05. März 2023 19:00

Taiwan – Teil 3 Erhöhte Kriegsgefahr in Ostasien

2023 könnte aber noch ein Jahr der Atempause sein

von Stephan Unruh

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In meiner letzten Kolumne hatte ich drei Hauptgründe genannt, weshalb China bereit sein könnte beziehungsweise es ist, einen Krieg wegen der kleinen grünen Insel vor seiner Küste zu beginnen. Den vierten hatte ich (bewusst) verschwiegen: Die „Wiedervereinigung“ Taiwans mit dem chinesischen „Mutterland“ hat in der Volksrepublik Verfassungsrang. Kein chinesischer Herrscher kann von diesem Anspruch abweichen und wird es jemals tun. So wie alle politischen Bemühungen der Bundesrepublik seit dem Einigungsvertrag 1990 darauf abzielen, in einem „geeinten Europa als gleichberechtigtes Glied für den Frieden“ aufzugehen und sich dabei als Staat und Nation auszulöschen, so ist die Beendigung der Zweistaatlichkeit Chinas ein Kernelement aller politischen Handlungen der Volksrepublik.

Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass die Chinesen in dieser Frage stoisch-gelassen agieren und langsam, aber unerbittlich darauf hinarbeiten, dieses Ziel friedlich zu realisieren. Die Republik China ist wirtschaftlich längst extrem eng mit dem Festland verflochten. Die großen taiwanesischen Chiphersteller und -zulieferer wie TSMC oder Foxconn lassen größtenteils in der Volksrepublik fertigen. Auch der taiwanesische Mittelstand hat sein Schicksal längst an den riesigen Absatzmarkt direkt vor der Haustür geknüpft, der sich ihm zudem dank Sprach- und Kulturgleichheit viel leichter erschließt als allen anderen Wettbewerbern. Früher oder später, so dachten ich und – das unterstelle ich einfach – bis etwa 2018/2019 auch das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), würde Taiwan dann, notfalls motiviert durch mehr oder weniger sanften wirtschaftlichen Druck, sich freiwillig in die Volksrepublik einfügen. Natürlich zunächst unter einem ähnlichen Konstrukt wie Hongkong und Macau à la ein Land, zwei Systeme.

Mit den sich ausweitenden Protesten in Hongkong, die am Ende schon fast aufstandsähnliche Züge (soweit hochzivilisierte Gesellschaften dazu überhaupt fähig sind) angenommen hatten, dürfte allerdings bei Xi Jinping und anderen Führern die Erkenntnis gewachsen sein, dass ihnen in der Taiwanfrage die Zeit davonläuft. Wer in dem kurzen Zeitfenster von 1945 bis 1949, innerhalb dessen Taiwan wieder zum chinesischen Festland gehörte, schon ein politisches Bewusstsein hatte, ist heute ein Greis von über 80 Jahren. Bald schon wird es weder in der Republik noch in der Volksrepublik China auch nur einen einzigen Bürger geben, der sich an eine Zeit erinnern kann, in der die beiden China eines waren.

Hongkong, das zunächst die Rückgabe an die Volksrepublik begrüßt hatte, musste in den vergangenen 20 Jahren Schritt für Schritt lernen, dass Verträge mit Kommunisten nichts wert sind. Wobei man der Fairness halber anmerken sollte, dass es aus kommunistisch-etatistischer Sicht auch unmöglich gewesen wäre, die Stadt 2047 in einem einzigen Schritt komplett einzugliedern. Aber der Widerstand Hongkongs nahm immer weiter zu – die Proteste konnte am Peking am Ende nur dank der Plandemie einfangen. In Taiwan dürfte der Widerstand noch viel größer ausfallen, zumal die Taiwanesen eine wie auch immer geartete Wiedervereinigung mehrheitlich ablehnen.

Denn auch in Taiwan selbst haben sich seit den Ereignissen in Hongkong alle Illusionen erledigt, das man sich mit dem Regime in Peking in irgendeiner Weise friedlich-freiheitlich arrangieren wird können. Die kommunistischen Blutsäufer kommen immer mit stählerner Faust, selbst wenn sie diese hin und wieder in einem Seidenhandschuh verstecken. Auch die KMT, Jiang Kai-sheks eigene Partei, der man immer wieder eine Nähe zu Peking nachsagt, agiert inzwischen deutlich vorsichtiger und hat die Kontakte nach Peking reduziert. Zumeist sind es nur mehr die altvorderen Parteikader, die Besuche durchführen und Gegenbesuche der KPCh empfangen. Dennoch dürfte die KMT eben wegen dieser Nähe zu Peking in den 2024 anstehenden Präsidentschaftswahlen chancenlos sein – ein weiterer Fingerzeig für Peking, dass die ursprüngliche Strategie wohl nicht aufgehen wird.

