Zur Strategie des Widerstands – Teil 1: Frieden! Freiheit! Jetzt!
Für einen kämpferischen Pazifismus
von Stefan Blankertz
Kriegsdienstverweigerung war mal ein linkes Projekt, allerdings nur in der sogenannten westlichen Welt. Im Ostblock herrschte natürlich die Pflicht zur Vaterlandsverteidigung. Die hielten im Westen die Konservativen hoch. Schon damals eine verkehrte Welt. Seit einigen Monaten – sind es wirklich erst einige Monate? – hat sie sich noch einmal in sich verschlungen, die verkehrte Welt des Rechts-Links-Schemas. Wer heute zur Kriegsdienstverweigerung aufruft, steht schon im Verdacht, ein rechter Querdenker zu sein. Ist es wirklich erst einige Monate her? Der Wandel der herrschenden Meinung (Meinung der Herrschenden) hat sich so schnell und so durchgreifend ereignet, dass es scheint, als sei es nie anders gewesen.
Aber einige Prominente, die damals den Kriegsdienst verweigert hatten, wohlgemerkt mit Berufung auf Gewissensgründe, verkünden nun medial wirksam, dass sie ihn nicht mehr verweigern würden. Dies zeigt, dass es diesen Wandel wirklich gibt. Man sollte sie fragen (meines Wissens tut es niemand), was sich inzwischen geändert hat, warum also ihr Gewissen ihnen nun etwas anderes sagt. Sind Kriege weniger unmenschlich geworden? Haben die Kriegsparteien inzwischen weniger Lügen im Arsenal, um ihr Tun zu rechtfertigen?
An die Aussage einiger prominenter früherer Kriegsdienstverweigerer, dies heute nicht mehr tun zu wollen, schließt freilich noch eine weitergehende Frage an, nämlich die, ob sie heute Repression gegen Kriegsdienstverweigerer befürworten würden? Im Nachhinein geben sie nicht nur den damaligen Konservativen (oder „Rechten“) recht, sondern fallen noch hinter die damals erreichte Toleranz zurück, Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zuzulassen. Denn anscheinend ist das Gewissen kein geeigneter Gradmesser. Damals meinten sie, den Kriegsdienst verweigern zu müssen, heute grämen sie sich darüber, nicht zu ihm gezwungen worden zu sein.
Wenn sie sich hingegen hinter dem Argument verschanzen, damals seien die drohenden Kriege ungerecht gewesen, heute seien sie jedoch gerecht, stehen sie vor zwei Problemen. Das erste Problem: Jede Kriegspartei reklamiert heute wie gestern, im Recht zu sein. Genau das war das Argument für die Kriegsdienstverweigerung, nämlich dass Krieg nicht durch Krieg beendet werde, sondern nur dadurch, dass man aufhöre, ihn zu führen.
Das zweite Problem: Wenn man zugesteht, es könnte einen gerechten Krieg geben, muss man sich für ihn stets wohlgerüstet zeigen. Es muss ein Heer von gut ausgebildeten Kriegern zur Verfügung stehen, die nicht vom Himmel fallen, sondern ertüchtigt sein wollen, ebenso wie die technische Ausrüstung vorhanden sein muss, die ebenfalls vorab nur über einen gewissen Zeitraum hinweg zu entwickeln und zu produzieren ist. Genau genommen darf man unter der Prämisse, es könnte einen gerechten Krieg geben, niemals mit der Rüstung und der Wehrertüchtigung aufhören; man darf niemals nachlässig sein, um dann, wenn der Zeitpunkt des gerechten Kriegs gekommen ist, nicht wehrlos dazustehen und sich gegebenenfalls zu blamieren. Die Rückzugsposition, Kriegsdienstverweigerung sei vielleicht damals aus Gewissensgründen legitim gewesen, heute aber nicht mehr, stellt nichts weiter als ein intellektueller Taschenspielertrick dar. Denn wenn es die Möglichkeit gibt, dass ein Krieg gerecht ist, darf weder Kriegsdienstverweigerung geduldet werden noch darf man nachlässig in der technischen Ausstattung seiner Rüstung sein. Nur in dem Fall, dass man davon ausgeht, dass ein Krieg niemals gerecht sei, kann man legitimerweise den Kriegsdienst verweigern und gegen Aufrüstung protestieren und sie gegebenenfalls behindern, einschränken oder gar eine Abrüstung in die Wege leiten. Nur der konsequente Pazifist steht auf moralisch so sicherem Boden wie der Bellizist.
Allerdings haben auch die heutigen „rechten“ (oder doch wieder „linken“?) Kriegsgegner eine verquere Logik. In ihrer verständlichen Abwehr der westlichen Kriegspropaganda verfallen sie darauf, die antiwestliche Kriegspropaganda herunterzuspielen oder ihr gar ganz das Wort zu reden. Dies zeichnete bereits die damalige „linke“ Friedensbewegung aus. Die Illusion bestand darin, dass der Krieg aufhöre, wenn sie es schaffen würden, ihre jeweiligen (westlichen) Staaten auf den Kurs der Abrüstung einzuschwören, weil die Gegenseite gar keine kriegerischen Impulse hege. Was für ein Irrtum! Während der Bellizist sagt, der böse Nachbar (die böse gegnerische Supermacht) müsse mit dem Krieg aufhören, bevor er an Abrüstung auch nur zu denken bereit sei, sagt der naive Friedensbewegte, man selber brauche nur mit dem Krieg aufzuhören und schon würde die Welt sich in Wohlgefallen ergehen. Was für ein Irrtum!
Natürlich bricht für den naiven Friedensbewegten die Welt zusammen, wenn er entdeckt, dass durch einseitige Abrüstung die Gegenseite keineswegs befriedet worden ist. Die von ihm selbst aufgebaute Illusion sieht er enttäuscht – sie zerschellt an der Realität; und so kann ich nachvollziehen, dass er erbost zum Bellizisten wird. Aber er hat niemals verstanden, worum es geht.
Nehmen wir einen prominenten Fall, in dem der gewaltlose Widerstand grandios gescheitert ist: die Tschechoslowakei 1968. Die Frage an jeden Bellizisten lautet: Hätte der Widerstand gegen die Okkupation durch die UdSSR mehr Chancen gehabt, wenn zu den Waffen gegriffen worden wäre? Genau ein Dutzend Jahre vorher hatte der Ungarnaufstand gezeigt, was bei einem bewaffneten Aufstand geschieht. Als Faustregel können wir festhalten: Ist der Widerstand stark genug, vermag er sich auch gewaltlos durchzusetzen. Wenn er dagegen zu schwach ist, siegt er auch nicht mit Waffengewalt.
Der wahre Pazifismus hat wehrhaft und kämpferisch zu sein. Er ruft nicht dazu auf, sich irgendeiner der kriegsführenden Parteien zu unterwerfen. Im Gegenteil besteht die Idee des Pazifismus, des zivilen Ungehorsams, des gewaltlosen Widerstands darin, andere Formen der Gegenwehr als mit militärischen Mitteln zu erproben und zu kultivieren.
Ich kann nicht behaupten, zu wissen, wie das geht. Aber ich kann sagen, dass es mit dem Krieg kein Ende nehmen wird, solange wir nicht damit anfangen, mit ihm aufzuhören. Und dass es keine Freiheit geben wird, solange es mit dem Krieg kein Ende hat. Denn der Krieg ist die Nahrung des Staats: Er nährt den Zentralismus und die Unterdrückung der Freiheit.
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