließen, dass die meisten davon sie auch komplett gesehen haben – und viele sogar mehrfach, da man sich jedes Wort delikat auf der Zunge zergehen lassen kann.

Für die ihm zustehenden neun Minuten lässt Konstantin Kisin sich, wie er zu Beginn sagt, „einmal“ auf die Annahmen der Klimapaniker und der woken Generation ein, um sie dann von diesem gleichen Grund aus zu zerlegen. Er erläutert, wie die energetische Zukunft des Planeten „von den armen Leuten in Asien und Lateinamerika“ entschieden werden wird, die sich heute ihren Wohlstand erst aufbauen und die „sich nicht darum scheren, den Planeten zu retten“, weil sie „eben arm sind“. Er fragt die Selbstgerechten der heutigen Zeit, ob auch nur irgendeiner von ihnen sein heimisches Badezimmer wieder zurücktauschen würde gegen das eiskalte Plumpsklo im Hinterhof, wie es heute noch für viele Russen üblich sei. Kisin selbst ist russischer Abstammung, 1982 in Moskau geboren. In rhetorischer wie argumentativer Perfektion nimmt er die gesamte Heuchelei der Woken hops und stellt das Leben wieder auf seine echten Füße.

Über sein eigenes Vaterglück bezüglich seines kleinen Sohnes lenkt er die Rede zu einem Höhepunkt, wie er schöner und überzeugender nicht sein könnte: „Er ist dieses niedliche Bündel der Freude, süßer als achtzig Prozent der Welpen. Wenn Sie jetzt zu mir sagen würden, dass ich die Wahl hätte. Entweder hat mein Sohn ein ernsthaftes Risiko zu verhungern oder im Verlauf des kommenden Jahres an einer vermeidbaren Krankheit zu sterben oder ich drücke einen Knopf und er würde leben, zur Schule gehen, seine erste Freundin nach Hause bringen, zur Uni gehen, einen Abschluss machen und ein woker Idiot werden, einen Job bekommen, heiraten, selber Kinder kriegen und ein Mann werden. Und alles, was ich zu tun habe, ist diesen Knopf zu drücken – und für jeden Tag des Lebens meines Sohnes wird ein riesiger Batzen CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. – Sie sind alle noch sehr jung und keine Eltern, aber lassen Sie mich etwas sagen – es gibt kein einziges Elternteil in der Welt, das diesen Knopf nicht dermaßen hart drücken würde, dass die Hand blutet.“

Mit obigem rhetorischen Höhepunkt spricht Kisin aus, worum es beim Menschsein geht, und betont, ohne es auszusprechen, die Unmenschlichkeit jener Ideologen, welche das Kinderkriegen am liebsten als klimaschädlich untersagen wollen. Sogar die Biografie des chinesischen Xi Jinping streift er, dessen Eltern vom Mao-Regime umgebracht wurden, dessen ganzer Ehrgeiz und Überlebenswille sich aus diesem Trauma speist und der daher wisse, dass nur eines ihn unangetastet an der Macht halten wird – steigender Wohlstand für sein Volk. Kisin ist Realist, antimarxistischer Materialist und in allen Kontexten ein lautstarker Vertreter jener westlichen Werte, die der Westen seit Jahrzehnten verrät und abbaut, vor allem die ungebremst freie Rede. 2018 weigerte er sich, eine „Verhaltensvereinbarung“ seiner Universität zu unterzeichnen, die de facto alle Witze über Religion und Atheismus verbot. Kisin selbst ist jüdischer Herkunft. Er beklagt, wie Erwachsene heute vor den Kindern kuschen, verteilt brillant formulierte Schellen gegen die „Cancel Culture“ und erklärt so geduldig wie interessant die russische Psyche und die Gründe dafür, wieso sein Heimatvolk sich wahrscheinlich „niemals“ gegen Putin wenden wird.

Seine „testweise“ Übernahme der Annahmen der woken Generation in der berühmt gewordenen Rede war gar nicht so testweise, wie es scheint. Selbst bei Tucker Carlson auf Fox unterstreicht Kisin, dass die Welt durchaus „junge Leute braucht“, die Lösungen für die Zukunft finden, aber eben nicht dadurch, sich plärrend und narzisstisch zum Opfer zu machen, sondern dadurch, zu arbeiten und etwas aufzubauen. „Das Einzige, was Wokeness zu bieten hat“, schließt er seine Oxford-Rede, „ist, junge, helle Köpfchen wie euch dahingehend gehirnzuwaschen, dass ihr ernsthaft glaubt, Opfer zu sein, (…) zu glauben, dass das, was ihr tun müsst, um die Welt zu verbessern, darin besteht, euch zu beschweren, zu protestieren und Suppe auf Gemälde zu werfen.“

In einem Gespräch mit John Anderson offenbart Kisin, dass in Großbritannien im vergangenen Jahr 2.900 Personen mehr für ihre Äußerungen in den sozialen Medien verhaftet und angeklagt wurden als in Russland. Am Tage, an dem ich diesen Text verfasse, verteidigt er auf Twitter Joe Rogan als Jude gegen Antisemitismus-Vorwürfe.

Konstantin Kisin ist die erste Person, die ich gewählt habe, um meine bisherige Rubrik „Personalprüfung“ in die Rubrik „Schützenhilfe“ umzuwandeln. Wo bislang also auch viele Charaktere porträtiert wurden, über die wir uns als freiheitlich denkende Menschen furchtbar ärgern, soll ab sofort zweiwöchentlich nur noch der Mehrwert für Sie erzeugt werden, jemanden kennenzulernen, der „unserer“ Sache im weitesten Sinne durch seine Arbeit den Rücken stärkt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen in dieser Woche erst einmal viel grimmige Freude und erbauliche Katharsis beim Entdecken des rhetorischen Kosmos des Konstantin.

Quellen:

Konstantin Kisin | This House Believes Woke Culture Has Gone Too Far –  7/8 (Oxford Union) (YouTube)

Why Russians Will Never Turn on Putin (Fair Perspectives) (YouTube)

Konstantin Kisin: We live in a society in which adults are afraid of children (Tucker Carlson Tonight / Fox News) (YouTube)

Arrested for a social media post (John Anderson) (YouTube)

Webseite von Konstantin Kisin


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