Die neue Mobilmachung: Politik und Gewissen sind unvereinbar
Die Kriegsdienstverweigerer „aus Gewissensgründen“ an der Macht
von Christian Paulwitz drucken
Um es gleich zu Beginn klarzustellen: ich bin kein Pazifist. Der Pazifismus lehnt jede Form der Gewalt in der Auseinandersetzung ab, also nicht nur initiierende, sondern auch abwehrende Gewalt. Er nimmt damit einem angegriffenen Opfer sein ethisches Recht, sich notfalls so zu wehren, dass es den Aggressor verletzt oder notfalls gar tötet. Eine solche Philosophie ist gegen die Opfer initiierender Aggression gerichtet, stärkt potentielle Aggressoren, nützt allen Formen auch des physisch gewaltsamen Herrschaftsanspruchs über Menschen und ist daher ethisch zutiefst verabscheuungswürdig und menschenverachtend, ähnlich wie der Altruismus – siehe hierzu meinen Beitrag vor drei Wochen hier auf diesem Portal über die Philosophie des Objektivismus von Ayn Rand.
Bis zur „Aussetzung“ unter der Regie des damaligen Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg im Jahr 2011 bestand in der Bundesrepublik Deutschland der Zwang gegen alle jungen Männer zur Leistung eines Grundwehrdienstes, genannt „allgemeine Wehrpflicht“. Ausgenommen waren Männer, die wegen Untauglichkeit ausgemustert wurden, sowie die dritten und weiteren Söhne einer Familie. Ferner konnte man sich als Angehöriger bestimmter Berufsgruppen wie der Polizei von der „Wehrpflicht“ befreien lassen oder als ehrenamtlich Engagierter bei der Feuerwehr oder im Katastrophenschutz. Dazu gab es den Weg, sich wegen Ausbildung, Studium oder aus anderen Gründen zurückstellen zu lassen und darauf zu hoffen, später nicht mehr einberufen zu werden. Schließlich gab es die Möglichkeit, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, um jedoch stattdessen einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Gegen Ende der 80er Jahre wurde Letzteres eher zur Regel denn zur Ausnahme. Die Verweigerung des Dienstes an der Waffe war zu Beginn nur für Grundsatzpazifisten gedacht. Voraussetzung für die Anerkennung der Verweigerung war und ist eine Gewissenserklärung, die seit Mitte der 80er Jahre im Regelfall nur noch schriftlich einzureichen ist und amtsseitig entschieden wird.
Die Verweigerung des Kriegsdienstes aus ethischen Gründen, weil er der Grundsatzüberzeugung widerspricht, dass kein Mensch Eigentumsrechte über andere Menschen haben darf, ist natürlich staatlicherseits nicht vorgesehen. Sich der Zwangsarbeit zu entziehen, indem man bei der Gewissenserklärung etwas flunkert, halte ich für eine lässliche Sünde. Schöner mag es natürlich sein, wenn jemand einen konsistent geraden Weg geht und seine Überzeugungen auch nach außen durchzuziehen vermag, aber die Mittel zwischen Individuum und staatlicher Gewalt sind so ungleich verteilt, dass man dem Einzelnen nicht das Recht absprechen kann, ein wenig zu tricksen, wenn er sein Recht gegenüber einem Staat durchsetzen will, finde ich, jedenfalls so lange er dabei die Rechte anderer nicht verletzt.
Ich selbst habe die Sache damals nicht so differenziert gesehen und mich weder zum Wehrdienst gedrängt noch mich ihm entzogen. Der Unannehmlichkeit des Zwangs stand eine gewisse Neugier und jugendliche Unbefangenheit gegenüber, und so wurde ich wie viele andere zu damals 15 Monaten Grundwehrdienst eingezogen, die ich völlig unspektakulär absolvierte. Immerhin lernte ich als junger Mann, mit unterschiedlichen Ausführungen von Schusswaffen umzugehen, was ich als sinnvolle Erweiterung meiner Kenntnisse sah. Meiner Meinung nach sollte jeder in der Lage sein, sich vom Ladezustand einer unbekannten Handfeuerwaffe zu überzeugen, wenn er sie in die Hand nimmt, und sie anschließend in einen sicheren, entladenen Zustand bringen können. Dazu eine Anekdote aus meinem weiteren Bekanntenkreis, in dem ein Richter im Ruhestand verstorben und dessen Hausstand aufzulösen war. Da der alte Herr offenbar zeitlebens eine gewisse Sorge vor nächtlichem Besuch unzufriedener Kundschaft aus seiner früheren beruflichen Tätigkeit hatte, verwahrte er in seinem Nachttisch zur Beruhigung seines Nachtschlafs griffbereit eine fertig geladene Pistole, die dann beim Räumen des Hausstands gefunden wurde. – Es gibt eben besondere und im Grunde ganz harmlose Situationen, in die man unerwartet geraten kann und mit denen man dennoch angemessen umzugehen in der Lage sein muss. Für Unfälle mit Schusswaffen im Haus wegen unsachgemäßen Umgangs habe ich keinerlei Verständnis.
