Blick hinter das Narrativ: Der Ukraine-Krieg als energiepolitischer Ermächtigungshelfer
Über einen bislang leider nur wenig diskutierten Aspekt
von Axel B.C. Krauss
Eigentlich gehören Wörter wie „offiziell“ aus dem Wortschatz zur Beschreibung politischer Vorgänge gestrichen. Denn was von dieser Seite kommt, ist heuer meist nur noch eine Reispapier-Fassade, ein dürftiges Graffiti auf viel tiefer reichenden, umfassenderen und längerfristigen Absichten, deren Analyse und Erkenntnis vernebelt werden soll. Nicht umsonst waren die Zeitungen in den letzten Jahren regelmäßig voll von Artikeln, in denen gefragt wurde, woher es eigentlich rühre, dieses „Misstrauen“ gegenüber den „politischen Institutionen“.
Dieser Vertrauensverlust wird zumeist durch Gebrauch der in solchen Fällen üblichen Vokabeln als „bedenklicher Hang“ zu „Verschwörungstheorien“ in der „Mitte der Gesellschaft“ deklariert, wobei regelmäßig angebliche „Experten“ zitiert werden, deren Erklärungen oder besser Beschwichtigungen und Realitätsverleugnungen in 99,9 Prozent der Fälle argumentativ ebenso immateriell sind wie diejenigen offiziellen Verlautbarungen, die sie vor neugierigen kritischen Blicken schützen sollen.
Die „offizielle“ Berichterstattung über den Ukraine-Krieg konzentriert sich auf das Narrativ, es handele sich um einen konventionellen geopolitischen Konflikt zwischen zwei sogenannten Supermächten. Mehr gibt es hier angeblich nicht zu sehen. Kaum jemand fragt, woran es denn wirklich liegen könnte, dass dieser Krieg – denn genau das ist der Fall – unnötig in die Länge gezogen wird. „Wir müssen uns auf einen langen Krieg einstellen“ – diese Phrase war im letzten Jahr immer wieder zu hören und lesen, unter anderem von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Doch warum eigentlich? Warum „muss“ das so sein?
Bei mir weckt dieses Vorgehen Erinnerungen an den Vietnamkrieg: Auch er wurde künstlich in die Länge gezogen, was auf „beiden Seiten“ für Traumprofite sorgte, sofern man überhaupt von zwei „Seiten“ sprechen kann. Denn – um nur ein Beispiel zu geben, das vom Historiker Antony Sutton aufgedeckt wurde – der Automobilhersteller Ford, der für Ausrüstung und Nachschub der US-Seite sorgte, baute auch Lkw-Fabriken in der Sowjetunion. Die Fahrzeuge wurden dann in Vietnam als Truppentransporter eingesetzt, die nordvietnamesische Soldaten an die Front brachten, um auf GIs zu schießen. Und in seinem Buch „The Best Enemy Money Can Buy“ enthüllte Sutton, dass beim Bau der Verkehrswege, die von der UdSSR genutzt wurden, um Panzer für den Afghanistankrieg rollen zu lassen, tatsächlich auch US-Steuergelder zum Einsatz kamen. Unnötig zu erwähnen, dass so was „offiziell“ natürlich nicht zugegeben wurde. Immerhin wurde wenigstens die Tatsache der künstlichen Verlängerung des Vietnamkriegs schon zugegeben, ist also nunmehr „offiziell“. Wenn auch mit üblichem „Spin“: Die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtete zum Beispiel am 26. Oktober 2022 darüber („Bomben und Lügen“): „Wie Richard Nixon und Henry Kissinger den Vietnamkrieg in die Länge zogen – und einen Schuldigen für ihr Scheitern suchten.“
Ach, sind sie das? Gescheitert? Kommt auf die Perspektive an, denn wie bereits gesagt: Die Verlängerung des Krieges sorgte für ordentlich Frischfutter, an dem der militärisch-industrielle Komplex sich laben konnte. Das gilt nicht minder für den Ukraine-Krieg: Sowohl die westliche als auch russische Rüstungsindustrie ist über die Aufträge gewiss nicht traurig.
