03. März 2023

Staatstheorie Die neue Lust auf Angst

Staatslegitimation der Gegenwart

von Carlos A. Gebauer

Nach dem Ende der kirchlichen Dominanz über die Staatslegitimation in Europa hatte bekanntlich ein wohlfahrtsstaatlicher Erklärungstopos mehr und mehr die Rolle der Akzeptanzregie übernommen. Ihn kann man in dem Imperativ an den Staatsbürger zusammenfassen: „Hilf mit, andere zu schützen!“ Auf diese Formel jedenfalls lassen sich alle vordergründig altruistischen Steuer-, Beitrags- und Gebührenzahlungspflichten verdichten. Jede „Förderpolitik“ – in deren Schatten, schamvoll verschwiegen, eine spiegelbildliche Behinderungspolitik verborgen ist – sonnt sich im Lichte dieses Hilf-andere-Schützens. Wer sich dem Aufruf verweigert, der gilt unmittelbar als sozial kalt, rücksichtslos und egoistisch. Indem nun der perfektionierte westliche Umverteilungsstaat mit seinen industriellen Ressourcen alle elementaren Lebensrisiken besiegt hatte, drohte ihm ein Rechtfertigungsvakuum. Interessanterweise füllt er diese Lücke nun mit zwei neuen Kardinalthemen: Klimaschutz hier und Pandemiebewältigung dort. 

Und siehe da: In beiden Fällen erscheint das altvertraute Schema: Hilf, andere zu schützen! Wer nicht an das Angstszenario glaubt, der definiert sich scheinbar schon alleine deswegen wieder als rücksichtslos. Hatte man vormals nicht gerade die Gottlosen geschmäht? Das Weltklima und eine Pan-Demie umfassen demnach nicht zufällig wieder das Alles. Wie weiland das Katholische. Man muss nur Angst verbreiten, dann kann man auch Machtpotenziale ernten.

Mir war bis zu dieser Corona-Geschichte nicht ansatzweise klar, welche Macht die Angst bis heute über die Menschen hat, mit denen ich diese Epoche teile. Angst war es, die die Menschen teilte in Virusfürchtige und Impffürchtige und Politikfürchtige. Angst ist es, die Menschen nur „hinter vorgehaltener Hand“ Wahrheiten aussprechen lässt. „Das kannst du wohl laut sagen“ gerät im Angstumfeld zur Unterstreichung der allgemein zulässigen Kritik. In die Sphäre des Verborgen-Zwielichtigen fallen jene Argumente, die zu äußern als unbotmäßig antizipiert wird.

So bohrt sich die Schweigespirale der Angst in die Seele der Gesellschaft. Diffuse Ängste lähmen, und der Freche, der Ignorante oder der Gewaltsame herrschen im Feld der Diskurse. Aus den leisen Tönen mag ein Sturm erwachsen, aber während des angststarrenden Säuselns trumpft das Dumme auf.

Kürzlich sprach wer von einem pandemischen „Angstporno“, an dem sich ein masochistisches Klientel ergötze. Vor wenigen Tagen erst ging ich durch ein Gericht in der Provinz und fand es ungerührt vom vielerorts sogar schon offiziell verlauteten Pandemieende geschmückt mit Abstandsgeboten, Maskenverherrlichung und hälftig gesperrten Warteraumbänken. Und in einem Oberlandesgericht saßen mir noch Ende Februar Richter mit Spezialmasken gegenüber, deren Eigengewicht von bloßen Gummibändern an den Ohren nicht gehalten werden konnte, weswegen die Atemschutzkonstruktion der Senatsmitglieder mit Schnüren rund um ihren ganzen Kopf vertäut war. Für manch einen scheint die Schockstarre der Panik zu einer Dauerfermate im Lebensfluss geworden zu sein. Man richtet sich ein in der Sorge und kuschelt sich fest an die Angst. Bildungsstand, Ausbildungsgrad und gesellschaftlicher Erwartungshorizont treten gegen diese existenzielle Urkraft vollends zurück.

„Ich hatte lange nicht den Mut, mich selbständig zu machen“, sagte mir jüngst eine Akademikerin, „weil mir die Verantwortung dazu nicht tragbar erschien.“ Als ich entgegnete, in wessen Verantwortung sie ihr Leben denn aus Angst vor sich selbst hatte legen wollen, sah sie mich verdattert an. So habe sie das noch nie betrachtet. Kaum überwindet man die Angst, ist das Leben schon vorüber. Ob uns wohl, wie die alten Römer fürchteten, auch der Himmel auf den Kopf fallen kann? Sei es drum – habe ich etwas Falsches gesagt?


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