14. März 2023

Zeit des Wandels Stehen uns turbulente Zeiten bevor?

Ein „Bewusstseinssprung“ in der Gesellschaft ist möglich

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

Haben Sie auch zuweilen den Eindruck, dass die „herrschenden Narrative“ an Glaubwürdigkeit verlieren? Da gab es kürzlich die „Lockdown-Files“, also geleakte WhatsApp-Konversationen des ehemaligen britischen Gesundheitsministers Matt Hancock, die Erstaunliches über dessen Haltung und Handlungen ans Tageslicht brachten. Nach Angaben der britischen BBC, die die Nachrichten, wie sie schreibt, zwar nicht selbst verifiziert habe, soll Hancock in einer Konversation Sätze geschrieben haben wie „Mit der neuen Variante werden wir allen einen riesigen Schrecken einjagen.“ („We frighten the pants of everyone with the new strain.“) oder „Wann werden wir die neue Virusmutation einsetzen?“ („When do we deploy the new variant?“), und am nächsten Tag habe er die neue Variante angekündigt, schreibt der Ökonom Stefan Homburg in der Schweizer Weltwoche. Die Berliner Zeitung schreibt, auch die Entscheidungen über Schulschließungen und Maskenpflicht in Schulen seien laut Einschätzung der damaligen Entscheidungsträger ohne wissenschaftliche Evidenz getroffen worden. Die „Lockdown-Files“ gäben Hinweis darauf, dass der Gesundheitsminister immer wieder von Experten dazu aufgefordert worden sei, die Schulen wieder zu öffnen, sich jedoch weigerte.

Dann bringt der prominente amerikanische Nachrichtensprecher Tucker Carlson vom US-Sender „Fox News“ Bilder der Überwachungskameras vom „Sturm auf das Capitol“ am 6. Januar 2021, die zumindest teilweise im Widerspruch zum offiziellen Narrativ stehen. Er zeigt Aufnahmen von Demonstranten, die anscheinend ruhig und friedlich durch das Capitol gehen und Bilder des berühmt – oder eher berüchtigt – gewordenen „QAnon Schamanen“ mit der Fellmütze nebst den Büffelhörnern, Jacob Chansley, der ruhig und von Polizisten begleitet durch das Capitol spaziert. Die Frankfurter Rundschau brachte daraufhin für ihre deutschen Leser schleunigst das „argumentum ad hominem“, also einen Angriff auf die Glaubwürdigkeit Tucker Carlsons, von dem sie schreibt, er sei dafür bekannt, „Verschwörungstheorien“ und „offensichtliche Falschmeldungen“ zu verbreiten. Die Zeitung zitiert den Chef der Capitol-Polizei, der gesagt habe, das Material sei irreführend zusammengeschnitten.

Und schließlich erfahren wir von der neuesten Theorie über die Sprengung der Nordstream2-Pipeline: Die „New York Times“ informiert uns, dass US-Geheimdienste eine „pro-ukrainische Gruppe“ hinter dem Anschlag vermuteten. Es gebe keine Hinweise, dass der ukrainische Präsident involviert gewesen sei, wird sogleich hinzugefügt. Die Tagesschau berichtet, die Spuren führten zu einer Gruppe von fünf Männern und einer Frau, die sich mit einer Jacht von Rostock aus aufgemacht haben und den Anschlag verübt hätten. Auch wenn man – wie bei solchen Operationen anscheinend üblich – Reisepässe gefunden hätte, wären diese wohl Fälschungen, die Nationalität der Täter sei unklar. Die Reaktionen mancher auch prominenterer Personen mit zahlreichen „Followern“ in den sozialen Medien wie Twitter und Facebook reichten von Entsetzen bis hin zu Hohn und Spott. Einerseits wird spekuliert, welche Ausrüstung nötig sei, um in solcher Tiefe eine solche Sprengung vorzunehmen, und die Kosten hierfür. Dann wird darauf hingewiesen, dass zwar Deutschland mangels Ausrüstung die Pipelines wohl nicht untersuchen könne, aber eine „vermeintliche Terrorgruppe“ dies zuwege gebracht haben soll. Andere erstellen „lustige“ Meme über diese aktuelle Version einer „Verschwörungstheorie“ zur Nordstream2-Sprengung.

Was verbindet diese Narrative?

