05. August 2025 11:00

Top Spin: Zitat der Woche „…als er noch Experte war…“

Tilo Jungs vielsagender Seitenhieb gegen Michael Lüders

von David Andres drucken

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Bildquelle: Shutterstock Wenn Expertise zur Meinungssache wird: Unterschwellige Grenzen der Toleranz im deutschen Podcast-Diskurs?

Wie ein Podcaster das Denken der „Unsere Demokratie©“-Fraktion offenbart.

Zwei Podcasts in Deutschland folgen dem Ansatz des weltweit erfolgreichsten Netz-Talkers Joe Rogan, sind von der Ausrichtung her allerdings völlig verschieden. Das eine Format namens „{ungeskriptet} – Gespräche, die dich weiter bringen“ lebt tatsächlich von radikaler Freiheit in der Einladungspolitik seiner Gäste. Ben Berndt gibt Charakteren Raum, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten und dürfte dabei auch regelmäßig den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes ein paar lehrreiche Stunden bescheren. Die beiden wohl bedeutsamsten Islam-Influencer deutscher Herkunft – Marcek Krass und Pierre Vogel – waren bei ihm ebenso zu Gast wie ein Eugen Drewermann, der den radikalen Pazifismus aus der christlichen Lehre ableitet, und direkt beim nächsten Mal ein Otto Bulletproof, der seine Soldatengeschichten erzählt. Sogar Erik Ahrens ließ Ben Berndt bei sich sprechen und konnte die Folge mit der Überschrift betiteln: „Selbst für Naz*s zu rechts.“

Tilo Jung pflegte zu Beginn seiner Laufbahn mit seinem Format „Jung & Naiv“ eine vergleichbare Offenheit. Seine Gespräche mit Ken Jebsen (heute wieder unter seinem echten Namen Kayvan Soufi-Siavash unterwegs) waren legendär. Heute darf man Jung durchaus als geschickten Surfer entlang der Winde des offiziellen Leitzeitgeistes bezeichnen. Anders als der dort rausgeekelte Boris Reitschuster sitzt er weiterhin in der Bundespressekonferenz. In seiner aktuellen Folge hat er den Nahostexperten Daniel Gerlach zu Gast, Mitherausgeber und Chefredakteur des Magazins „Zenith“, einer Pflichtlektüre für Ostasienwissenschaftler und gewissenhafte Journalisten, die alle Seiten der fernen Medaille betrachten wollen. Augenzwinkernd berichtet Gerlach, er und seine Leute hätten das Magazin damals auch gegründet, um Peter Scholl-Latour mit seinem Meinungsmonopol auf Nahost-Themen eins auszuwischen. Später freundete sich Gerlach mit dem damals bereits über 40 Jahre älteren Scholl-Latour sogar kurz an, der qualifizierte Widerrede wohl immer zu schätzen wusste.

Das Zitat der Woche lässt nun Tilo Jung recht zu Beginn des Gesprächs ganz beiläufig fallen. In Bezug auf den inoffiziellen Nachfolger Scholl-Latours im Geiste – Michael Lüders – verteilt er die Spitze: „… als er noch Experte war…“

Diese fiese Bemerkung halte ich für so sprechend und bedeutsam, dass sie eine Folge dieser Kolumne verdient, zeigt sie doch genau auf, wie Menschen wie Tilo Jung denken. Ein Fachmann, der nicht länger ihrer Auffassung ist, gilt für sie nicht als Fachmann mit anderer Auffassung, sondern als gar kein Fachmann mehr. Exakt die gleiche Logik, nach der in der Politik eine Partei, ihre Wähler und ein ganzes Feld von Auffassungen nicht als andere Sichtweise in der Demokratie gelten, sondern als Verbrechen außerhalb der Demokratie, welche sich alle Parteien abseits der AfD als „Unsere Demokratie©“ patentiert haben.

Man muss die Schlussfolgerungen von Michael Lüders über das Geschehen in der Welt nicht teilen und durch seine Mitgliedschaft beim BSW ist er auch im wörtlichen Sinne „parteiisch“ geworden. Dennoch wird seine Fachkenntnis dadurch unterstrichen, dass er trotz extrem tabubrechender Haltungen zu den Themenbereichen Israel-Gaza sowie Ukraine-Russland gelegentlich immer noch als O-Ton-Geber im regulären Fernsehen zugeschaltet wird – und vor allem dadurch, dass seine Bestseller wie aktuell „Krieg ohne Ende?“ mitten im fettesten Verlags-Mainstream erscheinen. Sein Haus heißt Goldmann, eine tragende Säule der „Random House“-Gruppe. Aber so sind sie, die Rockzipfelzupfer des Systems wie Tilo Jung, für die in der vergangenen Corona-Zeit auch alle kritischen Mediziner, die sie wenige Monate zuvor noch eingeladen hätten, plötzlich keine kritischen Mediziner mehr waren, sondern sich auf magische Weise in Scharlatene verwandelt hatten.

Interessant ist allerdings, dass ein Mann aus der politischen Schmuddelecke weit jenseits der Brandmauer und „Unserer Demokratie©“ sowohl bei Ben Bendt als auch bei Tilo Jung rekordlang Zeit erhielt, seine Auffassungen auszubreiten: Maximilian Krah. Während seine vier Stunden und 38 Minuten bei  „{ungeskriptet}“noch im äußersten Rahmen dessen lagen, was dieser Podcast häufig betreibt, sorgte sein Auftritt bei „Jung & Naiv“ allein deshalb für enorme Aufmerksamkeit, weil Tilo Jung mit ihm absurd lange sechs Stunden und 27 Minuten sprach. Da fragt man sich schon. Wieso? Jung weiß doch, dass allein Krahs Auftritt selbst immer schon PR für ihn darstellt, ein solcher Rekord aber erst recht. Kann es Zufall sein, dass Krah nicht viel später – zum Entsetzen der rechten Szene – seine Haltung zur „Remigration“ änderte und sogar in einen offenen Austausch mit einer führenden Figur von Correctiv getreten ist? Dies wäre Stoff für eine gepflegte Verschwörungstheorie an anderer Stelle…

Quellen:

Jung & Naiv #775: Daniel Gerlach (Spotify)

Jung & Naiv #701: Maximilian Krah (Spotify)

{ungeskriptet}Podcast generell (Spotify)


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