„War is a racket“ – so weit, so hoffentlich allseits bekannt. Vielleicht ist mir etwas entgangen, aber soweit ich mich entsinnen kann, hat Putin seine Landsleute bislang noch nicht darüber aufgeklärt, dass die beiden größten Vermögensverwalter der Welt, „BlackRock“ und „Vanguard“, die ich in einem meiner letzten Beiträge in einem anderen Zusammenhang erwähnte, fast 50 Prozent am russischen Energieriesen Gazprom halten. Als es dann westliche Sanktionen hagelte und dadurch die Öl- und Gaspreise in die Höhe schossen, durften sich also auch diese westlichen Finanzgiganten daran erfreuen. Ich muss es leider wiederholen: Aus „irgendeinem“ Grund fällt es mir schwer, zu glauben, hier stünden sich zwei Seiten absolut unversöhnlich gegenüber …
Es geht bei Kriegen schließlich nie nur um „Feindseligkeiten“, die sich ohnehin eher auf „fußvölkischer“ Ebene abspielen – das gegenseitige Totschießen überlässt man dem soldatischen Kanonenfutter –, sondern eben immer auch um politische Ziele.
Im Falle des Krieges in der Ukraine vor allem um energiepolitisch-technokratische. Der Krieg liefert hiesigen Eliten dazu einen förmlich idealen Vorwand. Sie brauchen Bürgen nicht mehr zu erklären, warum sie beabsichtigen, immer mehr Kontrolle über deren Leben auszuüben, schließlich ist ja alles Putins Schuld. Es freut mich immer wieder, wenn ich feststellen darf, dass ich nicht der Einzige bin, der das so sieht.
Stephan Sander-Faes ist außerordentlicher Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bergen, Norwegen. Sein Forschungsschwerpunkt ist Mittel- und Osteuropa. Er promovierte an der Universität Graz in Österreich und habilitierte an der Universität Zürich in der Schweiz. In seinem Artikel „Woe to the Vanquished: Europe’s Existential Struggle Between the US and Russia“ (Wehe den Besiegten: Europas Existenzkampf zwischen den USA und Russland), erschienen am 19. Oktober 2022 auf der Website „Propaganda in Focus“, wies er auf die energiepolitischen Zusammenhänge hin.
„Im Hinblick auf die aktuelle Energiekrise in der EU“, so Sander-Faes, „genügt es zu erwähnen, dass die Energiepolitik bisher der einzige Aspekt der nationalen Souveränität war, der nicht in den Zuständigkeitsbereich von Brüssel fiel. Bis zu diesem entscheidenden Moment waren die Mitgliedstaaten besonders vorsichtig, wenn es darum ging, den EU-Institutionen, sei es der Kommission oder der ständigen Bürokratie, irgendwelche Befugnisse zu übertragen.“
Das genügt eigentlich schon, um eine Augenbraue zu heben.