Was diese drei beispielhaften Narrative verbindet, ist, dass mehr und mehr Menschen anscheinend den Glauben an sie zu verlieren scheinen, seien es die Narrative über die Erforderlichkeit von Zwangsmaßnahmen, die mit Corona begründet wurden, Narrative über das konkrete Ausmaß der Gefährlichkeit eines neuen „Binnenterrorismus“ (Sturm aufs Capitol, den Reichstag, das brasilianische Parlament et cetera pp.) oder „wer Freund oder Feind“ ist im Hinblick auf die Sprengung der Nordstream-Pipelines.

Auffällig in diesem Zusammenhang ist, dass die Leitmedien diesen Glaubwürdigkeitsverlust zurzeit anscheinend nicht auffangen können, sondern diesen eher verschlimmbessern mit Angriffen „ad hominem“ (gegen die Person), dem Ignorieren oder „Verzwergen“ von Skandalen oder Artikeln in der Art „Warum Sie die Bilder oder Texte, die Sie mit eigenen Augen gesehen oder gelesen haben, nicht so interpretieren sollten, sondern so und so, weil Experte XY dies und das dazu sagt“.

Die Gefahr einer neuen Idee im Bewusstsein der Menschen

Diese zweifelnden Menschen, die kritischen Geister oder – wie die Medien sie gerne bezeichnen – Querdenker, Klimaleugner, Coronaleugner (= Maßnahmenkritiker) und so weiter könnten zunehmend auf die Idee kommen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen; und mit dem Denken beginnen, statt sich auf für sie nicht testbare Interpretationen von nicht selbst gemachten Erfahrungen durch Experten zu verlassen. Stoßen sie dabei auf Immanuel Kants Aufklärungsschrift zum eigenen Denken oder auf Ludwig von Mises‘ Handlungslogik, könnten sie zu der Idee gelangen, dass Herrschaft – ob physische über das Handeln oder psychische über das Denken – einer Gruppe über eine andere a priori nicht gerechtfertigt werden kann.

Herrschaft im physischen Sinne ist das Bedrohen von friedlichen Menschen mit Übeln (Zwang und letztlich Gewalt), um eine Handlung oder Unterlassung zu bewirken, die der Betroffene ohne die Drohung nicht vorgenommen hätte. Dieses Beherrschen friedlicher Menschen kann a priori nicht Recht sein, weil Recht im handlungslogischen Sinne eine Verpflichtung erfordert, ein Recht also der Reflex einer freiwilligen Verpflichtung ist. Ansonsten handelt es sich nicht um Recht, sondern um Macht, und das ist etwas anderes. Recht ist dem Handeln nicht vorausgesetzt, sondern es entsteht erst durch normative Interaktion, also dass Menschen vereinbaren, was sein soll. Zwingt einer dem anderen das Sollen auf, reden wir gewöhnlich nicht von Recht, sondern von Nötigung oder Erpressung. Das soll jedoch nach „herrschender Meinung“ dann nicht gelten, wenn es sich um eine speziell organisierte Gruppe von Menschen handelt, die den Zwang ausübt, über deren Zusammensetzung beispielsweise abgestimmt wird oder die angeblich namens und im Auftrag des Kollektivs, Proletariats oder Gemeinwohls handelt. Die Logik des Handelns ist jedoch universell, das heißt, sie gilt für jedes menschliche Handeln zu jeder Zeit, auch dann, wenn gewähnt wird, hier würde ein Kollektiv selbst handeln, was absurd ist, denn es können immer nur Individuen handeln, auch in Gruppen, miteinander oder gegeneinander; aber das „selbst handelnde Kollektiv“ ist ein geistiges Konstrukt, das keine unmittelbare Entsprechung in der Realität hat.

Herrschaft im geistigen Sinne wird bewirkt durch Indoktrination und Propaganda. Die Ideen werden den Menschen vorgegeben von Intellektuellen und Experten. Diese Ideen sind dann bestimmend für die Haltung der Menschen zu sich und der Welt. Der Aufwand, der hierfür betrieben wird, ist ganz enorm, und um diesen zu finanzieren, wird auch physische Herrschaft eingesetzt. Von altertümlichen Erzählungen über oligarchisch strukturierte Götterhimmel („wie oben, so unten“) über die Begründung der Herrschaft der Monarchen von Gottes Gnaden bis hin zu Intellektuellen und Experten, welche Herrschaft postmodern-szientistisch begründen wollen – der Kampf um die „Lufthoheit in der öffentlichen Meinung“ darüber, wie die Welt beschaffen ist und sein soll, scheint so alt wie die Zivilisation selbst.

