Steuern und Freiheit: Die Zerstörung des deutschen Föderalismus
Wie die Erzbergerschen Reformen den Deutschen bis heute schaden
von Oliver Gorus
von Oliver Gorus drucken
Kaum jemand kennt heute noch den Schwaben Matthias Erzberger. Dabei hatte kaum jemand so viel Einfluss auf die Geschehnisse in Deutschland im 20. Jahrhundert wie dieser glühende Katholik.
Er war, wie man heute sagt, ein politisches Talent. 1903 wurde er als Mitglied der Zentrumspartei mit nur 28 Jahren als jüngster Politiker Deutschlands in den Reichstag gewählt. Bekannt geworden war er zuvor als leidenschaftlicher Polemiker im Kampf gegen den Marxismus, einer, der unermüdlich gegen die Sozialdemokraten schimpfte. Der Sozialismus erschien ihm schlichtweg unchristlich.
Welch Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieser Mann, ohne es zu wollen, einen der Grundsteine legte für die bis heute dauernde Dominanz der Kollektivisten in Deutschland und für die zwei totalitären sozialistischen Unrechtsstaaten auf deutschem Boden.
Wie hatte er das nur gemacht?
Die Antwort lautet: mit Zentralismus. Kaum jemand versteht bis heute die furchtbare Wirkung hierarchischer zentralistischer Systeme, die die Gewalt in Händen kleiner Gruppen konzentrieren, die Menschen auf den unteren Hierarchiestufen zu ohnmächtigen Untertanen degradieren und ausgleichenden und innovativen gesellschaftlichen Wettbewerb ausschalten.
Die Basis des Erfolgs
Erzbergers Name ist untrennbar verbunden mit den sogenannten Erzbergerschen Reformen, die vor gut 100 Jahren in kürzester Zeit einige der wertvollsten gewachsenen und bewährten Strukturen des Deutschen Reichs zerstörten und das Leben in Deutschland zwangsweise politisierten, bis weit ins Private. Vor allem zerstörten die Erzbergerschen Reformen von 1919 und 1920 ein für alle Mal den deutschen Föderalismus, der eine tragende Säule des Deutschen Reichs gewesen war.
Im Reich hatten die 25 Länder unterschiedliche Rechtsordnungen und eigene Steuerverwaltungen. Innerhalb der Regeln des Deutschen Zollvereins hatten die Länder und teilweise die Gemeinden die Steuerhoheit: Sie setzten ihre eigenen Steuern fest, erhoben sie und trieben sie ein. Selbstverständlich standen sie damit in einem fruchtbaren Steuerwettbewerb, der die Steuerlast für die Bürger gering und die Bürokratie schmal hielt – und die Wirtschaft enorm ankurbelte. Die von den Ländern und Gemeinden erhobene Einkommensteuer lag bei unter vier Prozent, es gab keine Umsatzsteuer und auch keine Erbschaftsteuer. Die schwache Zentrale wurde nur von Beiträgen der Länder und von Zöllen finanziert – nebenbei bemerkt ist eine schwache Zentrale das wichtigste Detail für eine langlebige und freiheitliche Republik wie früher in den USA und in der Schweiz, wobei leider in diesen beiden Ländern die Zentrale in den letzten 100 Jahren immer stärker geworden ist.
Deutschland erlebte durch die im Vergleich zu heute enorme individuelle und wirtschaftliche Freiheit ein beispielloses Wirtschaftswachstum, überholte bei Ein- und Ausfuhren locker die Vereinigten Staaten und schloss zur weltgrößten Wirtschaftsmacht Großbritannien auf. Der Wohlstand für alle, also das Maß für die erschwinglichen Möglichkeiten des Individuums, wuchs enorm, es bildete sich ein starker Mittelstand und ein selbstbewusstes Unternehmertum heraus.
Genau diese dezentralen Strukturen wären der Erfolgsgarant für eine Erholung von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg gewesen. Der Föderalismus, der Steuerwettbewerb, die schwache Zentrale wären heute zukunftsweisend und könnten weltweit als typisch deutsch gelten. Aber dann kam Erzberger.
Der Anfang des Steuerwahnsinns
Durch seinen schamlosen Opportunismus – zu Kriegsbeginn war er einer der größten Kriegshetzer und Chauvinisten, während des Kriegs war er Staatspropagandist, bei Kriegsende wendete er seinen Hals in Richtung Pazifismus und Völkerbund – war er unter dem sozialdemokratischen (!) Reichskanzler Gustav Bauer im Sommer 1919 an den Posten des Finanzministers geraten. Umgehend setzte er dann kraft seiner Amtsgewalt in nur wenigen Monaten das größte Reformwerk der deutschen Steuergeschichte um: Er entzog den Ländern die Steuerhoheit, baute eine zentrale Reichsfinanzverwaltung wie einen riesigen pyramidenförmigen Konzern auf, mit einer mittleren Verwaltungsebene von 26 von der Zentrale abhängigen Landesfinanzämtern und rund 1.000 Finanzämtern auf Landkreisebene. Der Personalbedarf war immens. Am Ende waren mehr als 30.000 Menschen in diesem Behördenkoloss tätig.
