26. Februar 2023 19:00

Taiwan – Teil 2 Ein Stachel in Chinas Flanke

Die „Schöne Insel“ produziert mehr als 92 Prozent der weltweit fortschrittlichsten Computerchips

von Stephan Unruh

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Sicher, für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ist alleine die Existenz der Republik China aka Taiwan ein ständiger Stachel im Fleisch und die Erinnerung daran, dass der Bürgerkrieg eben (noch) nicht vollständig gewonnen wurde. Aber andererseits würden alleine deshalb die kommunistischen Blutsäufer keinen verlustreichen Krieg in Kauf nehmen, zumal dessen Ausgang ungewiss wäre.

Denn nüchtern betrachtet, ist der Stachel allerhöchstens ein kleiner Spreißel: Die Propaganda-Kanäle Taipehs feuern zwar aus allen Rohren, aber an den meisten Chinesen prallt diese komplett ab. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung des Festlands vertraut der KPCh und hält Nachrichten von „draußen“ zumeist für glatte Lügen, sofern besagte Nachrichten sie überhaupt erreichen. Und wer könnte es ihnen verdenken? In den letzten 40 Jahren (bis Covid) hat nahezu jeder Chinese eine unglaubliche Verbesserung der Lebensverhältnisse erlebt. Davon abgesehen, legen die allermeisten Staaten einen realpolitischen Pragmatismus an den Tag. Man akzeptiert die Ein-China-Doktrin, die beide Staaten gleichermaßen vertreten, und sieht aufgrund der Größen- und Bevölkerungsverhältnisse die Volksrepublik als den Vertreter Chinas. Außer dem Vatikan unterhalten gerade einmal zwölf Staaten diplomatische Beziehungen zur Republik China. Der bedeutendste davon ist Paraguay, der Rest sind Schwergewichte wie Palau oder Nauru.

Aus dieser Perspektive bräuchte die Volksrepublik sich also nicht sorgen. Auch militärisch ist Taiwan selbst keine Gefahr. Zwar ist das taiwanesische Militär stark, insbesondere Flotte und Luftwaffe sind modern ausgerüstet und hochmotiviert, aber eine Invasion des Festlandes von Taiwan ausgehend findet allerhöchstens in literarischen Phantasien statt. Allerdings – und damit sind wir beim ersten Punkt – steht Taiwan eben doch nicht so alleine dar. Insbesondere die USA und Japan sind extrem wichtige Verbündete, die die Insel zwar offiziell nicht anerkennen, was sie aber nicht daran hindert, militärisches Gerät, Know-how und Aufklärung en masse zu liefern. Im Prinzip verfügen die USA so, ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg mit Großbritannien, über einen unsinkbaren Flugzeugträger direkt vor der chinesischen Küste. Da es sowohl in Peking als auch in Washington hinreichend viele Menschen gibt, die von einem unabwendbaren militärischen Konflikt zwischen China und den USA ausgehen (Stichwort: Thukydides-Falle), darf es nicht weiter verwundern, dass in Peking ernsthaft darüber nachgedacht wird, wie sich dieser „Flugzeugträger“ eben doch versenken oder zumindest kapern ließe.

Aber selbst wenn sich auf beiden Seiten echte Staatsmänner fänden, denen es dank ihrer moralischen und intellektuellen Einsichten gelänge, aus der Thukydides-Falle zu entkommen, wäre das Problem für China damit keinesfalls gelöst. Denn ein Blick auf die Geographie zeigt, dass China keinerlei freien Zugang zum offenen Meer besitzt. Die gesamte Küstenlinie Chinas wird von Inselgruppen abgeschirmt. Im Norden beziehungsweise Nordosten ist das der japanische Archipel – daher beispielsweise auch das ständige Gezänk um die unbewohnten Senkaku-Inseln, die etwa 170 Kilometer nordöstlich von Taiwans Nordspitze entfernt liegen. Im Süden ist es der philippinische Archipel, der Südchina und das Südchinesische Meer auf einer Länge von über 2.000 Kilometern vom offenen Meer trennt. In der Mitte dieser beiden Inselperlenketten liegt Taiwan. Würde China Taiwan kontrollieren, wäre der Rest kein Problem. So aber können die USA, die mit den Philippinen, Japan und Taiwan verbündet sind, Chinas Handelsströme quasi jederzeit stoppen: Aktuell laufen 40 Prozent des Welthandels durch das Südchinesische Meer und 80 Prozent seines Rohöls bezieht China über diese Handelsroute. Eine US-Flugzeugträgergruppe in der Straße von Singapur, über 2.000 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt, reichte aus, damit China nicht nur öltechnisch auf dem Trockenen säße, sondern wäre auch von seinen wichtigsten Absatzmärkten in Asien, Afrika und Europa abgeschnitten wäre. Die Japaner befanden sich vor Pearl Harbour in einer ähnlichen Situation.

Abseits dieser konkreten militärisch-geostrategischen Überlegungen ist ein weiterer Faktor vermutlich noch viel entscheidender: Taiwan verfügt zwar kaum über nennenswerte natürliche Rohstoffe, aber ist die Quelle eines der wichtigsten Rohstoffe der Moderne überhaupt – die Rede ist von Computerchips. Rund zwei Drittel aller weltweit gefertigten Computerchips stammen aus Taiwan. Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist aktuell vermutlich die wichtigste Firma der Welt. Über 50 Prozent aller weltweit gefertigten Chips stammen aus den Foundries der Taiwanesen. Vor allem im Bereich der Hochleistungschips ist TSMC unangefochten. In diesem Jahr wird in Hsinchu im Nordosten der Insel die kommerzielle Produktionslinie für Chips mit Drei-Nanometer-Prozesstechnologie starten. Zum Vergleich: Die Chinesen beherrschen sicher die Technologie zur Produktion von 14 Nanometern, schaffen aber mit extrem viel Aufwand, hohen Kosten und gewaltigem Ausschuss sieben bis acht Nanometer. Die Konkurrenz von TSMC, in erster Linie Samsung und Intel, schaffen sieben Nanometer, fünf Nanometer befindet sich in der Testphase. Sprich, die Konkurrenz liegt Jahre hinter TSMC.

Gerade Peking musste jüngst eingestehen, dass die vielen, vielen Milliarden US-Dollar (hinter vorgehaltener Hand spricht man von über zwei Billionen US-dollar), die China seit etwa 2010 in die Industrie pumpt, nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht haben. Geld alleine bringt hier wenig, das Know-how ist extrem wichtig, und die Prozesse stabil zu halten, ist wahnsinnig schwierig. Mit dem immer härteren Sanktionsregime der USA gegen China, die das Land quasi vollständig vom Zugriff auf Hochleistungschips selbst, aber auch von den Möglichkeiten, dieses Know-how zu entwickeln, abschneidet, könnte Peking irgendwann die Situation versetzen, in der man es für attraktiv genug hält, sich Chips und Know-how, die ja vor der Haustür liegen, einfach zu holen: Sowjets und US-Amerikaner haben ja diesbezüglich bereits mit den Operationen „Ossoawiachim „und „Paperclip“ historische Vorlagen geliefert.


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