Denn physischer Zwang ist teuer, weshalb man beim Denken ansetzt. Dem Menschen ist es zwar unangenehm, das zu tun, was ihm angeordnet wird – deshalb die Androhung von Zwangsmitteln. Aber er soll doch die Haltung zu sich und der Welt erhalten und beibehalten, dass herrschaftlicher Zwang erforderlich sei, um eine Gesellschaft „am Laufen zu halten“. Freiwillige Kooperation und die Beschränkung von Zwang auf Fälle der Verteidigung, Wiedergutmachung oder Vergeltung, seien dafür nicht ausreichend, auch wenn der Mensch „privat“ dazu angehalten wird, sich genau hierauf zu beschränken, beziehungsweise auf noch weniger, denn Wiedergutmachung und Vergeltung soll er nicht in die eigene Hand nehmen: Nur freiwillige Kooperation und Notwehr sind ihm gestattet.

Sicherlich ist zu erwarten, dass Menschen sich auch in Abwesenheit von Zwangsmonopolen in gesellschaftlichen Gruppen organisieren, und dass sie die Leitung einer Gruppe jemandem anvertrauen, von dem sie sich eine Verbesserung ihrer Situation erwarten. Verspricht die Gruppe Schutz vor Angriffen und vereinbartes Recht durchzusetzen, hat das enorme Vorteile für Einzelne, die als solche, als Individuen, anderen Gruppen gegenüber relativ machtlos sind. Aber solche Verbände müssen nicht auf erzwungener Herrschaft gründen, sondern können auch freiwillig zustande kommen. Freiwillige Gefolgschaft führt zu „Win-win“-Situationen, wie etwa 10 Maurer-Lehrlinge kein Haus bauen können, zusammen mit einem Maurer-Meister schaffen sie es aber. Das Gesetz der Assoziation, der Mehrertrag der Arbeitsteilung, die ergiebigere Produktion beim Einsatz von Kapitalgütern und so weiter – all diese ökonomischen Gesetzmäßigkeiten lassen die Gesellschaft prosperieren und belohnen jeden Einzelnen für seine freiwillige Teilnahme, ohne dass dieser bezwungen oder beherrscht werden müsste.

Und tatsächlich, in der kurzen Blütezeit des „Laissez-faire“, dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts, profitierten die Mitglieder der Gesellschaft enorm von ihrer relativen Freiheit von der Obrigkeit. Wohlstand und Bildung nahmen zu, aber auch die Kräfte, die Herrschaft erhalten, Kontrolle ausbauen und sich ihren Stand mit Macht statt mit Recht sichern wollten, schritten voran. Die alten Doktrinen waren obsolet geworden, aber vor allem mit dem sozialistischen und marxistischen Gedankengut standen neue Narrative zur Verfügung, eine Zwangsvergesellschaftung zu propagieren und die freiwillige Kooperation und das Sondereigentum an den Produktionsmitteln zu konterkarieren. Dem Aufhetzen der Massen mit feindseligen Ideen betreffend die Notwendigkeit von Herrschaft und Zwang folgten furchtbare Kriege und Konflikte, die immer noch latent andauern, auch wenn an vielen Stellen die Waffen ruhen. Denn letztlich dürsten die Verfechter dieser Ideologien oder ihrer postmodernen zeitgenössischen Varianten laut eigenen Angaben nach einer Kontrolle über das Leben ihrer Mitmenschen bis ins kleinste Detail, die noch nicht vollständig erreicht ist.

Aber bereits seit Jahrhunderten bahnen sich neue Ideen den Weg. Dantes (1265–1321) Trennung von Angelegenheiten des Geistes und weltlicher Herrschaft war ein erster Schritt in Richtung Aufklärung, der zur Renaissance führte. Die Aufklärer und – im deutschen Raum – insbesondere Immanuel Kant (1724–1804) plädierten für das „eigene Denken“ und legten die erkenntnistheoretischen Grundsätze hierfür dar. Ludwig von Mises (1881–1973) schließlich lieferte mit seiner „Soziologie“ („Human Action“) die geistige Grundlage aller Wissenschaften vom Handeln und der Gesellschaft, die er schließlich nicht Soziologie nannte – der Name war bereits besetzt –, sondern Praxeologie: Die Logik des Handelns.