Damit diese Bürokraten etwas zu tun hatten und die gigantischen Personalkosten gedeckt werden konnten, setzte Erzberger in seiner kurzen Amtszeit 16 Finanz- und Steuergesetze durch. Neue reichseinheitliche und damit dem Wettbewerb entzogene Steuern wurden erhoben, zum Beispiel eine Luxussteuer, die besonders Reiche treffen sollte, eine Umsatzsteuer, die besonders Arme traf, eine Erbschaftsteuer, die den unternehmerischen Mittelstand traf, ein „Reichsnotopfer“, also eine einmalige progressive Vermögenssteuer mit Sätzen bis zu 65 Prozent, und eine progressive Einkommensteuer mit einem Spitzensteuersatz von 60 Prozent.
Außerdem führte er die Lohnsteuerkarte ein und ließ damit die Lohnsteuer direkt beim Unternehmen eintreiben, noch bevor der Lohnempfänger sein Gehalt erhält.
Im Wesentlichen hat damit Erzberger die steuerlichen Strukturen und damit die Voraussetzungen für irrsinnig hohe Steuern und Abgaben eingeführt – Strukturen, die noch heute bestehen. Sie sind die Basis für eine viel zu große Macht in den Händen der Zentralregierung, die immer wieder mit Ermächtigungsgesetzen aufgrund von realen, eingebildeten und hausgemachten Notsituationen freie Hand erhalten und damit schlimmes Unheil anrichten kann.
Das ging nicht gut aus
Es nützte nichts, dass aus allen Teilen der Bevölkerung erbitterter Widerstand gegen die Erzbergerschen Reformen aufbrandete. Es nützte nichts, dass er bereits im Frühjahr 1920 zurücktrat. Es nützte nichts, dass anschließend auf Druck der Wähler einige Härten der Reform zurückgenommen wurden – die gesetzliche Grundlage der neuen zentralistischen Finanzverwaltung war gelegt, Erzberger hatte Fakten geschaffen.
Und er wusste genau, was er tat. Ihm ging es keineswegs um den hohen Finanzbedarf aufgrund der Kriegsfolgen. Freimütig legte er seine wahre Motivation in der Nationalversammlung offen, dass nämlich die Durchführung seiner Reformen den „größten Schritt zum Aufbau des deutschen nationalen Einheitsstaates” darstellten.
Die Folgen waren kurzfristig für den inneren Frieden des Landes verheerend. Unternehmer und Investoren brachten ihr Kapital fluchtartig außer Landes, und überall im Land trat ein ganz neues, bis dahin im Deutschen Reich nicht existentes Phänomen auf: Steuerhinterziehung.
Mittelfristig erhielt der durch die Neuordnung der Finanzen geschaffene Zentralstaat mit der „Personalabbauverordnung“ von 1923 ein Instrument in die Hand, mit dem die Verwaltungsangestellten und Beamten von den Vorgesetzten nach politischer Gesinnung aussortiert und entlassen oder frühpensioniert werden konnten. Die Spaltung und Einschüchterung der Gesellschaft nahmen ihren Lauf, Hass und Zwietracht wurden gesät.
Langfristig sorgte der Erzbergersche Zentralismus für die strukturellen Voraussetzungen der Einheitsstaaten des Dritten Reichs, der DDR und der Berliner Republik mit all ihren totalitären Begleiterscheinungen. Die Freiheit des Individuums erreichte in Deutschland nie wieder die Höhe wie vor den Erzbergerschen Reformen. Und nie wieder war die deutsche Wirtschaft im Weltmaßstab so erfolgreich wie im dezentral organisierten Kaiserreich.
Mit Sicherheit hatte Erzberger die verheerenden Folgen seiner Politik nicht geahnt und nicht gewollt – ein Argument mehr, Politikern nicht so unanständig viel Macht zu geben.
Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 von Angehörigen der nationalistischen, antisemitischen und eine Militärdiktatur anstrebenden Terrorvereinigung „Organisation Consul“ ermordet. Die politische Linke instrumentalisierte die Tat und vereinnahmte ausgerechnet den früheren leidenschaftlichen Antimarxisten Erzberger für ihren „Kampf gegen Rechts“: Die SPD, der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, die USPD und die KPD riefen zu Hunderten von Kundgebungen gegen die Ermordung Erzbergers auf, allein im politisch aufgeheizten Berlin kamen dafür 500.000 Menschen zusammen.
Verrückt, in welch irren Wirrungen die deutsche Geschichte durchs 20. Jahrhundert stolperte.
Wir stolpern immer noch.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.