„Doch wenn man dem derzeitigen Medienrummel Glauben schenken darf“, so Faes weiter, „scheint der russisch-ukrainische Konflikt den Widerstand der Mitgliedstaaten gegen die von der EU-Kommission betriebene Zentralisierung von Energiefragen der Vergangenheit angehören zu lassen. Daher die rasche Abfolge von Berichten der etablierten Medien mit Analysen und vielen Zitaten. Wie zum Beispiel diesem hier, der kürzlich auf Bloomberg erschien und ein hervorragendes Beispiel für die ‚Alles ist Russlands Schuld‘-Propaganda darstellt: ‚Der Strommarkt ist kein funktionierender Markt mehr, weil es einen Akteur – Putin – gibt, der systematisch versucht, ihn zu zerstören und zu manipulieren. Darauf müssen wir reagieren, und deshalb befassen wir uns jetzt mit der Zusammensetzung des Strommarktes‘, sagte [EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen] am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Dänemark. Damit folgt Frau von der Leyen lediglich den Vorschlägen des ehemaligen EU-Kommissars Günther Oettinger.‘“
Spätestens nach solchen Zitaten sollte es mächtig klingeln. Denn die Umgestaltung des Strommarktes, wie von der Leyen sagte – genauer: die „grüne“ Transformation der Energiemärkte – stand ja schon vor dem Ukraine-Krieg auf der Agenda. Es war von der Leyen selbst, die – bereits vor dem Krieg, siehe dazu zum Beispiel die Pressemitteilung auf der Website der Europäischen Kommission vom 4. März 2020 (!) – sagte, man wolle Europa bis zum Jahre 2050 „klimaneutral“ machen. Und wie Saes ganz richtig feststellte: „Bis zu diesem entscheidenden Moment waren die Mitgliedstaaten besonders vorsichtig, wenn es darum ging, den EU-Institutionen, sei es der Kommission oder der ständigen Bürokratie, irgendwelche Befugnisse zu übertragen.“
Der Ukraine-Krieg dient eindeutig als Katalysator dieser „Nachhaltigkeits“-Politik, also der beschleunigten Erreichung der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs).
Faes kommt zum Schluss: „Wenn Taten mehr Aussagekraft haben als Worte, dann sind die Machthaber bereits fleißig dabei, beide Themen zu (miss)brauchen, um bestimmte Agenden voranzutreiben – und sie tun dies ohne Rücksicht auf die verbleibenden Reste nationaler Souveränität und demokratischer Teilhabe der europäischen Völker. Diese Machenschaften zeigen sich in der deutlichen Eile, ‚keine Krise ungenutzt verstreichen zu lassen‘ – ein klarer Aufruf zu staatlichem Aktivismus (Overreach). Diese Ansicht, die keinem Geringeren als Winston Churchill zugeschrieben wird, wurde von Präsident Obamas erstem Stabschef Rahm Emanuel im Zusammenhang mit der großen Finanzkrise von 2007/08 ins Spiel gebracht. Bezeichnenderweise – und vielleicht sogar ironischerweise auf ‚Fox News‘ – wurde diese Forderung von Emanuel im Frühjahr 2021 im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie erneuert.“
Das Einzige, was ich hierzu noch anmerken könnte: Selbstverständlich wird der Ukraine-Krieg auch zur Ablenkung von hausgemachten wirtschaftlichen Problemen hergenommen (was schon bei früheren Kriegen der Fall war, auch bei den beiden Weltkriegen).
Schon bei der Rezessionsverschleierungs-Pandemie ließ sich dies beobachten: Im Vorfeld häuften sich Berichte in den Zeitungen über eine möglicherweise bald bevorstehende mittelschwere bis schwere Rezession; vielleicht stünde sogar eine Weltwirtschaftskrise vor der Tür. In einem anderen Beitrag erwähnte ich das nur wenige Monate vor Corona erschiene PDF der Weltbank, in dem eindringlich gewarnt wurde, es müssten dringend drastische Schritte unternommen werden, sonst drohe schlimmstenfalls sogar eine Hyperinflation. Kaum erschien das angeblich „neuartige Coronavirus“, schon waren die Blätter voll von der „Corona-Rezession“. Nun konnte man also alles auf einen mit bloßem Auge unsichtbaren Feind schieben und brauchte auf die tiefliegenden systemischen Ursachen nicht mehr einzugehen.
In derselben Weise wird nun wieder ein großer Buhmann vorgeschoben, um a) bloß nicht zugeben zu müssen, dass eine höchst verantwortungslose selbstgestrickte Geldpolitik, die man selbst unter Aufbietung aller menschlichen Phantasie nun wirklich nicht Russland oder Putin alleine anlasten kann, für die Probleme verantwortlich ist und b) eine politische Agenda voranzutreiben, die im Wesentlichen, wie Faes richtig anmerkte, auf ausgedehnte Machtbefugnisse hinausläuft dergestalt, ein technokratisches Kontrollsystem zu installieren.
Bis nächste Woche.
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