Doch ich schweife von meinem eigentlichen Thema ab. Wohl ins Bewusstsein gerückt angesichts eines neuen Films, ist derzeit ein Zitat von Erich Maria Remarque in den sozialen Netzen im Umlauf: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die nicht hingehen müssen.“ – Ich kannte dieses Zitat damals nicht, aber es spiegelt genau das unbehagliche Gefühl wider, das ich hatte, als die „Wehrpflicht“ ausgesetzt wurde. Die eigentliche Empfindung hätte sein sollen: Jede Zwangsarbeit ist Unrecht und jedes Zurückdrängen von Zwangsarbeit ist zu begrüßen. Doch hatte ich noch gut in Erinnerung, wie Deutschland sich gut 10 Jahre vorher unter einer rot-grünen Regierung sich pazifistisch gebender sozialistischer Parteien am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Serbien beteiligt hatte. Dem späteren Irakkrieg hat sich die Regierung unter Kanzler Schröder zur Pflege ihres Images nicht militärisch angeschlossen, hatte aber kein Problem damit, ihn zu einem guten Teil mit dem Geld geplünderter, deutscher Steuerzahler zu finanzieren. – Doch im Mainstream fand diese Doppelmoral wenig Kritik, und so blieb vor allem das Positive in der deutschen Bevölkerung hängen, nämlich dass deutsche Soldaten nicht in den Irakkrieg ziehen mussten, dessen Begründung, wie sich später – Überraschung! – herausstellte, von vorne bis hinten erstunken und erlogen war.
Offenbar hatte die Verweigerung der militärischen Beteiligung wenig mit Überzeugungen zu tun, was richtig und falsch sei, sondern mehr mit der Sorge, dass dieser Krieg eine andere Nummer war als die für die eigenen Kräfte relativ sichere Bombardierung des kleinen Serbiens mit einer überwältigenden Übermacht im Rücken aus der Luft. Verluste sind möglich, Särge mit toten deutschen Soldaten kämen wahrnehmbar nach Hause, und in einer Bevölkerung, die sich aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht über die Dienstzeit von Söhnen, Brüdern, Freunden und Verwandten mit dem Dienst eines Soldaten in weiten Teilen auseinandergesetzt hat und berührt war, kommen solche Bilder gar nicht gut an und kratzen am pazifistischen Image deutscher Regierungen. Die Plünderung der Staatsbürger auch zur Kriegsfinanzierung für andere ist dagegen kein Problem in einer Gesellschaft des totalitären Sozialstaats, in dem die Bevölkerung über viele Jahre darauf konditioniert wurde, es als selbstverständlich zu betrachten, andere durch Zwang für alles Mögliche bezahlen zu lassen, was der Staat und seine korrupten Eliten so beschließen.
Und gewiss ist die Sorge um die körperliche Unversehrtheit von Soldaten die geringste Sorge für eine politische Klasse, die den Soldaten, seinen Dienst und das Soldatische an sich aus tiefstem Inneren verachtet. – Das war mein Gedanke zur Aussetzung der Wehrpflicht: Sie war die Voraussetzung dafür, deutsche Soldaten in alle möglichen Konflikte in der Welt schicken zu können, da sich die Bevölkerung in der Breite nicht mehr mit ihnen identifizieren würde; sie hätten sich ja freiwillig gemeldet und gewusst, was dies für Konsequenzen haben kann. Selber schuld also. Wenn es fremde Interessen erfordern, denen man sich auf der internationalen Bühne als nationale, politische Klasse nicht versperren darf, wenn man bestehen will, dann schickt man eben ein Kontingent Landeskinder in deren Kriege auf aller Welt. Man hat das in Deutschland über Jahrhunderte so gemacht, das ist nun auch wirklich nichts Neues. Heute ist das dank Propaganda sogar mit relativ geringem, inneren Widerstand möglich.