Zeiten des Wandels

Zeiten des Wandels sind turbulent. Bereits in meinen vorangegangenen Kolumnen schrieb ich darüber, dass eine Änderung im Denken, in den Haltungen der Menschen zu sich und der Welt, zu einer Änderung der Tat führt. Die Tat folgt der Idee. Jedoch gibt es mächtige Sonderinteressengruppen, die sich nichts versprechen von einem Wandel hin zu friedfertigeren Gesellschaften und selbständig denkenden und urteilenden Menschen. Die Masse der Gesellschaft würde profitieren, wie Mises dies a priori gezeigt hatte, und die Geschichte des 19. Jahrhunderts dies a posteriori illustriert. Aber die Masse der Gesellschaft bestimmt eben nicht über die Ideen, die vorherrschen.

Wenn nun – zunächst kleine – Gruppen beginnen, von den hergebrachten Denkschablonen abzuweichen und zu den Erkenntnissen der Aufklärung und der Logik des Handelns durchzudringen, besteht die Gefahr, dass andere ihrem Vorbild folgen. Und wer die Herrschaft über die Ideen verliert, mag die physische Herrschaft noch eine Zeit lang behalten, aber dauerhaft kann sich seine Herrschaft nur sichern, wer die Ideen beherrscht, erkannte bereits Ludwig von Mises.

Bedauerlicherweise zeigt die Geschichte, dass die Sonderinteressengruppen, die von Herrschaftssystemen profitieren, keineswegs bereit sind, die Zügel mir nichts dir nichts aus der Hand zu geben, und neuen Ideen, deren Zeit gekommen ist, Platz zu machen. Andererseits sind diese Gruppen in ihren Interessen keineswegs homogen. Die Geschichte der Kriege ist auch die Geschichte von Schismen der Machthaber, ein allegorisches „Hauen und Stechen“ in den eigenen Reihen, geprägt von dem Verlangen nach Macht, von Angst, Missgunst und Ehrgeiz.

Und dennoch gab es den Westfälischen Frieden, es gab Ludwig Erhard, der wie ein Phoenix aus der Asche aus den Trümmern des Krieges hervortrat und für kurze Zeit ein „Laissez-faire light“ ermöglichte. Kant riet, im Denken sich des eigenen Verstandes zu bedienen, aber nicht gegen die Obrigkeit im Handeln aufzubegehren, wohl wissend, dass die Folgen verheerend sind, Revolutionen blutig sind und ihre Kinder fressen. Es ginge nach den neuen Ideen ja auch nicht darum, eine neue, andere Herrschaftsform zu errichten, nicht um die Frage, „wer Kalif sein soll anstelle des Kalifen“, sondern die Menschen zu überzeugen, dass „das Kalifat“ an sich das Problem ist.

Wir wissen nicht im Detail, warum „die Mauer fiel“, also die Grenzmauer zwischen den beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Nicht alle Fakten werden bekannt und historische Interpretationen lassen stets persönliche Relevanzurteile zu. Aber die Mauer ist gefallen, ohne dass es in diesem Falle zu verheerenden Auseinandersetzungen kam. Das war keine kleine Sache. Lassen Sie uns hoffen, dass noch die eine oder andere Mauer im Denken unserer „gütigsten Oberaufsicht“ fällt, um frei mit Kant zu sprechen, sodass sie einem neuen Bewusstsein in der Gesellschaft, einer neuen Idee des Zusammenlebens, die sich Bahn bricht, nicht mit Verächtlichmachung, Ausgrenzung und letztlich Zwang und Gewalt begegnet, sondern es schließlich ihr selbst zuträglich finden wird, von den Hebeln der Macht zu lassen, die zu erringen und zu erhalten doch so viel Leid im Persönlichen wie im Gesellschaftlichen schafft.

Quellen:

Matt Hancock: Leaked messages suggest plan to frighten public (BBC)

Corona-Willkür, amtlich bestätigt. Vertrauliche Korrespondenzen des britischen Ex-Gesundheitsministers Matt Hancock zeigen, wie Politik und Medien die Pandemie-Regeln durchsetzten – im Wissen, dass sie sinnlos sind. (Weltwoche, Stefan Homburg)

Die „Lockdown Files“: Geleakte Chats belasten britischen Ex-Minister schwer (Berliner Zeitung)

Tucker Carlson präsentiert neues Filmmaterial und alte Mythen zum Sturm aufs Capitol (NZZ)

Sturm aufs Kapitol: Fox-Moderator Carlson schneidet Videomaterial irreführend zusammen (Frankfurter Rundschau)

Intelligence Suggests Pro-Ukrainian Group Sabotaged Pipelines, U.S. Officials Say (New York Times)

Nord-Stream-Ermittlungen Spuren führen in die Ukraine (Tagesschau)

Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? – zu Immanuel Kants 218. Todestag (Misesde.org)


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