12. März 2023 19:00

Neuausrichtung Chinas Des Führers Paladin als Symbol

Eine Art zweiter Kulturrevolution

von Stephan Unruh

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Am Freitag wurde Li Qiang als Ministerpräsident von Xi Jinping Gnaden bestätigt. Li ist mit Xi seit dessen Zeit als Parteichef von Zhejiang, der wirtschaftsstarken Provinz südlich von Shanghai, verbunden. Damals war er der Büroleiter des heute mächtigsten Mannes im Reich der Mitte und dieser protegiert seit damals Li bei seinem steilen Aufstieg durch die Parteihierarchien. Im Jahr 2012, als Xi Jinping Präsident wurde, durfte er den Gouverneursposten in Zhejiang, einnehmen. Auf dem 18. Nationalen Volkskongress wurde er als Mitglied des erweiterten Zentralkomitees bestätigt. Im Oktober 2017 wurde er Parteisekretär von Shanghai, womit bereits offenkundig wurde, dass die Granden in Peking ihn für höhere Aufgaben würdig erachteten. Folgerichtig wurde er auf dem 19. Nationalen Volkskongress Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Auf dem Papier gilt Li als Mann der Wirtschaft – mit mehreren abgeschlossenen Studien, zuletzt an der Hong Kong Polytechnic University einen MBA, und mit seiner Nähe zu den privaten Unternehmen Chinas, insbesondere aus dem IT-Sektor, den er in seiner Zeit als Gouverneur von Zhejiang auch kräftig förderte. Jack Ma gehört zu seinen Freunden und es gibt viele Zitate, die seine (vermeintliche) Reform- und Wirtschaftsfreundlichkeit belegen. Über Unternehmertum äußert er sich regelmäßig mit großer Bewunderung. Angeblich wollte er während seiner Zeit als Gouverneur von Zhejiang beim Aufbau der chinesischen Digitalwirtschaft Hangzhou als Versuchsstadt für ein freies Internet etablieren, wurde dabei aber von der Partei gestoppt. Nüchtern betrachtet ist das jedoch alles wenig wert. Der Bachelor der Landwirtschaftsmechanik in Ningbo dürfte, ähnlich wie das Chemiestudium seines Chefs, ein „Arbeiter, Soldaten, Bauern“-Studium gewesen sein – also ein Studium für die ungebildeten, aber im Glauben an die Segnungen des Kommunismus gefestigten Kulturrevolutionäre. Tatsächlich arbeitete der damals 17-Jährige auf einer Bewässerungsstation irgendwo im Nirgendwo des chinesischen Hinterlands und wurde direkt nach der Wiedereröffnung der Universitäten 1978 zum Studium nach Ningbo geschickt. Der tatsächliche Wert eines Fernstudiums der Soziologie in Peking wiederum dürfte ebenso wie der des „World Economics“-Studium an der parteieigenen Universität in etwa dem von Papiergeld entsprechen. Den MBA in Hongkong, den er acht Jahre nach der Rückgabe der Kronkolonie an die Volksrepublik gemacht hat, darf man sich getrost wie den Master of International Law der deutschen Außenministerin vorstellen … Zumal Li bereits damals ein Shootingstar der KPCh war. Nein, Taten sprechen eine sehr viel deutlichere Sprache als Universitätsabschlüsse und vor 20 Jahren gehaltene Reden.

Li Qiang war der entscheidende Mann bei der Durchsetzung des verheerenden Covid-Lockdowns in Shanghai von April bis Juni des Jahres 2022, durch den nicht nur die chinesische Wirtschaft final in den Orkus geschickt wurde, sondern auch zahllose Menschen durch eben diese Lockdown-Politik den Tod fanden – sei es, weil sie verhungerten, sei es, weil ihnen die medizinische Behandlung verweigert wurde, sei es, weil die Schlägertrupps der Partei sie ermordeten. Der Mann ist sicherlich kein Wirtschaftsfachmann und erst recht kein Menschenfreund, sondern ein unbedingter Gefolgsmann von Xi, und er wird dessen Vorgaben ebenso bedingungs- wie gewissenslos folgen. Lis Ernennung zum Ministerpräsidenten steht damit beispielhaft für einen neuen Grundsatz der chinesischen Politik: Nicht mehr Kompetenz und erfolgreiche Bewährung auf den unteren Leveln des Staats sind die entscheidenden Voraussetzungen für den weiteren Aufstieg, sondern Loyalität zur politischen Führung.

