19. März 2023 19:00

Chinesisch-russische Beziehungen Onkel Wanja, Winnie Pooh und der Haftbefehl

Geburtswehen einer neuen Weltordnung

von Stephan Unruh

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Denkt man genauer darüber nach, dann richtet sich der Schachzug des angeblich Internationalen Gerichtshofs, der natürlich genauso wie all die übrigen „internationalen“ Institutionen 100-prozentig unter der Kontrolle des US-Imperiums steht, gar nicht so sehr gegen den russischen, sondern vielmehr gegen den chinesischen Präsidenten. Schon seit Wochen, wenn nicht seit Monaten schießen sowohl Presse als auch Politik (im Westen) gegen die Chinesen, die angeblich die Russen unterstützen und dafür zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Mit dem Haftbefehl gegen Putin muss Xi nun Farbe bekennen: Wenn er nach Moskau fliegt, was er sicherlich tun wird, dann trifft er sich mit jemandem, der nun auch ganz offiziell von einer vorgeblich neutralen und gerechten Institution als Verbrecher gegen die Menschheit gelabelt wurde.

Tatsächlich dürfte der Westen und insbesondere die Biden-Administration mittel- bis langfristig damit ein weiteres Eigentor geschossen haben, aber der Reihe nach …

China war bei dem Thema ein bisher extrem vorsichtiger Akteur. Man hat es stets ganz bewusst vermieden, klar Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen, sondern stets einerseits die Notwendigkeit der territorialen Integrität der Ukraine betont, als andererseits auch darauf hingewiesen, dass Russland legitimerweise seine Sicherheitsinteressen verteidigen dürfe und müsse. Eingedenk Taiwans kann China logischerweise nicht die Abspaltung der östlichen Ukraine und der Krim gutheißen – auch wenn das Problem hier sicherlich anderes gelagert ist als bei der „schönen Insel“, was aber an dem Problem an sich nichts ändert –, auch ist (beziehungsweise war) die Ukraine ein wichtiger Handelspartner, mit dem man ebenfalls freundschaftlich verbunden ist (beziehungsweise war). Zeitgleich ist Russlands zweifelsohne im globalen Spiel der Mächte der bedeutendste Partner der Chinesen. Das Riesenreich ist nicht nur wichtigster Lieferant in Sachen Rohstoffe, Energie und Militärtechnologie, sondern auch wichtigster und vor allem schwergewichtigster Partner beim chinesischen Langzeitziel, die „Pax Americana“ zu überwinden. Ohne Russland an Chinas Seite wird das Ziel „Multipolarität“ kaum verwirklichbar sein.

Zudem geht es China ähnlich wie Russland. Längst befindet man sich im Visier von Uncle Sam. Nicht alleine die Falken in Washington schmieden mit großer Hingabe an den Allianzen zur Eindämmung des Drachen: Als Stichworte sollten das Aukus-Sicherheitsbündnis, die militärische Auferstehung Japans und die immer stärker werdende Umgarnung Vietnams reichen. Sowohl in Washington als auch in Peking dürfte die Mehrheit der Entscheidungsträger eine militärische Konfrontation zwischen der etablierten US-amerikanischen Supermacht und dem chinesischen Emporkömmling für nahezu unausweichlich halten. Das Buch „Destined for War: Can America and China Escape Thucydides’s Trap?“ von Graham Allison dürfte auf beiden Seiten des Pazifiks zur Standardlektüre in den entsprechenden Zirkeln gehören.

China kann also – zumindest innerhalb der Matrix staatlichen Macht- und Ränkespiels – Russland nicht fallen lassen. Xi wird sich mit Putin treffen. Es wird die entsprechenden Schlagzeilen im westlichen Blätterwald und die entsprechenden Bemerkungen der entsprechenden Politiker produzieren. Für die Bevölkerung im Westen wird China so weiter als Feind an der Seite der russischen „Orks“ skizziert und damit unterschwellig auch die Bereitschaft generiert – zumindest am heimischen Stammtisch –, nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China zu Felde zu ziehen.

Der Rest der Welt allerdings, für den sich die ganze Situation in der Ukraine nicht so eindimensional darstellt, wie sich das die westlichen Kriegsparteien wünschen, nimmt eher zwei ganz andere Dinge wahr: Es sind die Chinesen, die sich seit Monaten um einen Waffenstillstand und um eine diplomatische Lösung bemühen. China positioniert sich (oder versucht es zumindest) als friedenstiftende Ordnungsmacht – es sei hier auch auf André Lichtschlags Artikel vom 16. März verwiesen. Eigentlich ein Hohn, dass ausgerechnet das kommunistische China sich als ehrlicher Makler zu positionieren versucht. Möglich wird dies nur durch die Unehrlichkeit und Verlogenheit der westlichen Gegenpartei. Womit wir beim zweiten Aspekt sind.

Außerhalb von Nordamerika und der EU wird sowohl den Staaten als auch den Völkern immer deutlicher vor Augen geführt, wie sehr die sogenannte internationale Ordnung in Wirklichkeit eine US-amerikanische ist und wie rücksichtslos der Hegemon diese „Ordnung“ für seine Zwecke missbraucht. Das ist zwar schon immer so gewesen, aber nun wird es offenkundiger. Je mehr die wirtschaftliche Potenz des Westens bröckelt, er auch militärisch seine Fähigkeiten überspannt und sich für vermeintlich höchstmoralische Fragen in die Bresche wirft, die der Rest der Welt tatsächlich als unmoralisch wahrnimmt (man denke nur an das Regenbogenbinden-Theater zur Fußball-WM in Katar), desto weniger ist eben jener Rest bereit, bei diesem Spiel stumm und demütig zuzuschauen.

Der Haftbefehl ist für Putin und Xi allenfalls eine Nebensächlichkeit, damit aber auf seine Art wieder relevant: Er ist – ebenso wie der Ukraine-Krieg im Ganzen – Teil der Geburtswehen einer neuen Weltordnung. Wie diese am Ende aussehen wird, ob wir den vollständigen Kollaps des Westens erleben werden oder die Renaissance der USA, ob am Ende tatsächlich eine Mulipolarität, ein neues Zwei-Blöcke-Gleichgewicht oder die Weltherrschaft einer globalen Megasupermacht stehen wird, lässt sich heute noch nicht sagen.

Zu hoffen bleibt allenfalls zweierlei: erstens, dass unser Planet am Ende nicht als ein unbelebter, radioaktiv verseuchter Schlackenhaufen durchs Weltall trudelt, und zweitens, dass (so Ersteres nicht eintritt) wir uns trotz aller staatlicher Herrschaftssucht als Menschen Freiheitsräume bewahren und neu schaffen können.


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