So ist es fast schon ein Lichtblick, wenn ein Mann zum Verteidigungsminister berufen wird, der selbst eine gewisse Zeit als Grundwehrdienstleistender beim Militär war und sich in dieser Zeit mit der Situation als Soldat im Krieg psychisch auseinandergesetzt haben dürfte. Immerhin nach drei Vorgängerinnen, denen keinerlei Bezug zum Militärischen nachgesagt werden kann und man schon den Eindruck hatte, das weibliche Geschlecht sei die einzig wirkliche Voraussetzung, die als Voraussetzung für dieses Amt neben dem Parteibuch erwartet wird. Doch machen wir uns nichts vor. Die Personalie ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass man es mit Christine Lambrecht derartig ins Absurde übertrieben hatte und sogar dem gehorsamen, deutschen Wahlvolk wenigstens ein gewisses Mindestmaß an Authentizität zugestehen musste, um es sich nicht ganz zu verderben.
Neben Pistorius hat nur noch Finanzminister Christian Lindner eine Dienstzeit im Militär absolviert. Die entscheidenden männlichen Kabinettsmitglieder wie Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck, aber auch Marco Buschmann und Hubertus Heil haben hingegen den Kriegsdienst verweigert und Zivildienst geleistet. Sie haben also damals schriftlich in ihrem Antragsbrief eine Begründung abgegeben, warum ihnen der Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen nicht zuzumuten sei. Warum sie dennoch kein Problem damit haben, auf anderer Leute Kosten Waffen zu beschaffen, die sie Dritten zum Zwecke der Kriegsführung zugänglich machen würden, war ja nicht Gegenstand der Antragsbegründung. Wie man dies in ehrlicher Weise und logisch konsistent zusammenbringen könnte, entzieht sich meiner Vorstellung – aber gut, die Herren sind dann ja auch in die Politik gegangen. Ich hätte ja wie gesagt durchaus Verständnis, wenn man zur Abwehr eines Zwangsdienstes ein bisschen flunkert – aber dann muss man sich wenigstens mit den Zumutungen an andere entsprechend zurückhalten, sonst bleibt eben nur noch die bodenlose Heuchelei stehen.
Als charakteristisch für den Umgang deutscher Regierungspolitiker mit Fragen zu Krieg und Frieden steht Außenministerin Annalena Baerbock. In jeder fachlichen Hinsicht gänzlich kompetenzfrei liegt die wesentliche Fähigkeit zur Ausübung ihrer Rolle in der Präsentation von Schein und Symbolik. Laut einem Bericht des Focus sind da im Jahr allein 136 Tausend Euro für ihre Visagistin und den optischen Wartungsarbeiten an ihrer Person fällig. Das ist auch der Stil, in dem Außenpolitik mit Waffenlieferungen an die Ukraine gemacht wird. – Wichtig ist die Symbolik, sonst nichts. Über Wochen wird in den Medien über Panzerlieferungen – ja oder doch – hin- und herberichtet. Dass für deren Gebrauch in einem Krieg eine größere Menge Munition erforderlich wäre, diese jedoch kaum beschaffbar ist – wen interessiert’s? Die Panzerlieferungen wie auch alle anderen Waffenlieferungen dienen der Bindung Deutschlands an die Ziele der US-Politik (Nordstream? – Maul halten!) und der Vertiefung des Bruchs mit Russland. Um dieses zentrale Kriegsziel der USA abzusichern, muss der Krieg vor allem lange dauern. Dass deutsche Politiker dabei eifrig Symbolpolitik für die richtige Seite zu betreiben haben, ist klar – das ist ihre Rolle und zu etwas anderem taugen sie auch nicht.
Ein wenig wohler dabei wäre mir immerhin, wenn sich wenigstens jeder von ihnen mit der Perspektive eines Soldaten im Krieg intensiv auseinandergesetzt hätte. – Der allgemeine Zwang zum Kriegsdienst wie überhaupt jeder Zwangsdienst gehören abgeschafft – ausgenommen für Politiker gleich welchen Geschlechts, die eine Rolle in einer Regierung übernehmen wollen. Mindestens zwölf Monate, und zwar intensiv in einer Kampfeinheit und nicht beim Nachschub. Teilnahme an Wehrübungen in den unteren Rängen während der Regierungszeit. Das würde bereits einiges an dummem Geschwätz verhindern.
Kommentare
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