Zweifelsohne wird Li dank der vollen Rückendeckung von Xi als Ministerpräsident deutlich mehr Spielraum besitzen als sein tatsächlich reformorientierter Vorgänger Li Keqiang. Allerdings wird der Rahmen dieses Spielraums ganz klar von Xi ausgemessen sein. Der neue Ministerpräsident wird nicht ein Jota darüber hinausgehen oder gar für irgendwelche wirtschaftlichen Überzeugungen seine Position riskieren. Ohnehin ist es so, dass der eigentliche Wirkungsraum des Ministerpräsidenten, der im Wesentlichen die Geschäfte der chinesischen Regierung führt, auf dem laufenden Kongress deutlich beschnitten wurde. Gehörten Polizei und Sicherheitsorgane, jenseits des Militärs, bisher in den Kompetenzbereich des Staatsrats, dem der Ministerpräsident vorsteht, so sitzt nun auch hier Xi selbst am Steuer. Ähnliches gilt für bestimmte Wirtschafts- und Finanzbereiche, zudem wurden viele Komitees ins Leben gerufen, die die einzelnen Ministerien überwachen und direkt dem Präsidenten unterstehen. Chinas Umbau von einer Parteidiktatur, bei der die Führung die einzelnen Strömungen innerhalb der Partei sorgfältig austarieren muss, hin zu einer Einpersonendiktatur vollzieht sich in atemberaubender Weise. Damit beendet Xi auch den zweiten Grundsatz der chinesischen Politik, der zumindest dem Anschein nach immer gewahrt wurde, und zwar, dass die Partei und nicht ein Einzelner der wahre Herrscher Chinas sei.

Das Bittere daran ist, dass der neue große Steuermann ein ähnlich verbohrter Ideologe wie das Original ist. Längst kann man von einer Zweiten Kulturrevolution sprechen. Man darf sich von den glänzenden Fassaden, die in Shanghai, Shenzhen und Suzhou in den Himmel wachsen, nicht blenden lassen: Die Führung in Peking und mit ihr die KPCh ist in größter Angst: einerseits über die gewaltigen Wohlstandszuwachse, die die Bevölkerung in den letzten zehn Jahren verbuchen konnte. Andererseits über den sich mehr und mehr anbahnenden Konflikt mit den USA. Letzteres bedeutet, dass die USA nicht mehr bereit sind, China als Kooperationspartner zu akzeptieren, und dem Land den Zugang zu Know-how verwehrt, das die Chinesen noch nicht selbst entwickeln können, gerade im Bereich der für das 21. Jahrhundert so elementaren Chiptechnologie. Ersteres bedeutet, dass die neue wohlhabende Mittelschicht zunächst mehr persönliche Freiheiten haben und nutzen will (und dies bereits auch tut) und früher oder später auch politische Teilhabe einfordern wird. Genau dies ist aber undenkbar und wird – solange Xi und die KPCh existieren – niemals geschehen.

Die Schlussfolgerung, die Chinas starker Mann aber daraus zieht, ist, dass er selbst und das Militär noch mächtiger werden, das Volk hingegen wieder ärmer werden muss. Nichts anderes steht hinter der Floskel von der „common prosperity“, die ein Mantra von Xis Herrschaft ist. Damit bricht Xi im Wesentlichen mit dem dritten Grundsatz der chinesischen Politik seit Deng: Die wirtschaftliche Entwicklung steht nicht mehr über allen Dingen. Wer die Reden, sowohl auf dem Nationalen Volkskongress als auch auf dem Parteitag des vergangenen Jahres, verfolgt(e ), kommt nicht umhin festzustellen, dass an die Stelle der wirtschaftlichen Entwicklung die nationale Sicherheit getreten ist.


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