10. März 2023

Planungsversagen Düsseldorf, du wunderliche Stadt

Liebesbrief an eine Sterbende

von Carlos A. Gebauer

„Die Stadt Düsseldorf“, wird ihr großer Sohn Heinrich Heine immer wieder gerne zitiert, „ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zumute. Ich bin dort geboren, und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehen.“

Stünde Heine heute auf dem Schwanenmarkt vor seinem Denkmal und besähe er sich seinen von künstlerischer Inspiration eindrucksvoll zertrümmerten monumentalen Kopf, käme er wohl ins Grübeln, was den aktuellen Geist dieses Ortes in den letzten Jahrzehnten geprägt hat.

Düsseldorf ist nicht nur Landeshauptstadt. Düsseldorf war auch stolze Messestadt, Modestadt, Touristenstadt, Werbe- und Medienstadt, Künstlerstadt und Flughafenstadt. Die Stadt war auch in meiner Erinnerung sehr schön, quirlig und lebendig, inspirierend, ein Ort für Handel und Wandel. Auch ich bin dort geboren, wiewohl ich mich nicht mehr erinnere, ob es – wie bei Heine – nur zufällig geschah.

Das Gefühl der Wunderlichkeit des Ortes stellt sich mir inzwischen ein, wenn ich in die Stadt fahre, wenn ich durch ihre Straßen gehe und wenn ich Ihre Schilder lese. Denn die Stadtplanung in Düsseldorf ist an geraden Tagen ein Debakel und an ungeraden ein Fiasko. Das Leben wird nachgerade gezielt aus dem Herzen der Stadt gewürgt. Sogar das Wort „Straßenraub“ hat inzwischen eine ganz neue Bedeutung: Den Bürgern werden ihre Wege durch die Stadt genommen. Wo Jahrzehnte und Jahrhunderte ein Fortkommen möglich war, werden jetzt verkehrswendend Hürden errichtet und energiewendend Löcher gegraben, transformierend Schwellen gelegt und klimarettend Zäune gespannt. Es drängt sich der Eindruck auf, manche Planer sähen sich endlich in der Lage, ihre frühkindlichen Lego-Träume in Beton zu gießen. Zwischen den postmodernen Puppenhäusern soll anscheinend keine substanzielle Verkehrsbewegung mehr sein, um die Ästhetik der glasig-stählernen Fassaden unberührt zu lassen. John Lanchester sprach in einem seiner Romane davon, in Bordeaux hätten die Stadtplaner vollendet, was die Bomber des Zweiten Weltkrieges begonnen hatten. Doch Düsseldorf ist nicht Bordeaux und also ist auch der Zustand der ökofuturistischen Dekonstruktion des Ortes mit trittbrettrasenden Elektrorollern inmitten noch nicht vollendet.

Die einstmals hübsche Kleinmetropole am Rhein wird erstickt von Verkehrsleitung und Bewegungsbevormundung. In den passantenlosen Schluchten der Endlosfußgängerwüsten und sorgsam umhegten Waffenverbotszonen floriert nach Geschäftsschluss inzwischen Kleinkriminalität. Die nun jählings an ihrem Südende abgewürgte Heinrich-Heine-Allee wird schon bald in einem neuen Paradies für Taubenschwärme enden. Derzeit imponieren dort geparkte Polizeifahrzeuge, deren schiere Masse glauben lässt, sie würden vor Ort täglich zu Hunderten neu montiert. Menschenleer abgestellte Wasserwerfer seien die Vogelscheuchen des Ordnungsrechtes, las ich neulich.

Erst wenn ihr den letzten Gehbehinderten aus der Altstadt, den letzten Rentner vom Carlsplatz und den letzten Einsamen unter dem Kö-Bogen vertrieben habt, werdet ihr merken, dass eine Stadt ohne Menschen kein Ort zum Verweilen mehr ist. Man ahnt schon heute, vor den jüngsten Bauzäunen am Wilhelm-Marx-Haus stehend, dass dahinter eine weitere Fläche entsteht, deren Boden jenes charakteristische Changieren aus plattgetretenen Kaugummis und Vogelkot zieren wird. Und bange fragt das Herz: Werden wohl Glasüberdachungen den Ort einhegen wie den Bertha-von-Suttner-Platz hinter dem Bahnhof, dessen eindrückliche Geruchskulisse bei warmem Südwind stechend in die umliegenden Treppenhäuser steigt?