Wenn aber eine friedliche Wiedervereinigung für Peking nahezu aussichtslos geworden ist, dann bleibt – aus Sicht der Kommunisten – nur die militärische Lösung. Auch hierfür wird das Zeitfenster eng – spätestens ab 2030 wird die demographische Situation Chinas größere militärische Abenteuer verunmöglichen. Schon jetzt sind nur mehr wenige Chinesen aus dem Holz geschnitzt, das im Koreakrieg unter ungeheuren Verlusten den US-Marines am Changjin-Stausee eine militärische Niederlage beibrachte, und selbst der lauteste chinesische Patriot wird plötzlich seltsam kleinlaut, wenn man ihn direkt fragt, ob er für Taiwan seinen einzigen Sohn und Stammhalter zu opfern bereit ist und so die Ahnenkette für immer abreißen lassen will.

Zudem wird sich dann auch die militärische Situation verändert haben. Japan baut gerade seine Streitkräfte massiv auf und um: von einer kleinen, reinen auf Selbstverteidigung ausgerichteten Armee zu einem schlagkräftigen Instrument, das auch großräumige Offensivoperationen durchführen kann. Auch die USA werden dann mehrere Modernisierungsmaßnahmen, vor allem für die Luftwaffe und die Seestreitkräfte, abgeschlossen haben. Ich bin mir fast sicher, dass im Falle, dass die russische Invasion in der Ukraine erfolgreicher verlaufen wäre und der Westen die Ukraine nicht so bedingungslos unterstützt hätte, die Welt im Frühsommer einen chinesischen Angriff auf Taiwan gesehen hätte. So blieb es bei den umfangreichsten Seemanövern, die die Volksrepublik je abgehalten hat und die zudem erstmals nicht nur vor einzelnen Abschnitten der Insel, sondern um ganz Taiwan herum stattfanden.

Zeitgleich darf man sich nicht täuschen: Taiwan ist im Augenblick die wichtigste Insel der Welt. Nur auf Taiwan und nur taiwanesische Unternehmen können derzeit die besten Hochleistungschips herstellen. Allerdings üben sowohl Washington als auch Brüssel massiven Druck auf Taipeh und TSMC aus, sich breiter aufzustellen und die Produktionsstandorte der Hochleistungschips zu diversifizieren. Aus dem ursprünglichen zehn Milliarden US-Dollar schweren Investment in die neue TSMC-Foundry in Arizona sind inzwischen 25 Milliarden geworden, und nun sollen dort auch Fünf-Nanometer-Chips gefertigt werden. Ursprünglich wollte TSMC maximal Sieben-Nanometer-Chips in den USA fertigen. Wenn das Werk 2025 fertiggestellt ist, könnten die USA vermutlich mit einem Taiwan in der Hand der Kommunisten ein bisschen besser leben. Zudem unterliegen auch Chips dem Schweinezyklus. Es fließt derzeit unglaublich viel Geld in den Sektor – in wenigen Jahren werden Überkapazitäten statt Knappheiten das Hauptproblem werden. Dann dürfte der Westen sehr viel weniger bereit sein, die wenigen eigenen Söhne irgendwo vor Taiwan an die Fische zu verfüttern.  

Ähnliche Überlegungen dürfte die Clique um Xi auch anstellen: Das Covid-Desaster schreit einerseits geradezu danach, den angekratzten Ruf mittels einer erfolgreichen Invasion für die Ewigkeit aufzupolieren, zeitgleich hat der „überragende Führer“ die Chance genutzt, seine Macht komplett zu festigen. Der aktuell tagende Parteitag überträgt ihm noch mehr Macht, und er hält nun alle militärischen und sicherheitspolitischen Fäden in der Hand. Was in China in den letzten drei Jahren veranstaltet wurde, lässt sich durchaus auch als Testlauf für ein länger währendes Kriegsrecht interpretieren. Die markige Rhetorik entsprach auch genau dem – es wurde Krieg gegen das Virus geführt … Man tausche einfach Virus gegen Taiwan oder „westlichen Imperialismus“ und – voilà.

Ich denke, dass 2023 auch hinsichtlich der Taiwanfrage ein Jahr der Atempause wird. Ab dem kommenden Jahr jedoch erwarte ich eine deutliche Zunahme der Spannungen, gerade im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Taiwan. Für die Jahre 2025 und 2026, mit Fertigstellung des TSMC-Werks in Arizona sowie einem neuen US-Präsidenten, der womöglich wieder Donald Trump heißt und dann entsprechend innenpolitische Zerwürfnisse bringen wird, sehe ich höchste Kriegsgefahr.


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