Vor ein paar Tagen stand ich mit Christian Paulwitz am Düsseldorfer Schlossturm und beschrieb ihm, wie der Verkehr in meiner Jugend lärmend den Rhein entlangtobte. Als der Autostrom in seinen gigantischen Tunnel eingekellert wurde, hatte man Hoffnung, es werde ein kleines Paradies am Wasser entstehen, und mancher schwärmte, die Stadt kehre zurück an den Rhein. Doch die heutige Tristesse auf dem Burgplatz hat die einstmalige Beleidigung des Ohrs nur durch eine solche des Auges ersetzt: Zwischen der Treppe für den Umschlag unerlaubter Substanzen im Westen bis hin zu der ostseitigen Gaststätte, der man einst verbot, ihre Hauswand weiß und blau anzustreichen, da dies eine intolerable Werbung für bayerisches Bier darstelle, walkt sich jetzt schier endlos ein räumliches Nichts ohne alle Geheimnisse. Nur weiße Zeichen auf dem Boden lassen ahnen, dass es sich auch um einen temporären Kirmesplatz handelt. Als die Johanneskirche gegenüber dem Justizministerium zum Advent ihre Turmbeleuchtung ausschaltete, um das Weltklima zu retten und/oder Putin zu schwächen, war man als Bürger dankbar für das sonnengleich strahlende Licht des dortigen Riesenrades, das sich mit dem Flutlicht über einer Eistanzlustbarkeitsfläche auf dem Corneliusplatz zu einem Lichtkranz aufwölbte, der dann auch die verdunkelte Turmuhr wieder ablesen half. Nur die Schwärme bunter Papageien, die hier von liebenden Naturfreunden als „süße Plage“ der Innenstadt gefeiert werden, konnten so die Zeitorientierung noch interimistisch stören.

Die Unmöglichmachung des Innenstadtbereiches als Ort der mobilen Begegnung treibt ihre zickzackigen Blüten. Das zentrale Parkhaus unter der teilstillgelegten Kasernenstraße wurde auf links gedreht und seine Ausfahrt damit zur Einfahrt. Wiederholt entdeckt man folglich nun verwirrte Touristen, die mit ihrem Auto vor der alten Zufahrt stranden und noch nicht ahnen, welche Odyssee nun vor ihnen liegt, um in dem postmodernen Gewirr aus vielfach toten Gassenarmen den aktuellen Zugang zu finden.

Ist dieser Exzess zur waffenlosen Schaffung einer Geisterstadt auf die Innenstadt beschränkt? Man bilde sich einen eigenen Eindruck! Man wage es, aus ihr heraus zum Flughafen in den Norden zu reisen! Ich würde die Verkehrsorganisation am dort zentralen Freiligrathplatz nicht leichthin als „Akt der Oligophrenie“ bezeichnen. Dieser Begriff wird den tatsächlichen dortigen Abläufen in den Jahren seit Niederlegung des Heinedenkmals am Schwanenmarkt nicht ansatzweise gerecht. Es ist meines Erachtens weit schlimmer. Diese Straßenbaugeschichte gehört eher in die Kategorie des Weltkulturerbes für notorisches Planungsversagen, systematischen Dilettantismus und grenzenloses Steuergeldversenken.

Wer je auf die Idee kommen konnte, einen Kreisverkehr dadurch zu optimieren, dass er ihn mit einer zusätzlichen diagonalen Abkürzungsstraße durchtrennte, der wird wahrscheinlich auch regelmäßig Teile des Profils an den eigenen Winterreifen abschmirgeln, um die Standsicherheit beim Parken zu erhöhen. Ganz besonders muss sich dem Erfinder dieses gedoppelten Halbkreisverkehrs seine Lösung aufgedrängt haben, weil ursprünglich noch vier Schienenstränge mitten durch den Platz verliefen, die sich allerdings teilten, um den Kreis noch öfter zu segmentieren. Touristen schätzen nach meiner Beobachtung auch besonders die in der Peripherie liebevoll erhaltenen Bäume, die dem Verkehrsfluss in und um den Kreis zusätzlich eine neckische Tolle einweben, bevor die Entscheidung der Fahrer zwischen durchfahrtbeschränkter Messezufahrt und kollabierendem Kopfsteinpflaster gen Süden getroffen werden muss. Im Nachhinein dürfte sich mancher Straßenbauer geärgert haben, eine der ursprünglich zwei Tankstellen am Kreisverkehr verloren zu haben. Hier hätten sich weitere herausfordernde Chancen für Zu- und Abfahrten ergeben, die noch kürzer auszugestalten gewesen wären als die Miniatursegmente des Kreises zwischen den inzwischen waldartigen Ampelanlagen. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis – analog zu dem stählernen Straßenbahnüberflieger in den Wolken über der nahen Autobahn – ein entsprechendes Brückenbauwerk für Elektrorollerfahrer in die Kaiserswertherstraße eingebettet wird, dessen Ausläufer dann sanft in dem aufsteigenden Sandweg hinter der Bushaltestelle landen könnten. Ich sehe schon, wie dieses Monstrum erst auf den Wiesen der Beckbuschstraße gebaut und dann, wie dereinst die Oberkasseler Brücke, seitwärts in seine Endposition verschoben werden wird. Wenn es fertiggestellt ist, kann es dann ohne Weiteres wieder tiefergelegt werden wie weiland die vorübergehend höhergelegten Straßenbahnschienen gen Innenstadt. Oder man fängt an, die Elektrorollerfahrer zu wiegen, bevor sie über den Kreisverkehr huschen dürfen, weil die Traglast der Brücke falsch berechnet worden war.

Geschmacklosigkeiten müssen keine Absicht sein, man kann sie auch bewusst wollen. Seit Wochen stehen Plakate auf dem Grünstreifen am Kennedydamm, die erschüttert berichten, dass immer mehr Obdachlose erfrieren: „Das kann uns nicht kalt lassen“, endet die dortige Wandbotschaft.

Es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehen. Aber wo ist das noch?


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